Nahverkehr

Attraktiv und kaum bekannt – das Jobticket

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Thomas Fülling
Bislang nutzen nur 74.000 Kunden das günstige Firmenticket, das es seit September gibt.

Bislang nutzen nur 74.000 Kunden das günstige Firmenticket, das es seit September gibt.

Foto: Reto Klar

Mehr als zwei Millionen Arbeitnehmer haben Anspruch auf das neue Jobticket. Doch bisher gibt es erst mit 750 Firmen Verträge.

Berlin. Es ist eines der verkehrspolitischen Vorzeigeprojekte von Rot-Rot-Grün. Mit einem besonders günstigen Firmenticket zum Preis von unter 50 Euro im Monat sollen mehr Berliner dazu bewegt werden, ihr Auto für die Fahrt zur Arbeit stehen zu lassen und auf umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn umzusteigen. Doch bislang nutzen erst wenige Berliner und Brandenburger das am 1. September gestartete Angebot.

Nach einer Umfrage der Berliner Morgenpost bei den Verkehrsunternehmen haben bislang gerade einmal knapp 74.000 Arbeitnehmer ein Abonnement für das neue Ticket abgeschlossen. Dabei haben laut der Geschäftsführerin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB), Susanne Henckel, 90 Prozent der rund 2,3 Millionen Arbeitnehmer in der Region Anspruch auf das Angebot. Das wären also mehr als zwei Millionen Beschäftigte.

Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitgeber für seine Mitarbeiter einen entsprechenden Rahmenvertrag mit einem Verkehrsunternehmen in Berlin und Brandenburg abschließt.

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Neues Jobticket: Angebot nicht weit entfernt vom 365-Euro-Jahresticket

Nach Angaben des größten Nahverkehrsanbieters, der landeseigenen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), haben bislang 698 Firmen eine entsprechende Vereinbarung abgeschlossen. Insgesamt 69.724 Mitarbeiter können das neue Jobticket jetzt nutzen. Die Berliner S-Bahn hat mit 35 Unternehmen neue Verträge unterschrieben sowie 22 Bestandsvereinbarungen auf das bisherige Jobticket umgestellt.

Zum Abo-Beginn Dezember profitieren insgesamt rund 4000 Arbeitnehmer von der Regelung. Das ist ein verschwindend geringer Teil der insgesamt mehr als 200.000 Kunden, die mit der Bahntochter ein Monatskarten-Abonnement vereinbart haben. Die BVG hat mit Stand November insgesamt rund 830.000 Abo-Kunden (inklusive Schülertickets). Das bedeutet: Gerade einmal 8 Prozent aller Stamm-Fahrgäste profitieren derzeit vom neuen Firmenticket.

Dabei ist das Angebot eigentlich unschlagbar günstig. Zu haben ist das Ticket in zwei Varianten. Je nachdem, wie viel Geld der Arbeitgeber dazugibt, zahlt der einzelne Mitarbeiter ab Januar für seine Monatskarte im Tarifbereich AB (Stadtgebiet Berlin) lediglich 49,42 Euro (monatliche Abbuchung, Arbeitgeberzuschuss: zehn Euro) oder 40,42 Euro (Zuschuss: 15 Euro). Gerade der letztere Betrag ist nicht weit entfernt vom 365-Euro-Jahresticket, das Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Sommer als Ziel für die Nahverkehrsnutzung ins Gespräch gebracht hat.

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Attraktives Angebot auch für Pendler

Nicht weniger attraktiv ist das Angebot für Pendler, die jeden Tag aus dem Umland zur Arbeit nach Berlin und wieder zurück fahren. Sie zahlen dann für die Monatskarte ABC zwischen 61 und 70 Euro. Bei Abbuchung eines Einmalbetrages sind es dann 702 Euro beziehungsweise 810 Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Die nicht vergünstigte Monatskarte, die allerdings auch von anderen Familienmitgliedern mitgenutzt werden kann, kostet nach der Tarifanhebung zum 1. Januar 84 Euro (Tarifbereich AB) beziehungsweise 100,50 Euro (ABC) im Monat.

Wer ein Jahres-Abo abschließt, kommt etwas günstiger weg. Für die VBB-Umweltkarte müssen dann bei monatlicher Abbuchung 761 Euro (Tarifbereich AB) beziehungsweise 1008 Euro im Jahr (Tarifbereich ABC) gezahlt werden. So lassen sich also mit dem neuen Firmenticket bis zu 276 Euro im Jahr sparen, rechnet der VBB auf seiner Internetseite vor. Seit Jahresbeginn müssen Arbeitgeber-Zuschüsse für das Jobticket zudem nicht mehr versteuert werden. Lediglich die jedem Arbeitnehmer gewährte Pendler-Pauschale reduziert sich um den gezahlten Betrag.

Warum das Angebot trotz all dieser Vorteile bisher so verhalten angenommen wird, darüber sind sich die Verkehrsexperten nicht einig. Tatsache ist allerdings: Es ist bislang in der Stadt kaum bekannt. Was vor allem daran liegt, dass es im Unterschied zum normalen Jahres-Abo von BVG und S-Bahn kaum aktiv beworben wird. Das könnte vor allem finanzielle Gründe haben. Denn die Länder geben den Unternehmen keinen Ausgleich für entstehende Einnahmeverluste. Das ist etwa beim komplett kostenlosen neuen Schülerticket anders. Da zahlt der Berliner Senat allein in diesem Jahr an BVG und S-Bahn einen Ausgleich von 29 Millionen Euro.

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Wechselt ein Kunde, erhält die BVG weniger Geld

Für die Verkehrsunternehmen sind die Einnahmen aus dem Ticketverkauf jedoch ein unverzichtbarer Teil der Gesamtfinanzierung. Bei der BVG liegt dieser Anteil bei rund 60 Prozent. Wechselt jedoch ein Kunde vom normalen Monatskarten-Abo zum neuen Firmenticket, bekommt das Unternehmen etwa ein Drittel weniger Geld für die gleiche Leistung.

Doch gerade die Verkehrsbetriebe können derzeit jeden Euro gut gebrauchen. Nach den Lohn- und Gehaltserhöhungen für die insgesamt rund 15.000 Mitarbeiter sind die Personalausgaben um mehr als 100 Millionen Euro im Jahr gestiegen. Da der erhoffte Ausgleich durch den Senat ausblieb, rechnet die BVG nun erstmals seit Jahren wieder mit einem negativen Gesamtergebnis am Ende des Geschäftsjahres. Der Personalratsvorsitzende Lothar Stephan bezifferte vor Kurzem den drohenden Verlust mit mehr als 73 Millionen Euro.

Laut BVG-Sprecher Jannes Schwentu soll sich das neue Firmenticket am Ende dadurch rechnen, dass in nennenswerter Zahl zusätzliche Kunden gewonnen werden. Von diesem Ziel sind die Nahverkehrsunternehmen weit entfernt. Eine Trendwende ist noch nicht absehbar. Laut BVG kommen zum 1. Januar beim Firmenticket lediglich zehn Arbeitgeber hinzu, zehn Bestandskunden wechseln zum neuen Angebot. Das alte Jobticket, das nur einen Rabatt von fünf Prozent zum Normalpreis einer Monatskarte beinhaltet, haben laut VBB rund 68.000 Arbeitnehmer. Dieses Modell soll aber zum 31. August 2021 auslaufen.