Nur daumennagellang ist Saperda candida, ein kleiner Bockkäfer, der im Deutschen Rundköpfiger Apfelbaumbohrer genannt wird. Er steckt aufgespießt auf einer Nadel. Auf dem Bildschirm hingegen bewegt sich das Insekt munter hin und her in tausendfacher Vergrößerung, die jedes Härchen erkennen lässt.
„Auf dem Modell kann man vieles sehen, auch ohne dass man das Original in den Händen hält“, sagt Michael Heethoff, Biologe von der Technischen Universität Darmstadt. Möglich macht das die neueste Anschaffung des Berliner Naturkundemuseums: ein 3D-Insektenscanner, mit dem die Forschung weltweit revolutioniert werden soll.
Trotz der großen Worte wirkt der Aufbau auf den ersten Blick wenig spektakulär. Über mehrere Leisten lassen sich verschiedene Arme einstellen, von ihnen führen etliche Kabel weg. Doch was die Apparatur beinhaltet, hat sie es in sich: Einmal eingestellt macht die Gerätschaft in zwei Stunden aus knapp 400 Perspektiven insgesamt rund 25.000 Fotos von dem kleinen Getier.
Eine Software rechnet die Tausenden Einzelbilder anschließend zu einem lebendig wirkenden 3D-Modell zusammen. „Insektenforscher sehen Detailmerkmale an dem Tier, auch wenn sie in Brasilien sitzen“, sagt Heethoff. Dies ermögliche der Forschung ganz neue Einblicke.
30 Millionen Objekte lagern in der Sammlung
Auch für Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde, ist die technische Errungenschaft nicht hoch genug einzuschätzen. Seit mehr als 300 Jahren würden sich Naturforscher und Museen auf der Welt Sammlungsexemplare ausleihen. Mit dem 3D-Scanner werde diese Tradition „in die Zukunft übertragen“. Die Forschung, so Vogel, werde dadurch in vielerlei Hinsicht effektiver und praktischer. Bisher verschicke das Naturkundemuseum jährlich 40.000 Objekte für Forschungszwecke in die ganze Welt, erklärt der Generaldirektor. Jetzt erhielten die Wissenschaftler rund um den Globus stattdessen einfach per E-Mail ein digitales Modell des gewünschten Insekts.
„Unser Leihverkehr ist damit um 80 Prozent zurückgegangen.“ Ein weiterer Vorteil: Ist das digitale Abbild einmal erzeugt, kann es nicht nur einzelnen Forschern, sondern gleich der ganzen Wissenschaftswelt frei zugänglich gemacht werden.
Wie wichtig der weltweite Zugriff ist, zeigt das Beispiel des Rundköpfigen Apfelbaumbohrers. „Das ist ein ganz massiver Schädling in Nordamerika, der für massive Ernteschäden sorgt“, erklärt Heethoff. Die Gefahr bestehe, dass der Bockkäfer auch nach Europa einwandere. „Es ist wichtig, dass die Bevölkerung weiß, wie er aussieht, um Bescheid zu geben bei einem Befall.“
Scanner wurde an der TU Darmstadt konstruiert
Das Berliner Naturkundemuseum ist eine der ersten Forschungseinrichtungen, die über den neuartigen Scanner verfügt. Konstruiert wurde er von Heethoff und seinen Kollegen in einem Projekt an der Technischen Universität Darmstadt. In der Forschergemeinschaft sorgten sie damit für regelrechte Begeisterungsstürme. „Wir sind überrannt worden mit Anfragen“, sagt der Biologe. Mittlerweile kümmert sich das Digitale Naturhistorische Archiv Darmstadt (Dinarda), dessen Vorstand Hetthoff ist, ehrenamtlich um eine Bibliothek der Scans und die weitere Verbreitung der Geräte.
Da es sich um ein sogenanntes Open-Source-Projekt handelt, stehen die Baupläne des Scanners frei im Internet zur Verfügung. Auch beim Bau unterstütze Dinarda die Forschungseinrichtungen, erklärt Hetthoff. Die Kosten für Material und Aufbau lägen letztlich bei zehn- bis fünfzehntausend Euro. Neben dem Scanner im Naturkundemuseum in Berlin stehen bisher zwei Scanner in Darmstadt sowie je einer in Kiel und Oldenburg. „Eine ganze Reihe weiterer befinden sich in Bau“, sagt Heethoff.
Digitale Modelle auch in Videospielen im Einsatz
In Berlin sollen so die Bestände digitalisiert werden. Das wird dauern. Insgesamt lagerten 30 Millionen Objekte in der Sammlung, sagt Frederik Berger, wissenschaftlicher Leiter der Sammlungsdigitalisierung im Naturkundemuseum. Alleine in der Insektensammlung lägen 15 Millionen Exemplare. Doch nicht jedes müsste mit dem zeitintensiven Scanner digitalisiert werden, beschwichtigt Berger. Oft reiche ein einfaches Digitalfoto – sonst wäre seine Abteilung mit nur einem Scanner 6250 Jahre beschäftigt.
Das Einsatzgebiet der digitalen Modelle gehe in jedem Fall weit über die Forschung hinaus, erklärt er. Wer in Videospielen auf ein Monster trifft, hat in Wirklichkeit vielleicht ein Exemplar aus der Insektensammlung des Naturkundemuseums auf dem Bildschirm. „Wir haben sehr viele Anfragen aus der Computerspielindustrie“, sagt Berger. Auch Hobbyangler interessierten sich für die Stücke, sagt der Wissenschaftler. „Ich habe eine Anfrage von einem Fliegenfischer, der selber Fliegen im 3D-Drucker herstellen will.“