Mehr als 2000 Ampeln regeln auf Berlins 5300 Kilometern Straße den Verkehr, sie werden über zwölf Verkehrsrechner betrieben. Für Fußgänger sind die Schaltungen nicht immer optimal. Gerade an viel befahrenen Straßen reichen Grünphasen oft nicht mal, um bis zur Mittelinsel zu kommen.
Zwar kündigte Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) im Sommer an, das seit vielen Jahren bekannte Problem endlich zu lösen. Der Fußgänger-Lobbyverband Fuss e.V. warnt aber vor allzu euphorischen Erwartungen. Für die Optimierung der Ampelschaltungen veranschlagt Günther rund zehn Jahre. Wir haben zehn Ampeln getestet.
Ernst-Reuter-Platz, Charlottenburg
Wenn Studenten der TU Berlin am Ernst-Reuter-Platz die Hörsäle wechseln und dabei die Straße des 17. Juni überqueren, sollten sie dabei flinke Füße haben. Denn nicht nur, dass die Länge der Grünphase bei beiden Fahrspuren einen Zeitunterschied von zehn Sekunden aufweist, sie beginnen auch unterschiedlich. Lea (23) und Antonia (22) kommen gerade aus einem Seminar und müssen daher rennen, um über die Straße zu kommen. Noch etwas aus der Puste sagen beide: „Das ist hier jedes Mal so. Die Grünphase für Fußgänger muss viel länger sein, das schafft einfach niemand.“
Schönhauser Allee, Prenzlauer Berg
Besonders halsbrecherisch geht es an der U-Bahnstation Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg zu. Da viele die komplette Straße auch unter den Schienen hindurch mit einen Mal überqueren wollen, stürzen sie noch in der Rotphase los. Durch die unterschiedlichen Grünphasen für Fußgänger von 18 und 21 Sekunden ist ein komplettes Überschreiten so gut wie unmöglich. Frank D. (32) beobachtet das Spektakel, während er auf Frau und Kind wartet, die gerade im Staffellauf von der anderen Seite kommen. „Fahrradfahrer sind hier ein riesiges Problem, die sich trotz Rot zwischen den Fußgängern durchschlängeln und so ihnen noch Zeit rauben.“
Adenauerplatz, Charlottenburg
„Ich hatte große Angst, dass ich hinstürze“, sagt Rentnerin Helga (81), die gerade über die Kreuzung am Adenauerplatz läuft. Zudem würden einige Fahrzeuge die alte Dame wohl am liebsten von der Kreuzung schieben. Bei Grün hier den kompletten Kurfürstendamm zu überschreiten, ist auch für jüngeres Fußvolk fast unmöglich. Die Ampel auf dem südlichen Fahrstreifen zeigt gerade mal sieben Sekunden lang Grün, auf der Nordseite 13 Sekunden. Dass der Senat diese Zeiten nun verlängern will, freut die rüstige Dame. Doch als sie hört, dass es bis zu zehn Jahre dauern kann, sagt sie: „Das bringt mir nichts, wer weiß, ob ich dann noch lebe.“
Lützowplatz, Tiergarten
Wer gesund über die Schillstraße am Lützowplatz in Tiergarten kommen will, sollte etwas mehr Zeit mitbringen. Die beiden Fußgängerampeln schalten nur nacheinander auf Grün. Auch ist die eine Ampelphase mit 14 Sekunden nur halb so lang wie die der anderen Straßenhälfte. Michael Rosenstock (55), hat es gerade geschafft, die komplette Straße zügig zu überqueren. Er sagt: „Ich bin generell dafür, dass man den Fußgängern und Radfahrern längere Grünphasen einrichtet.“ Die Idee des Senats findet er einen ersten wichtigen Schritt zu einer Verkehrswende mit weniger Autos in der Stadt.
Potsdamer Platz, Mitte
Wer am Potsdamer Platz die Passanten beim Überqueren der Straße in der Grünphase beobachtet, wird feststellen: Alle stürmen gemeinsam los, schauen statt auf die Straße aufs Smartphone. Und übersehen dabei, dass die Grünphase nur andauert, bis man die Mittelinsel erreicht. Ein Risiko, denn der Kraftverkehr wartet ungeduldig. Marko und Marianne Bergk (48 und 56) aus der Schweiz haben es gerade bis zur Mitte geschafft. Die Ampelphasen für Fußgänger zu verlängern, halten beide für längst überfällig. Dass sich das zehn Jahre hinziehen kann, halten sie für einen „verfrühten Berliner Faschingswitz“.
Olivaer Platz, Charlottenburg
Am Olivaer Platz hat man versucht, mit Balken im Ampellicht zu zeigen, wieviel Zeit Passanten bleibt, die Kreuzung zu räumen. Einer Kitagruppe, die sich gerade Stück für Stück über die Kreuzung wagen muss, bringt das wenig. Eine Erzieherin berichtet: „Wir warten immer, bis die ganze Gruppe drüben ist und können uns nur langsam vorwärts bewegen. Wir würden wir uns nie zutrauen, die komplette Kreuzung auf einmal zu überqueren.“ Steht eine Fußgängerampel auf Grün, schaltet die andere bereits bei der Hälfte der Zeit wieder auf Rot.
Hardenbergstraße, Charlottenburg
Marina (37) und Patrick (38) stehen mit dem Kinderwagen an der Ampelkreuzung von Kant-, Hardenberg- und Budapester Straße auf der Verkehrsinsel. Hinter ihnen donnern Busse, Lastwagen und der Feierabendverkehr. Eine konsequente Überquerung aus Richtung Zoopalast zum Breitscheidplatz ist ausgeschlossen. Während man beim Start die erste Ampel 17 Sekunden Zeit hat, schaltet die zweite schon nach 13 Sekunden auf Rot. „Wir haben uns neben den Kinderwagen gestellt, weil wir Angst hatten, jemand fährt uns den Hintern weg“, sagt der Vater.
Bismarckstraße, Charlottenburg
Dass die Verkehrskreuzung an der Ecke Krumme Straße und Bismarckstraße einen lebensgefährlicher Verkehrsknotenpunkt sein kann, weiß Senta Aue (56) zu berichten, die an der Ecke in der Deutschen Oper arbeitet. „Eine Kollegin ist vor einem halben Jahr beim Überqueren unter einem Laster geraten und schwer verletzt worden. Die Grünphase ist so schnell vorbei, dass die Fußgänger noch mitten auf der Kreuzung stehen und Autofahrer somit denken, sie hätten Vorfahrt.“ Eine vollständige Überquerung bräuchte mindestens 20 Sekunden. Dies ist aber kaum zu schaffen, auch weil die Ampel auf einen Verkehrsstreifen vier Sekunden kürzer Grün zeigt.
Grunerstraße, Mitte
„Wer sich durch Berlin bewegt, braucht eben Zeit“, sagt Rollifahrer Christoph Piesanz (35), der sich gerade zügig vom Shoppingcenter Alexa über die Grunerstraße auf die andere Seite begibt. Wie dutzende Passanten konnte auch er die Straße samt Überführung nicht komplett überqueren. Obwohl auf der Seite des Alexanderplatzes die Ampel tatsächlich 45 Sekunden Grün zeigt, ist mit 35 Sekunden auf der anderen Seite ein Komplettübertritt nicht möglich. Pisang hast eine Idee: „Man könnte berechnen, wie lange der durchschnittliche Fußgänger zum Überqueren braucht und die Länge der Grünphasen so einstellen, dass es mindestens 80 Prozent schaffen würden.“
Karl-Marx-Allee, Friedrichshain
„Es ist ja schon wieder Rot“, fällt dem kleinen Finn (2) auf, der von Papa Christian Leppin (38) über die Karl-Marx-Allee am U-Bahnhof Weberwiese getragen wird. Denn: „Um in einer Grünphase die Straße zu überqueren, muss man am Strafpunkt auf der andern Seite lossprinten“, sagt der Papa. Die Mittelinsel ist zwar breit ausgebaut, nur wartet man zwischen den Ampelpahsen mehrere Minuten. Auch zeigt eine Spur 15 Sekunden Grün, die andere lediglich 10 Sekunden. „Das ist vor allem für Familien eine nervige Angelegenheit. Gegenüber gibt es eine Schule und ein Kita. Ein Knopf, der bei Übertrittswunsch umschaltet und auch einen kompletten Übertritt in der Grünphase ermöglicht, wäre das Beste“, so Leppin.