Leihroller

E-Scooter: Fußgänger-Verband kritisiert zahmen Senat

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Christian Latz
Seit gut drei Monaten gehören die E-Roller zum Berliner Straßenbild. Das gefällt nicht jedem.

Seit gut drei Monaten gehören die E-Roller zum Berliner Straßenbild. Das gefällt nicht jedem.

Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

Der Senat kann gegen die vielen E-Scooter nichts machen. Das findet der Verband FUSS unverständlich. Bremen zeigt, dass es anders geht.

Seit E-Scooter vor mehr als drei Monaten in Deutschland zugelassen wurden, erregen die Gefährte die Gemüter. Viele Berliner stören sich an den Tretrollern, die zu Tausenden Berlins Straßen fluten. Zum einen, weil die Nutzer mit hohem Tempo über die Gehwege fahren; zum anderen, weil die Fahrzeuge wild herumliegen. Ein Unding findet der Fußgänger-Verband FUSS e.V. – und wirft der Verkehrsverwaltung Untätigkeit vor.

Zwar hat Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) Anfang August eigens einen Gipfel zum Thema einberufen, viel geändert hat sich auf Berlins Straßen seitdem jedoch nicht. Grundsätzlich vermittelt die Verkehrsverwaltung die Position: Gegen die schiere Zahl der E-Scooter könne der Senat nichts machen.

Dass es anders gehen könnte, zeigt ein Blick nach Bremen. Die Stadt hat als einzige deutschlandweit das Aufstellen von Leih-Scootern zur Sondernutzung des Straßenlandes erklärt. Deshalb benötigen Anbieter der Miettretroller wie auch Cafés und Restaurants eine Genehmigung, wenn sie mit dem Verleihen auf der Straße Geld verdienen wollen.

Abstellverbot für E-Roller in den Grünanlagen

Der Effekt: Noch immer rollt kein einziger Tretroller durch die Hansestadt. „Die Hürde ist relativ hoch für die Anbieter“, sagt Gunnar Polzin, Leiter der Abteilung Verkehr in der Verwaltung des Bundeslands. „Das führt dazu, dass Bremen in der Regel nicht die erste Stadt ist, wo das probiert wird.“ Ähnlich sei es auch schon bei den Leihrädern gelaufen, erklärt er. Dennoch gäbe es heute einen Anbieter mit festen Stationen in Bremen. Einen Wildwuchs der Freefloating-Räder wie in Berlin habe Bremen deswegen jedoch nie erlebt.

Die Einstufung als Sondernutzung ermöglicht es der Hansestadt, die Genehmigung zum Aufstellen der Flitzer an eine Reihe von Regeln und Bedingungen zu knüpfen. So erlaubt die Stadtverwaltung den Anbietern, zunächst nur maximal 500 Tretroller zu platzieren.

Verboten ist es, die Geräte etwa in Grünanlagen abzustellen. Melden Bürger widerrechtlich abgestellte E-Scooter, müssen diese binnen 24 Stunden um mindestens 50 Meter umgestellt oder ganz entfernt werden, heißt es in der Bremer Sondernutzungserlaubnis. Auch eine kleine Gebühr ist zu entrichten. Halten sich die Unternehmen nicht dran, drohen Strafen bis zum Lizenzentzug.

Anbieter Lime darf Tretroller in Bremen verleihen

Abteilungsleiter Polzin macht keinen Hehl daraus, was er vom neuen Mobilitätsangebot und dem Umgang damit in anderen Städten hält. „Es wird ein reines Industrieprodukt in den Raum geschmissen, das nicht zu Ende gedacht ist.“ Vor allem Touristen würden ein ihnen nicht bekanntes Verkehrssystem in einer nicht vertrauten Umgebung nutzen.

Komplett verhindert wird das Leihmodell in Bremen durch das strenge Vorgehen der Verwaltung jedoch nicht. Vergangene Woche teilte die Verwaltung mit, dass in Kürze Tretroller des auch in Berlin stark vertretenden Anbieters Lime durch die Straßen an der Weser rollen werden – jedoch nach den strikten Spielregeln der Stadt.

Nach den ersten chaotischen Wochen hatte Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) ein ähnliches Vorgehen für den zentralen Berliner Bezirk angedroht. Stattdessen einigten sich die Senatsverkehrsverwaltung und Bezirke Anfang August mit den Anbietern Bird, Voi, Tier, circ und Lime auf eine Vereinbarung, um unter anderem am Brandenburger Tor die Tretroller-Flut einzudämmen.

Berlin hat bei Sondernutzung eine andere Rechtsauffassung

Zwar sei das Bremer Modell im Haus von Verkehrssenatorin Günther „selbstverständlich vertraut“, heißt es von der Verkehrsverwaltung. „Berlin kommt allerdings – nach sorgfältiger Prüfung – zu einer anderen Rechtsauffassung. Das freie Abstellen der Leih-E-Scooter halte man nicht für eine Sondernutzung, solange nicht mehr als vier Geräte nebeneinanderständen.

Bremen hingegen bleibt bei seiner Haltung. Mehrere Juristen der Verwaltung hätten sich damit befasst, sagt Polzin. Die Erfahrung gebe ihnen Recht. „Die Anbieter beugen sich dem. Es ist keiner dagegen vorgegangen, weil sie die rechtliche Position bei uns akzeptieren.“

Mit der Haltung steht Bremen deutschlandweit alleine da, „ein gallisches Dorf“, wie Polzin es nennt. Nicht alle Städte täten sich leicht, dem zu folgen. „Da braucht man ja auch Rückgrat.“

Ziel ist die Änderung der Straßenverkehrsordnung

Warum Berlin und andere Städte dies nicht ebenfalls versuchten, versteht Roland Stimpel, Vorsitzender des Fußgänger-Verbands FUSS e.V. nicht. „Wir können nicht nachvollziehen, dass die Stadt dieses Instrument nicht einsetzt.“ Für eine kommerzielle Nutzung des öffentlichen Straßenlandes müssten die Anbieter zahlen. Die Kommunen müssten da härter sein und im Zweifel, so Stimpel, das Ganze einmal gerichtlich durchfechten.

„Wenn der BGH dann sagt, diese Nutzung ist Gemeingebrauch, dann stärkt das den Druck auf den Gesetzgeber.“ Dann müsste das Bundesverkehrsministerium den umstrittenen Paragrafen in der Straßenverkehrsordnung (StVO) endlich ändern, meint der Fußgänger-Lobbyist.

Eine entsprechende Änderung der StVO wünsche sich auch die Verkehrsverwaltung, heißt es auf Anfrage. Dafür setze man sich „bereits auf unterschiedlichen Ebenen aktiv ein“. Solange bleibt in Berlin alles beim Alten.