Arbeitsschutz

Schon sieben tödliche Unfälle auf Berliner Baustellen

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Risiko Arbeitsplatz: Auf Berliner Baustellen hat es in diesem Jahr bereits sieben tödliche Arbeitsunfälle gegeben.

Risiko Arbeitsplatz: Auf Berliner Baustellen hat es in diesem Jahr bereits sieben tödliche Arbeitsunfälle gegeben.

Foto: Jens Kalaene / dpa

Sieben tödliche Arbeitsunfälle gab es 2019 bereits auf Berliner Baustellen. Die Arbeitssenatorin mahnt einen besseren Arbeitsschutz an.

Berlin. Bis zu 50 Brote stellt Bäckermeister Mattis Harpering täglich für die hungrigen Besucher des Open-Air-Areals Holzmarkt am Friedrichshainer Spree-Ufer her. Dazu kommen weitere Leckereien wie Focaccias oder Zimtschnecken. Seit zweieinhalb Jahren betreibt Harpering die Schaubäckerei „Die Backpfeife“. Drei Mitarbeiter helfen dem 32 Jahre alten Handwerker bei der Produktion der Teigwaren und im Verkauf. Arbeitsunfälle gab es glücklicherweise noch nicht, sagte Harpering am Montag während eines Treffens mit Berlins Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke).

Damit das so bleibt, hat der Firmenchef investiert: Für mehrere Tausend Euro kaufte der Bäcker etwa eine neue Abzugsanlage, baute ein Schutzblech an die Knetmaschine und eine Vorrichtung für den sogenannten Abziehapparat. Mit dem Gerät können seine Mitarbeiter die Brote nun einfacher und vor allem sicherer im Ofen platzieren. Außerdem finanziert Harpering seiner Belegschaft spezielle Schuhe mit Stahlkappen sowie Rückenschulen. Und: Der Bäckermeister bezieht nun nur noch Mehlsäcke, die 12,5 statt 25 Kilogramm schwer sind. So könne auch die Auszubildende mit anpacken, erzählte Bäckermeister Harpering.

2017 ereigneten sich in Berlin 31.446 Arbeitsunfälle

Die kleine Schaubäckerei sei eines der Vorbilder, wenn es um Arbeitsschutzmaßnahmen in Berliner Unternehmen gehe, sagte Senatorin Breitenbach. Generell beobachte sie ein gestiegenes Verantwortungsbewusstsein bei den Arbeitgebern für das Thema. Nach den neuesten Zahlen ist die Zahl der Arbeitsunfälle in Berlin zuletzt leicht zurückgegangen. 2017 zählte das zuständige Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LAGetSi) mit 31.446 Arbeitsunfällen rund 800 Vorkommnisse weniger als im Jahr zuvor. Berlin gehöre damit im bundesweiten Vergleich noch immer zu den Ländern mit einer relativ geringen Arbeitsunfallquote.

Laut Bericht verunglückten 2017 bundesweit 21,16 von 1000 vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, in Berlin hingegen nur 18. Trotz besserer Technologien und mehr Verantwortungsbewusstsein der Arbeitgeber ereignete sich statistisch gesehen allerdings in jeder dritten Firma ein Arbeitsunfall pro Jahr, so Breitenbach. Nachholbedarf gebe es laut LAGetSi-Chef Robert Rath vor allem in kleineren Betrieben. Im vergangenen Jahr stellten seine Mitarbeiter in 2171 Berliner Unternehmen 3189 Beanstandungen in Sachen Arbeitsschutz fest. Hinzu kamen 2537 Beanstandungen außerhalb von Betriebsstätten, zum Beispiel auf Baustellen.

Arbeitssenatorin kritisiert Baubranche scharf

Das Baugewerbe habe mit Blick auf den Arbeitsschutz weiter Nachholbedarf, sagte Breitenbach. „Wer baut, hat als Bauherr Verantwortung für seine Mitarbeiter“, so Breitenbach. Das Baugewerbe sei seit Jahren Spitzenreiter bei den Arbeitsunfällen. Allein 2019 haben sich, so die Senatorin, auf Berliner Baustellen bereits sieben tödliche Arbeitsunfälle ereignet. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle branchenübergreifend bei lediglich sechs, 2017 kam es in ganz Berlin zu fünf tödlichen Zwischenfällen während der Arbeitszeit.

Bauunternehmen arbeiteten teilweise mit „Sub-Sub-Sub-Firmen“, so Breitenbach. Die dort beschäftigten Mitarbeiter hätten keine Garantie auf Lohnzahlung sowie erbärmliche Unterkunfts- und Arbeitsbedingungen, kritisierte die Linken-Politikerin. Mit Blick auf den Arbeitsschutz sei auch die Globalisierung eine Herausforderung. Angesichts der zahlreichen ausländischen Beschäftigten auf dem Bau bezeichnete Breitenbach schriftliche und auf deutsch erfolgende Arbeitsschutzbelehrungen als unzureichend. Nötig seien vielmehr verständliche Piktogramme. Unterlassener Arbeitsschutz bei einzelnen Mitarbeitern führe letztlich auch dazu, dass alle Beschäftigten auf Baustellen gefährdet seien, so Breitenbach.

Bauindustrie: Verhinderung von Arbeitsunfällen habe „höchste Priorität“

Erst in der vergangenen Woche hatte der Zoll in Berlin Razzien im Baugewerbe durchgeführt. Im Visier stand dabei auch ein Berliner Bauunternehmen, dem Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung und bandenmäßiges Einschleusen von ausländischen Arbeitskräften vorgeworfen wurden.

Die Verhinderung von Arbeitsunfällen habe für Bauunternehmen „höchste Priorität“, entgegnete der Bauindustrieverband Ost auf Morgenpost-Anfrage mit: „Schutzmaßnahmen auf Baustellen werden kontinuierlich evaluiert und Verbesserungspotential systematisch genutzt, um eine Arbeitsschutzkultur der Gefahrenprävention, nicht der Vorschriften zu schaffen. Aber auch die Arbeitnehmer müssen ein Verantwortungsbewusstsein für sich und andere entwickeln“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Robert Momberg. Um auch fremdsprachige Mitarbeiter zu erreichen, kämen Schulungsvideos in diversen Sprachen zum Einsatz, so Momberg weiter.

FG Bau: Schwarzarbeit steht auch für massive Verletzungen der Arbeitssicherheit

Die Fachgemeinschaft Bau in Berlin nannte jeden Arbeitsunfall „höchst bedauerlich“. „Daher hat der Arbeitsschutz für die Fachgemeinschaft Bau und ihre Mitgliedsbetriebe oberste Priorität. Unsere Unternehmen beschäftigen deshalb nur qualifizierte Fachkräfte und statten sie nach den Regeln des Arbeitsschutzes mit persönlicher Sicherheitsausrüstung aus“, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Verbands, Manja Schreiner. Bei Firmen hingegen, die sich durch Preisdumping und Schwarzarbeit Vorteile am Markt verschafften, seien die Mitarbeiter oft nicht entsprechend qualifiziert, zudem würden Sicherheitsmaßnahmen aus Kostengründen gestrichen. „Schwarzarbeit steht auch für massive Verletzungen der Arbeitssicherheit. Das belegen uns immer wieder unsere Baustellenläufer“, so Schreiner weiter.