Berlin. Der Brexit ist beschlossene Sache, Großbritannien wird aller Voraussicht nach am 31. Oktober 2019 die Europäische Union verlassen. Die Folgen werden auch Berlin treffen. Unternehmen drohen Lieferschwierigkeiten, die Verwaltung muss schon jetzt Tausende Aufenthaltstitel für hier lebende Briten ausstellen und Zoll sowie die Bundespolizei stellen wegen schärferer Grenzkontrollen mehr Personal ein. „Die politische Unsicherheit, ob es doch zu einem harten Brexit kommt, ist zuletzt größer geworden. Wir sehen, dass die Berliner Unternehmen angesichts der anhaltenden Unsicherheit nach und nach ihre Handelsbeziehungen mit den Briten zurückfahren“, sagte Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu Berlin (IHK) der Berliner Morgenpost. „Das ist keine gute Entwicklung.“
Längere Wartezeiten für britische Touristen
Eine Brexit-Umfrage der IHK Ende 2018 ergab unter den 200 teilnehmenden Unternehmen unter anderem, dass fehlende Erfahrungen im Handel mit Drittstaaten, dazu zählt Großbritannien dann, neben Kostenbelastungen (Zölle) auch zu erheblichen Verzögerungen im Betriebsablauf führen werden. 55 Prozent der befragten Unternehmen gab an, Waren in das Vereinigte Königreich (UK) zu exportieren. Auch der Export von Dienstleistungen wurde von fast einem Drittel der Befragten angegeben. Nach IHK-Angaben würden etwa 53 Prozent der Unternehmen mit UK-Bezug bis zu neun Prozent des Umsatzes in UK erwirtschaften. Weitere 25 Prozent erwirtschaften sogar bis zu 20 Prozent in UK, wären also stark von einem „harten Brexit“ betroffen.
Auch das Reisen wird künftig beschwerlicher. So werden sich britische Touristen an den Flughäfen auf längere Wartezeiten einrichten müssen. Sie müssen sich nach dem 31. Oktober dann am Schalter für Nicht-EU-Reisende anstellen und werden eingehender kontrolliert. Wie ein Sprecher der Bundespolizei sagte, sei es aus baulichen Gründen kaum möglich, weitere Abfertigungsstellen aufzubauen. Für jedes Hauptzollamt in Deutschland wurden Notfallmaßnahmen festgelegt. In Berlin stehen 16 zusätzliche Beschäftigte zur Verfügung, deutschlandweit wurde ein Personalmehraufwand von etwa 900 Stellen ermittelt.
Der bevorstehende Brexit bereitet auch dem Berliner Pizza-Produzenten Freiberger Sorgen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Reinickendorf stellt an verschiedenen Produktionsstandorten in Europa Pizzen her und bezieht die Rohstoffe aus mehreren Ländern in der Europäischen Union. In einem Werk bei Manchester stellt das Unternehmen gekühlte Pizzen her. Für die Produktion muss Freiberger zahlreiche Rohstoffe auf die Insel bringen: Tomaten kommen zum Beispiel aus Portugal, Salami aus Dänemark. Zudem exportiert Freiberger Tiefkühlpizzen aus seinem Werk in Süddeutschland nach Großbritannien.
Lieferverzögerungen durch stärkere Grenzkontrollen
„Wir haben die Lager in England bevorratet, könnten acht Wochen ohne Lieferung aus Kontinentaleuropa auskommen“, sagte Vertriebs-Chef Thomas Schulz. Bei einem harten Brexit rechnet Freiberger mit Lieferverzögerungen, ausgelöst durch Kontrollen an den Grenzen und Formalitäten beim Zoll. Am Produktionsstandort bei Manchester hatte das Unternehmen zudem für zahlreiche Mitarbeiter Arbeitsgenehmigungen beantragen müssen. Etwa 270 der 950 Beschäftigten haben keinen britischen Pass, auch, weil Freiberger in den vergangenen Jahren dort verstärkt Arbeitnehmer aus Osteuropa angestellt hatte.
Die IHK bietet Brexit-Beratungen für betroffene Unternehmen, die Berliner Politik und die Verwaltung an. Es gibt einen Internet-Auftritt (www.ihk-berlin.de/brexit) zu allen relevanten Fragen. Perspektivisch wird die IHK nach eigenen Angaben im Falle eines „harten Brexit“ Crashkurse anbieten. Außerdem hat die IHK 2019 zusätzliche Personalkapazitäten für die verstärkte Brexit-Unternehmensberatung geschaffen.
Für die etwa 18.000 in Berlin lebenden und potenziell vom Brexit betroffenen Briten bietet die Ausländerbehörde seit Anfang des Jahres eine Online-Registrierung an. Sie können im Internet einen Aufenthaltstitel beantragen. Laut Senatsinnenverwaltung haben sich mit Stichtag 8. August 10.756 Britinnen und Briten über die Homepage bei der Ausländerbehörde registriert. Davon haben bis zum 1. August 2466 Personen bei der Ausländerbehörde vorgesprochen und einen Aufenthaltstitel erhalten.
Auch die Zahl der Einbürgerungsanträge steigt stetig. Waren es 2016 noch 465, ist die Zahl im vergangenen Jahr auf 685 gestiegen. Im ersten Halbjahr 2019 waren es bereits 716. „Zur Sicherung der Aufenthaltsrechte empfiehlt die Ausländerbehörde weiter ausdrücklich allen in Berlin lebenden britischen Staatsangehörigen , sich über das Onlineformular registrieren zu lassen“, sagte ein Sprecher der Innenverwaltung.
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