Naturkundemuseum

Suche nach Mikrometeoriten vom Dach

| Lesedauer: 6 Minuten
Gisela Gross
Die Freiwilligen versuchen ganz kleine Meteoriten-Krümel zu entdecken.

Die Freiwilligen versuchen ganz kleine Meteoriten-Krümel zu entdecken.

Foto: Britta Pedersen / dpa

Jeden Tag fällt außerirdischer Staub auf die Erde. Bei einem Mitmach-Projekt des Naturkundemuseums helfen Berliner, ihn zu erkennen.

Geschosse aus dem All, die beim Einschlag riesige Krater auf der Erde hinterlassen – so stellt man sich als Laie gemeinhin einen Meteoriten vor. Dass diese aber tatsächlich in viel größerer Zahl in Miniaturform auf uns rieseln, ist weniger bekannt. Und erst seit wenigen Jahren ist klar, dass sich die außerirdischen Körnchen in Städten bergen lassen, wo sie zum Beispiel auf Flachdächern liegen bleiben. In Berlin haben Wissenschaftler mit der Suche begonnen und auch Bürger zur Mithilfe aufgerufen.

„Mikrometeorite – Der kosmische Schatz Berliner Dächer“ heißt das Mitmach-Projekt des Naturkundemuseums und der Freien Universität Berlin (FU Berlin), das vor wenigen Tagen gestartet ist. Mehr als 100 Menschen wollten mit auf die Jagd gehen, rund 20 wurden ausgewählt: vom Kind bis zum Rentner. Die Hälfte von ihnen sitzt an einem schwülen Morgen in einem abgedunkelten Hinterzimmer des Museums, um sich am Mikroskop an die Arbeit zu machen. Manche haben dafür extra Urlaub genommen.

Die Freiwilligen bekommen Plastiktütchen mit relativ dunklen Körnchen ausgeteilt, die mit bloßem Auge kaum voneinander zu unterscheiden sind. Diese gilt es in Petrischalen zu füllen und zu analysieren. „Tun sie möglichst wenig rein“, mahnt Projektkoordinator Thilo Hasse, der die Gruppe anleitet. Was die Freiwilligen vor sich haben, ist Schmutz, der auf Dächern zusammengefegt wurde. Darunter können auch Partikel sein, die bei Bauarbeiten, in der Industrie, im Verkehr oder durch Feuerwerk entstanden sind. Um Mikrometeorite herauspicken zu können, brauche es „Manpower“, sagt Projektleiter Lutz Hecht. „Man sollte schon davon ausgehen, dass man auf jedem Dach welche findet“, ermutigt Hasse. Allerdings ist der Aufwand zur Klärung der Frage, welches Teilchen außerirdisch und damit Millionen Jahre alt sein könnte, nicht zu unterschätzen.

Jeder Helfer hat eine Art Schaschlikspieß, um die Körnchen in der Schale zu bewegen und ins Blickfeld zu schubsen. Eine Geduldsprobe. Beim Blick durchs Okular zeigt sich eine Vielfalt an Farben, Formen und Oberflächen. Was ist was?

Noch bevor sich die Frage überhaupt stellt, stand das Projektteam vor einem Berg Arbeit. Auf großen Dächern kämen beim Fegen schnell mehr als 100 Kilo Staub zusammen, schildert Hasse. Unmöglich, diese Menge am Mikroskop durchzuschauen. Deshalb siebte das Team zunächst Teilchen mit einer Größe von mehr als 0,8 Millimeter aus. Mikrometeorite sind nämlich meist eher 0,2 bis 0,3 Millimeter klein. Bei der Auslese half dann auch ein Magnet, an dem nur wenig hängen bleibt – darunter die gesuchten Körnchen aus dem All, die zum Beispiel Eisen enthalten können. Mit Waschen und Dekantieren wurde die Menge noch kleiner – von 100 Kilo Dachstaub blieben 15 Gramm übrig, schildern die Experten. Nach besonders schwarzen, nicht ganz kugelrunden Körnchen halten die Freiwilligen Ausschau. Es wird still im Raum. Generell gilt: Nicht alle kosmischen Staubkörner sind leicht zu erkennen, und nicht alle sind gleichermaßen spannend für Experten.

Die Suche kann sich lohnen, das wissen die Initiatoren, zu denen der Mineraloge Ralf Milke vom FU-Institut für Geologische Wissenschaften gehört. Mehr als 100 Mikrometeorite habe das Team seit 2018 in Berlin gefunden, sagt er. Zehnmal so viele hätte er gern.

Bis vor wenigen Jahren hielten Experten Mikrometeoritenfunde in Städten für eher unmöglich. Wissenschaftler suchten danach in abgelegenen Regionen, etwa im arktischen Eis, wie Ansgar Greshake, Kustos der Meteoritensammlung des Museums, sagt. Proben wurden demnach auch vom Meeresboden und direkt aus der Stratosphäre geholt. 2017 zeigte eine Studie, dass außerirdischer Staub sehr wohl vor der Haustür zu finden ist. „Anfangs tapste ich total im Dunkeln“, schreibt Norweger Jon Larsen in dem Buch „Die Jagd nach Sternenstaub“. Nach Hunderten Sucheinsätzen auf Dächern und anderswo gelang es ihm, systematisch menschengemachte von kosmischen Partikeln zu unterscheiden. Mit Larsens Pionierarbeit, die Bilder als Vergleich liefert, war der Grundstein für die Berliner Aktion gelegt.

Der achtjährige Johann hat am Mikroskop den ersten Treffer

Für die Wissenschaft ist die Herkunft von Mikrometeoriten interessant. Mögliche Quellen seien der Asteroidengürtel im Sonnensystem, wo sie bei Kollisionen entstehen, und Kometen, sagt der Physiker Mario Trieloff (Uni Heidelberg). Suchaktionen in Städten hätten ihre Berechtigung – auch weil nicht jeder Forscher an Proben anderer Gruppen gelange, beispielsweise die der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Das Vorhaben in Berlin ist ihm zufolge bisher einzigartig.

Einen weiteren Vorteil führt FU-Forscher Milke an: Bei Dächern lasse sich zeitlich eher eingrenzen, wann die Mikrometeorite fielen. Bei Körnchen, die aus der Arktis geschmolzen wurden, wisse man es nicht. Würden Forscher nun über Jahre auf ausgewählten Dächern suchen, ließe sich auch erforschen, ob es Phasen oder Ereignisse gibt, die mit verstärktem Mikrometeoriten-Fluss zur Erde einhergehen, so Milke.

Bei der Aktion zeigt sich, dass schon Schüler den richtigen Riecher haben können: Der acht Jahre alte Johann findet am Mikroskop den ersten mutmaßlichen Mikrometeoriten. Gewissheit bringen erst weitere Analysen. „Die Form passt super“, urteilt Hasse. Johann nimmt den Erfolg mit großem Ernst: „Der hat nicht geglänzt und war eher dunkel“, sagt er. Insgesamt wurden wohl sechs Mikrometeoriten entdeckt, wie eine Sprecherin mitteilt. Alle sollen weiter untersucht werden, dabei können die Finder einbezogen werden. Auch Aufnahmen ihres Mikrometeoriten sollen sie bekommen. Die Körnchen sollen der Forschung zur Verfügung stehen.

( dpa )