Kreuzberg

Die Begegnungszone Bergmannstraße wird immer teurer

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Martin Nejezchleba
„Begegnungszone Bergmannstraße“ in Kreuzberg: Parklets und farbige Punkte auf der Fahrbahn sorgen für Ärger.

„Begegnungszone Bergmannstraße“ in Kreuzberg: Parklets und farbige Punkte auf der Fahrbahn sorgen für Ärger.

Foto: Anikka Bauer

Der Streit um die Begegnungszone an der Bergmannstraße geht weiter. Senat und Bezirk machen unterschiedliche Angaben zu den Kosten.

Berlin. Es könnte eine entspannte Zeit sein. Eigentlich. Meist strahlt die Sommersonne auf die gelben Parklets an der Bergmannstraße, darauf genießen Menschen tagsüber Eis, abends das eine oder andere Späti-Bier. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg ist in der Sommerpause, die Verkehrssenatorin im Urlaub, der zuständige Stadtrat Florian Schmidt (Grüne) auch.

Und dennoch: Auch mitten im Sommerloch schäumen die Gemüter der Bezirkspolitiker. Es geht um die Begegnungszone Bergmannstraße. Also jene 500 Straßenmeter zwischen Mehringdamm und Marheinekeplatz, die seit einigen Monaten grüne Punkte und gelbe Parklets tragen. Modellprojekt 5 – Fußverkehrsstrategie. Senat und Bezirk testen hier das „verträgliche Miteinander aller im Straßenverkehr“.

Begegnungszone Bergmannstraße: Unterschiedliche Angaben über die Kosten

Der Grund für die Aufregung ist eine Frage, die die Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr erst nach fast zwei Monaten und vielen Nachfragen durch diese Zeitung beantwortet. Es ist die Frage nach den Kosten.

Zur Erinnerung: Nachdem sich die Kritik an grünen Punkten auf der Fahrbahn überschlagen hatte, hat das Bezirksamt die Kosten für die Begegnungszone auf rund 885.000 Euro beziffert. Erst auf Nachfragen der Berliner Morgenpost wurde im Mai klar: Bezieht man die Planung mit ein, ergeben sich Kosten von rund 1,12 Millionen Euro. Jetzt gibt die Verkehrsverwaltung bekannt: Zum 5. Juli 2019 belaufen sich die voraussichtlichen Gesamtkosten auf 1.676.500 Euro.

Warum kommen die tatsächlichen Kosten für das Vorzeigeprojekt der angestrebten Verkehrswende erst nach und nach ans Licht? Und: Wie setzen sie sich zusammen? Aus dem Bezirksamt heißt es: „In unserer Kostenauflistung wird die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht mit aufgezählt“, so eine Sprecherin. Auch nicht das, was der Senat im Vorlauf zur Planung der ersten Testphase ausgegeben hat. Außerdem seien seit Mai womöglich noch einmal Kosten dazugekommen. Aber: In einer Antwort des Bezirksamtes auf eine Anfrage der CDU-Fraktion in der BVV, die auf den gestrigen Dienstag datiert und damit aktueller ist als die Angaben der Senatsverwaltung, wird weiter mit 1,12 Millionen Euro gerechnet.

Kreuzberger Bezirkspolitiker sprechen von Verschleierung

CDU-Fraktionschef Timur Husein, der die Anfrage gestellt hat, spricht von einer Verschleierungstaktik durch den Stadtrat. „Mich überrascht das leider gar nicht“, sagt Hannah Sophie Lupper von der SPD-Fraktion im Bezirk. Das Bezirksamt gebe Informationen zur Begegnungszone nur scheibchenweise heraus. Michael Heihsel von der FDP: „Das Auskunftsrecht der BVV wird mit Füßen getreten.“ Nun sind die Fronten in Sachen Begegnungszone seit Monaten verhärtet. Stadtrat Schmidt bekam Anfang Mai eine Missbilligung der BVV, weil er demokratische Beschlüsse, die Begegnungszone abzubauen, missachtete. Vor allem Ladenbesitzer in der Bergmannstraße machen lautstark Druck, befürchten Einkommenseinbußen.

Dabei gibt es durchaus auch positive Stimmen aus dem Bergmannkiez. Etwa von Hans-Peter Hubert von der Initiative „Leiser Bergmannkiez“. Er ist Anwohner und war von Anfang an in die Bürgerbeteiligung involviert. Die laufe gut. „Wenn man sich die etwas mehr kosten lasse, dann ist das an dieser Stelle gut investiertes Geld“, sagt Hubert.

Ähnliche Projekte für drei Millionen Euro

Und betrachtet man ähnliche Projekte in anderen Städten, dann seien auch die 1,67 Millionen Euro für 15 Straßenmöbel mit Hochbeeten und Liegestühlen, Rampen, Poller oder bunte Straßenmarkierungen nicht außerordentlich teuer. Das sagt zumindest Jürgen Gerlach, Verkehrsforscher an der Bergischen Universität Wuppertal, der die Senatsverwaltung bei der Planung der Begegnungszone in der Maaßenstraße in Schöneberg beraten hat. Als Beispiel führt er eine Begegnungszone in Bohmte bei Osnabrück an, die etwa drei Millionen Euro gekostet habe. Die Debatte in Berlin werde zu emotional geführt.

Das lässt sich ganz gut in den sozialen Medien beobachten. Hanna Sophie Lupper von der SPD hat sich dort beschwert, dass zusätzlich zur Reinigung durch die BSR und die Arbeit von Kiezläufern vermeintlich eine private Reinigungsfirma durch den Bezirk bezahlt werde, um Party-Müll von den Parklets zu beseitigen.

Lupper schrieb, eine der teuersten Straßen Berlins werde mindestens vier Mal täglich gereinigt, während andere Straßen mit ärmeren Bewohnern vermüllt blieben. Die Antwort der Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne): Es werde auch anderswo öfter gereinigt. „Aber klar, ihr findet alles Scheiße, selbst wenn es gut ist. Schade.“

Streit um private Reinigungsfirma

Das Bezirksamt bestreitet, dass es zusätzlich zu BSR und Wartungsarbeiten wegen Graffitis auf den Parklets eine private Reinigungsfirma mit Reinigung beauftragt hat. Und: Derartige Kosten seien auch nicht in der Gesamtsumme von 1,67 Millionen Euro verrechnet.

Bei einer weiteren Zahl aber kommen sogar Befürworter der Begegnungszone ins Stocken. „Das verschlägt mir jetzt wirklich die Sprache“, sagt Hubert von der Initiative „Leiser Bergmannkiez“. Es geht um den Wechsel der Planungsfirma im Jahr 2016. Der Senat sagt, man habe die ursprüngliche Planungsfirma LK Argus auf deren eigenen Wunsch nicht weiter beauftragt. Aus dem Bezirksamt wiederum heißt es in der Antwort auf eine BVV-Anfrage, man habe eine andere Firma gesucht, weil LK Argus einen Wettbewerbsvorteil gehabt hätte. Später ruderte das Bezirksamt zurück, die Senatsverwaltung habe Recht. Dennoch habe es ein Kostenangebot für die Umsetzung Begegnungszone von der LK Argus gegeben: etwa 281.000 Euro. Man hat sich für das Angebot des Planungsbüros A24 entschieden. Kostenpunkt: 674.000 Euro. Das Planungsbüro LK Argus wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

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