Schulden

In Berlin werden pro Jahr 5000 Wohnungen zwangsgeräumt

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Joachim Fahrun
Ein Gerichtsvollzieher überprüft den Schlüssel vor der Räumung einer Wohnung in Berlin-Wedding (Symbolfoto).

Ein Gerichtsvollzieher überprüft den Schlüssel vor der Räumung einer Wohnung in Berlin-Wedding (Symbolfoto).

Foto: imago

Wohnungsräumungen und abgeklemmte Leitungen gehören in Berlin zum Alltag. Die Koalition will verstärkt gegen Energiearmut vorgehen.

Berlin. In Berlin werden auch nach Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs Zehntausende Menschen für ihre Schulden in ihrem privaten Wohnumfeld sanktioniert. Jedes Jahr werden in der Stadt rund 5000 Wohnungen zwangsgeräumt, weil die Bewohner die Miete nicht bezahlen konnten. Genaue Zahlen können die Behörden nicht liefern, weil einige Bezirke nach Aussagen der Senatsverwaltung für Justiz die Räumungstermine in ihrem Gebiet nicht statistisch erfassen. Oft wird auch nicht dokumentiert, ob es nach für die Vermieter erfolgreichen Klagen und angesetzten Terminen tatsächlich zur Räumung kommt. Unklar ist ebenso, wie viele Bewohner tatsächlich auf die Straße gesetzt werden.

Für Gerichtsvollzieher gehören Zwangsräumungen zum Alltag

Für viele der 272 Gerichtsvollzieher in der Stadt gehören Zwangsräumungen aber zum Alltagsgeschäft. Er räume jeden Monat eine Wohnung und sperre sechs bis sieben Gas- und Stromleitungen, sagte ein für nur wenige Straßenzüge zuständiger Gerichtsvollzieher der Berliner Morgenpost. Jedes mal informiere er vor einem Räumungstermin die soziale Wohnungshilfe seines Bezirks, berichtete der Mann weiter. Geschehen sei nach seiner Kenntnis noch nie etwas, um die Mieter rechtzeitig vor der Wohnungslosigkeit zu bewahren. Die Bezirksämter hingegen hatten kürzlich in der Antwort der Justizverwaltung auf eine Anfrage der Linken betont, von Räumung bedrohte Mieter sehr wohl mit Beratungsangeboten zu unterstützen und in Einzelfällen auch die Mietschulden zu übernehmen.

Die große Reportage: Zwichen Leid und Bedrohung: Was Gerichtsvollzieher erleben

Die Daten weisen darauf hin, dass 2018 seltener geräumt wurde als in früheren Jahren. Die Zahl der Räumungsaufträge lag im Vorjahr bei 4918. 2016 waren es noch 5535, so die Justizverwaltung. Der Berliner Mieterverein berichtet, dass es dabei auch zu echten Härtefällen komme. So berichtet Geschäftsführer Rainer Wild vom Fall einer pakistanischen Familie mit drei Kindern, deren Wohnung geräumt worden sei, obwohl die Rechtsmittel gegen die Vollstreckung der Mietschulden noch nicht ausgeschöpft gewesen seien. Bei den Räumungen gibt er erhebliche Unterschiede zwischen den Bezirken. So strengten Gläubiger in Mitte oder Friedrichshain-Kreuzberg gut doppelt so viele und in Spandau gut dreimal so viele Klagen an wie in Steglitz-Zehlendorf.

Fast 19.000 mal wurde der Strom abgeschaltet

Noch deutlich häufiger als ihre Wohnung verlieren Schuldner in Berlin den Zugang zu Energie. In 18.877 Fällen wurden die Stromleitungen abgeklemmt. Hier ist die Tendenz leicht steigend. Meist traf es Kunden im Grundversorger-Tarif von Vattenfall. Andere Stromlieferanten setzten nur in rund 850 Fällen Sperren durch. Fast 125.000 Mal hat Vattenfall mit dem Kappen der Versorgung gedroht. Laut der Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linken lag der Zahlungsrückstand, der zur Androhung führte, bei „deutlich über 300 Euro“.

Gaskunden, von denen es viel weniger gibt als Bezieher von Strom, wurde im Vorjahr 2169 Mal die Gasleitung geschlossen. Die Betroffenen waren mit durchschnittlich 875 Euro im Verzug. Fast 100.000 Mal drohte die Gasag als Grundversorger Kunden wegen nicht bezahlter Rechnungen mit einer Sperre. Ende 2018 verzeichnete das Unternehmen offene Forderungen in Höhe von 15 Millionen Euro.

Rot-Rot-Grün hat im Mai im Abgeordnetenhaus den Antrag gestellt, dass die Grundversorger erst bei einem Zahlungsrückstand von mindestens 200 Euro tätig werden dürfen. Entschieden ist darüber noch nicht.