Berlin. Das Risiko, Opfer eines Messerangriffs zu werden, ist in Berlin nirgends so hoch wie im Zentrum von Wedding. Statistisch betrachtet, ereignete sich in dem Gebiet südlich der See- und der Osloer Straße und nördlich des S-Bahn-Rings im vergangenen Jahr jeden vierten Tag eine Straftat mit einem Messer. Das ergibt sich aus der Antwort der Innenverwaltung auf eine Anfrage des CDU-Fraktionsvorsitzenden Burkard Dregger.
Die noch unveröffentlichte Antwort liegt der Berliner Morgenpost vorab vor. Die Daten zeigen detailliert, in welcher der 138 sogenannten „Bezirksregionen“ seit 2017 wie viele Straftaten mit einem Messer begangen worden sind. Traurige Spitzenreiter waren im vergangenen Jahr neben dem Zentrum von Wedding (87 „Messertaten“) das Zentrum von Neukölln (76) und der Bereich Schöneberg Nord (70). Auffallend häufig setzten Straftäter Messer auch am Alexanderplatz (67) ein, sowie im Kiez Osloer Straße und im Viertel südlich der Frankfurter Alle (je 66).
Messerangriffe vor allem am Alexanderplatz und in Neukölln
Im ersten Quartal des laufenden Jahres rangiert mit 29 „Messertaten“ der Alexanderplatz ganz vorne. Es folgen das Neuköllner Zentrum und die Südliche Luisenstadt in Mitte (je 23), Moabit West (20) und das Zentrum von Wedding (19). Die Einwohnerzahl der „Bezirksregionen“ bleibt bei der Aufstellung unberücksichtigt.
Als Straftaten mit einem Messer sind auch Taten definiert, bei denen die Täter nicht zustachen, sondern die Waffen „nur“ als Drohkulisse einsetzten. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr laut Statistik 2838 Straftaten mit einem Messer verübt, wobei sich die Zahl nur auf Tötungs- und Sexualdelikte, sowie auf Körperverletzungen, Raub und Freiheitsberaubung bezieht.
In welchen Kiezen die meisten Messerangriffe stattfinden
Bezirksregion | 2017 | 2018 | 1. Quartal 2019 | Insgesamt 2017 bis 1. Quartal 2019 |
Wedding Zentrum | 100 | 87 | 19 | 206 |
Alexanderplatz | 105 | 67 | 29 | 201 |
Neuköllner Mitte/Zentrum | 74 | 76 | 23 | 173 |
Tempelhofer Vorstadt | 77 | 64 | 14 | 155 |
Osloer Straße | 71 | 66 | 15 | 152 |
Südliche Friedrichstadt | 80 | 59 | 10 | 149 |
Schöneberg Nord | 50 | 70 | 13 | 133 |
Moabit West | 61 | 51 | 20 | 132 |
Reuterstraße | 58 | 57 | 8 | 123 |
Frankfurter Allee Süd FK | 39 | 66 | 13 | 118 |
Berliner CDU: „Die Menschen in unserer Stadt haben Angst“
Die CDU forderte angesichts der Daten, Messerverbotszonen einzurichten. „Die Menschen in unserer Stadt haben Angst vor tätlichen Übergriffen. Und sie haben Angst davor, dass diese auch unter Einsatz von Messern erfolgen“, sagte CDU-Fraktionschef Dregger. Die Zahlen zeigten, dass die Angst berechtigt sei. Der Senat dürfe nicht länger untätig bleiben.
Nach dem Willen der CDU sollte das Tragen von Messern an Orten verboten werden, in denen in den beiden vergangenen Jahren jeweils 20 und mehr Straftaten mit Messern ausgeführt worden seien. Laut Statistik seien das 43 Orte. Darunter sind auch vermeintlich sichere Gegenden wie zum Beispiel die Region Alt-Reinickendorf oder Mariendorf. Gesetze müssten dafür nicht geändert werden, sagte Dregger.
Tatsächlich ermächtigt das Waffengesetz die Bundesländer, das Führen von Waffen auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu verbieten, wenn dort besonders viele Straftaten mit Waffen verübt wurden. Laut Gesetz müssten zudem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auch künftig mit vielen Straftaten zu rechnen sei.
Dregger fordert hohe Kontrolldichte
Mit der Aufstellung der Innenverwaltung liege nun eine Datenbasis vor, um das Gesetz anwenden zu können. „Daher fordere ich den Senat auf, von dieser Ermächtigung endlich Gebrauch zu machen“, sagte Burkard Dregger. Die personellen Ressourcen der Polizei seien begrenzt.
Um eine „wirksame Kontrolldichte zu erreichen, sollte ein Konzept der abwechselnden und wiederkehrenden Kontrollen durchgeführt werden, wobei die Kontrolldichte in den absoluten Messer-Hotspots am höchsten sein sollte“, sagte Dregger. Die CDU werde einen entsprechenden Antrag in das Abgeordnetenhaus einbringen.
Für weitreichende Änderungen muss Waffengesetz geändert werden
Angriffe mit Messern beschäftigen die Politik schon seit vielen Jahren. Bewegung kam in die Diskussion erst kürzlich durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz. Die Ressortchefs forderten den Bund darin auf, es den Bundesländern zu ermöglichen, Messerverbotszonen nicht nur in kriminalitätsbelasteten Orten, sondern auch in anderen Vierteln einzurichten.
Für diese im Vergleich zur heutigen Gesetzeslage sehr weitreichende Ermächtigung müsste der Bund allerdings das Waffengesetz ändern. Darauf will die Berliner CDU nicht warten und Verbotszonen daher zumindest an kriminalitätsbelasteten Orten einrichten, wie es das Waffengesetz bereits jetzt ermöglicht.
Innensenator setzt auf Verbote bei Großveranstaltungen
Innensenator Andreas Geisel (SPD) lehnt den CDU-Vorstoß allerdings ab. „Wir setzen auf zeitlich und räumlich begrenzte Verbote, zum Beispiel bei Großveranstaltungen“, sagte der Sprecher der Innenverwaltung, Martin Pallgen. Dies solle „anlassbezogen“ und in Abstimmung und nach einer Lageeinschätzung der Polizei erfolgen. Feste und dauerhafte Verbotszonen seien nicht kontrollierbar. Die CDU-Forderung gehe an der Realität vorbei.
Ob die Zahl der Messerangriffe bundesweit steigt oder sinkt, ist unklar, denn die meisten Bundesländer führen hierzu keine Statistik. Berlin gehört zu den Ausnahmen. 2011 registrierte die Hauptstadt-Polizei knapp 2500 Straftaten mit einem Messer. Im vergangenen Jahr waren es rund 2800.