Am leuchtend roten Schal erkennt man sie – die Stadtteilmütter. Und an ihren großen Taschen mit dem hübsch gezeichneten Bild einer Familie auf der Vorderseite: Mutter, Vater, Kind, Kind, Kind, Kind, Kind. Schon das Bild machte am Dienstag in einem Kreuzberger Familienzentrum klar, hier handelt es sich nicht um das bundesdeutsche Familienmodell, wo jede Frau lediglich im Durchschnitt 1,6 Kinder kriegt. Die klassische deutsche Familie ist weiterhin vierköpfig: Mutter, Vater und zweimal Nachwuchs. Wie in der Nutella-Werbung. Aber sobald ein Migrationshintergrund dazukommt, eine zweite Heimat also, wird die Kinderzahl oft größer. Es sind andere Familienkulturen.
Die muslimischen Eltern fühlten sich oft unsicher
„Wir haben irgendwann gemerkt, dass wir keinen Zugang zu diesen Familien finden“, erzählt Alix Katharina Rehlinger vom Diakoniewerk Simeon in Neukölln. Man wollte im Bezirk helfen, sah die Probleme – ob schulisch, gesundheitlich oder in der Erziehung – und kam nicht heran. Schnell hieß es, viele muslimische Familien würden sich überhaupt nicht für das Schulleben ihrer Kinder interessieren, kämen deshalb nicht zu Elternabenden. Aber dann kriegten Rehlinger und ihre Mitarbeiter mit, es war ganz anders. „Wir trauen uns nicht zu Elternabenden“, erzählten ihnen arabische und türkische Eltern. Ihr Deutsch war oft schlecht, sie waren unsicher, fühlten sich nicht willkommen. Und blieben weg.
Die Stadtteilmütter bilden eine Brücke zwischen den Welten
Aus dieser Wahrnehmung heraus entstand vor 15 Jahren das Projekt der Stadtteilmütter. Diese bilden eine Brücke zwischen Kita und den Familien, begleiten zum Arzt, zum Jugendamt, zu den Schulen, auch zu den Elternabenden. Jahrelang aber stand die Finanzierung dieser engagierten Frauen, die selbst Familie haben und erst eine lange theoretische und praktische Weiterbildung durchlaufen müssen, auf wackligen Füßen. Oft waren es die Bezirke wie Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg, die dem Projekt Stabilität gaben. Aber das ändert sich jetzt.
Denn die Stadtteilmütter werden nun ein fester Posten im Berliner Haushalt. Angebunden werden sie an das Haus von Senatorin Sandra Scheeres (SPD), an die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Zwischen 2020 und 2024 sollen 43 Millionen Euro für die Stadtteilmütter bereitstehen. Feste Stellen, die nach Tarif bezahlt werden. Für die Frauen, die als Stadtteilmütter arbeiten, eine große Sicherheit.
Momentan sind 157 Stadtteilmütter in Berlin im Einsatz
Und nicht nur das: „Wir brauchen noch mehr Stadtteilmütter und zwar in ganz Berlin“, sagte Scheeres am Dienstagvormittag im Familienzentrum tam in Kreuzberg. Deshalb soll sich bis 2025 die Zahl der Stadtteilmütter verdoppeln. Sind es aktuell 157, die überwiegend in den Bezirken Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg im Einsatz sind, sollen es bis 2025 rund 300 werden. „Die Frauen, die selbst einen Migrationshintergrund haben, begleiten und unterstützen Familien mit ausländischen Wurzeln“, erläuterte Scheeres. Sie könnten vermitteln und erklären, warum hier manche Werte anders sind als womöglich in der alten Heimat. Und die Angst nehmen vor der neuen Gesellschaft, damit deren Kinder eine gute Chance haben, hier erfolgreich anzukommen.
Ein bunter, bilderreicher Tisch zum Thema „Läuse“ wird aufgebaut
Aber auch die Stadtteilmütter selbst verändern sich durch die Arbeit. Voraussetzung ist, dass man selbst Familie hat und mehrsprachig ist. Ein halbes Jahr dauert danach die Ausbildung, die sich aus 200 Stunden Theorie und 50 Stunden Praxis zusammensetzt. Geschult wird in vielem, ob zum Thema Spracherziehung oder Umgang mit dem Fernseher oder auch, die Begeisterung für einen frühen Kita-Besuch zu wecken. Und am Ende steht die Stadtteilmutter auch schon mal im Kita-Vorraum und hat einen bilderreichen Tisch zum Thema „Läuse“ aufgebaut. In Kitas ein Dauerproblem. Und die Stadtteilmutter erklärt dann den anderen Müttern, wie man der Plage Herr wird.
Mit Gelassenheit und doch entschieden die Probleme angehen
„Ich war eine strenge Mama, ich wollte alles perfekt machen“, erzählt Sehnaz Yilmaz, die selbst Stadtteilmutter ist und seit Jahren in Kreuzberg arbeitet. Sie spricht türkisch, kurdisch und natürlich deutsch. Inzwischen sei sie gelassener, auch durch ihre berufliche Erfahrung. Diese Gelassenheit gibt sie auch den Familien weiter, die sie betreut. Probleme angehen, ohne zu dramatisieren. Wer Stadtteilmutter werden will, muss sensibel sein. Auch kommunikativ. Und ein Ohr für andere haben.
Viele Stadtteilmütter werden selbstbewusster durch ihren Job – und schaffen so den Sprung in die Berufstätigkeit. Manche werden dann später Erzieherin oder studieren sogar. „Für uns ist es ein großer Erfolg“, freut sich Ulrike Koch, die Leiterin des tam Familienzentrums. Denn bald gibt es die Stadtteilmütter berlinweit.