Berlin. Anwohner protestieren, weil sie sich bei der Gestaltung der Markthalle übergangen fühlen. Nun sollen sie stärker einbezogen werden.

Lange bestand bei Anwohnern Ungewissheit über die Kündigung der Aldi-Filiale in der Kreuzberger Markthalle Neun. Die Kette sollte ursprünglich am 31. Juli ausziehen. Dann sagten die Betreiber, wie berichtet, in einer Diskussionsveranstaltung mit Aktivisten aus dem Kiez im April: „Dieser Aldi schließt nicht, bis wir das hier gemeinsam entschieden haben.“ Das verstanden viele Zuhörer damals als Etappensieg.

Seitdem hat Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) den Fall an sich gezogen. Am Donnerstag gab sie den Marschplan für das weitere Vorgehen bekannt. Anwohner sollen weit stärker in die zukünftige Gestaltung einbezogen werden. So soll es etwa nach den Sommerferien ein Nachbarschaftsforum in der Markthalle geben.

Aldi-Filiale wird vorerst Mieter in der Markthalle bleiben

Ein neuer Dialogprozess werde möglich, nachdem die Betreiber der Markthalle mitgeteilt haben, dass der Aldi-Markt vorerst in der Markthalle Mieter bleiben wird, teilte Herrmann mit. Damit ist die Ankündigung vom April offiziell. Das Bezirksamt setzt nun auf die bewährte Form von Dialogverfahren. Damit wurden etwa im Mai für viele überraschend erfolgreich - wen auch spät - Bürger in die Gestaltung der Begegnungszone Bergmannstraße eingebunden. Bei der Planung der Radschnellverbindungen durch Berlin gehen Land und Bezirke nach gleichem Modell vor. Dabei war etwa die Beteiligung im Rathaus Zehlendorf für eine südwestliche Route im April hoch und lebhaft.

Umstritten ist der Auszug des Discounters, der durch einen Drogeriemarkt ersetzt werden soll, bei Anwohnern deshalb, weil sie den Rest der Halle als Luxus-Markt wahrnehmen. Dort werden Produkte verkauft, die für sie als regelmäßige Versorgung unerschwinglich sind. Andere Discounter befinden sich durchaus in der Nähe. Aber aus dem Auszug eines Supermarkts ist eine ideologische Auseinandersetzung geworden: Viele Anwohner fühlen sich in ihrem eigenen Kiez ausgeschlossen. Sie stellten im rauen armen Kreuzberger Umfeld die Kulisse für einen Gourmet-Tourismus in ihr Viertel, bei dem sie nur Statisten seien, sagen sie. Lärm und reger Autoverkehr seien das, was für sie übrig bleibe.

„Ein schickes Leuchtturmprojekt“

Hinzu kommen Pläne des grünen Verbraucherschutzsenators Dirk Behrendt, in einer Etage über dem zukünftigen Drogeriemarkt ein „House of Food“ zu etablieren. Dort sollen Köche von Kantinen öffentlicher Einrichtungen wie Schulen und Ämter lernen, wie man nachhaltig und gesund kocht. Aktivisten in Kreuzberg sehen darin ein schickes Leuchtturmprojekt, von dem sie und ihre Familien allerdings nicht profitieren.

Bezirksbürgermeisterin Herrmann versucht jetzt die Wellen zu glätten, unterstreicht allerdings die Bedeutung der Markthalle als gesunder Versorger. „Die Ernährungswende braucht neue Ideen. Wir müssen sie sozial gestalten, um eine gesunde, regionale und faire Ernährung für alle zu ermöglichen. Dies kann nicht von heute auf morgen geschehen“, so Herrmann am Donnerstag. Sie räumte ein, dass sich viele im Kiez die Angebote der Markthalle aktuell nicht leisten können. Daher müsse es Ziel sein, „eine Halle für alle weiterzuentwickeln. Für kluge nachhaltige Lösungen, wie die Ernährungswende für alle funktioniert, brauchen wir mehr Zeit“.

Einwöchiges Nachbarschaftsforum

Der neue Dialog soll nach den Ferien starten. Anwohnerversammlungen, die moderiert worden waren und an denen die Betreiber teilgenommen hatten, sollen in alter Form nicht mehr stattfinden. Ein anstehender Termin am 11. Juni fällt aus.

Stattdessen wird zu einem einwöchigen Nachbarschaftsforum in der Markthalle geladen. Dabei können die Anwohner vor Ort Ideen und Wünsche für eine zukünftige Halle hinterlassen. Anschließend werden diese Punkte ausgewertet und im Rahmen einer Beteiligungswerkstatt vorgestellt und besprochen.

Die Ergebnisse sollen am Ende in die weitere Gestaltung der Angebote in der Markthalle einfließen. Anwohner fragen sich allerdings, ob da auch die Option auf dem Tisch liegt, die Kündigung von Aldi langfristig zurückzuziehen und was das für eine laut Betreibern bestehende Abmachung mit dem folgenden Drogeriemarkt bedeuten würde.