Sechs Monate alt

Alle wollen Berlins kleine Eisbärin Hertha sehen

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Immer in Aktion: Die kleine Eisbärin Hertha sucht noch oft die Nähe von  Mutter Tonja.  Aber sie kann mittlerweile auch schon ganz gut allein spielen und toben

Immer in Aktion: Die kleine Eisbärin Hertha sucht noch oft die Nähe von Mutter Tonja. Aber sie kann mittlerweile auch schon ganz gut allein spielen und toben

Foto: Sven Darmer

Ein halbes Jahr ist die kleine Eisbärin heute alt. Sie wiegt 40 Kilogramm und sorgt im Tierpark für Unterhaltung.

Berlin. Wo ist Hertha? Das will in diesem Moment nicht nur ein kleiner Junge von seinem Vater im Tierpark wissen. Auch Eisbärenmutter Tonja, die auf dem Felsen liegt, ist unruhig geworden. Sie verlässt ihren Sonnenplatz, geht ans Wasser und blickt die Oberfläche ab. Alles spiegelglatt. Die Besucher recken ihre Hälse weit über die Mauer, nichts. Es ist ganz still in dieser Schrecksekunde. Alles nur Show? Auf einmal nähert sich etwas Weißes unter der Wasseroberfläche, wie ein U-Boot, ein riesiger schwarzer Eishockey-Puck treibt davor her. Mit lautem Platschen taucht sie auf – Hertha, die kleine Eisbärin, am heutigen 1. Juni genau sechs Monate alt. Sie hat sich doch nur ihr Lieblingsspielzeug geholt. Die Menge lacht und klatscht.

Hertha wird immer noch gesäugt

Schrecksekunden, die gut enden – das ist Herthas Spezialdisziplin. Eisbärenkurator Florian Sicks beschreibt sie als „verspielt, neugierig und frech“. Bei ihrem ersten Ausflug auf die Außenanlage im März hielt das Publikum den Atem an, als sie minutenlang kämpfte, um aus dem Wasser zu kommen. Immer wieder rutschte sie ab, wurde schwächer, tauchte ab. Tonja hat sie dann mit ihrer Tatze aus dem Wasser gefischt. Eigentlich war es kein besonderer Vorfall, schließlich müssen auch Eisbären erst schwimmen lernen. Aber es ist die Vorgeschichte, die die kleine Eisbärin zu etwas ganz Besonderem und alle um sie herum ängstlicher macht: Hertha, die den Namen von ihrem Paten Hertha BSC bekommen hat, ist das dritte Jungtier von Tonja. Während die ersten beiden noch in der Wurfhöhle gestorben sind, hat sie es geschafft. 40 Kilogramm wiegt die gar nicht mehr so kleine Eisbärin, die zwar schon Äpfel und Fleisch isst, aber noch regelmäßig von Mutter Tonja gesäugt wird.

Nach 24 Jahren wieder ein Eisbären-Jungtier

Als das Eisbärenbaby am 1. Dezember 2018 auf die Welt kam, war die Hoffnung erneut groß, endlich nach 24 Jahren im Tierpark wieder ein Eisbären-Jungtier präsentieren zu können. Diesmal musste es klappen. Florian Sicks saß stundenlang vor dem Monitor und verfolgte das Geschehen in der Wurfhöhle. „Am Anfang sind ja immer die Fragen entscheidend: Trinkt es? Trinkt es nicht? Trinkt es genug?“, sagt Sicks. Und auch bei diesem dritten Jungtier habe es einen aufregenden Moment gegeben: Eine Woche nach der Geburt hat das Eisbärenbaby plötzlich nur noch die Hälfte getrunken. Was tun? Wann sollte er eingreifen? Sicks rief eine Tierärztin in Gelsenkirchen an, schrieb eine E-Mail nach München, um sich Rat zu holen. Alle hätten ihn beruhigt, dass solche Schwankungen normal seien. Nach drei Tagen trank das Jungtier wieder. Alle atmeten durch. Seit Mitte April laufe nun alles, er könne sich auch wieder anderen Dingen widmen, sagt der Kurator. Tonja und Hertha sind ein eingespieltes Team. Anfangs unzertrennlich, kann die kleine Eisbärin mittlerweile gut allein spielen. Wer sie sieht, ist entzückt. „Wie süß!“ – das ist der häufigste Ausruf vor dem Kletterfelsen.

Besucherzahlen haben sich verdoppelt

Die Besucherzahlen haben sich seit März im Tierpark nahezu verdoppelt. Allein über die vier Ostertage kamen 50.000 Besucher. Schon früh am Morgen sitzen Kindergartengruppen auf den Treppen, Jugendliche beobachten das Tier und machen Notizen für den Unterricht, Väter und Mütter halten ihre Kinder hoch. Für einen Tag sind Daniel und Isabell Behrndt mit Tochter Amber aus Röbel an der Müritz nach Berlin gekommen. „Wir haben uns schon in Rostock den kleinen Eisbären angesehen“, erzählt der Vater. Jetzt wollten sie der Tochter auch den Berliner Bären zeigen. Und: „Ja, natürlich ist er süß“!

Der kleinen Hertha zuzusehen wird nicht langweilig. Die Pfleger hätten gut zu tun mit ihr, sagt Florian Sicks. Sie müsse ständig beschäftigt werden und bräuchte fast jeden Tag ein neues Spielzeug. Mehrere Bälle, Äste, Holzscheiben, eine Robbe aus Kunststoff und eine Eisscholle landeten schon im Wasserbecken. Im Moment ist der Puck, den die Eisbären Berlin als Paten von Tonja zur Verfügung gestellt haben, der Renner. Immer wieder versucht das Tier, auf die Scheibe zu klettern. Eine Stunde lang tobt Hertha durch das Wasser und über die Felsen. Dann braucht sie eine kurze Pause. Eisbärenmutter Tonja setzt sich auf und lässt das Riesenbaby trinken.

Die kleine Eisbärin bleibt zwei Jahre in Berlin

Die nächsten zwei Jahre wird die kleine Eisbärin im Tierpark bleiben. Dann hat Tonja ihre Erziehungsaufgabe erfüllt. „Es ist unwahrscheinlich, dass Hertha in Berlin bleibt“, sagt der Kurator. Wohin sie geht, werde über das europäische Erhaltungszuchtprogramm geregelt. Vielleicht kommt Eisbärenvater Wolodja, der gerade für Nachwuchs in einem Zoo in den Niederlanden sorgt, nach Berlin zurück. Dann könnte es im Tierpark bald wieder ein Jungtier geben.

Um 11 Uhr kommt Tierpflegerin Barbara Lächert zur kommentierten Fütterung. Seit Hertha auf der Anlage ist, wird noch eine zweite um 14 Uhr angeboten, denn der Andrang ist groß. An den Wochenenden stünden die Besucher in mehreren Reihen vor dem Eisbärengehege, sagt Florian Sicks. Auch an diesem Mittwochvormittag ist kein Platz mehr an der Mauer frei. Barbara Lächert hat einen Eimer mit Äpfeln und Möhren mitgebracht und wirft sie Tonja und Hertha abwechseln zu. Futterneid gibt es auch zwischen Mutter und Nachwuchs, das Jungtier versucht mehrmals Tonja den Apfel vor der Nase wegzuschnappen. Doch das ehemalige Zootier aus Moskau ist viel zu clever, da muss die kleine Eisbärin noch einiges lernen.

Pflegerin nennt Hertha „die kleine Maus“

Ob Hertha nun über den Berg sei, wird die Tierpflegerin aus dem Publikum gefragt. „Die kleine Maus“– wie sie von Barbara Lächert nur genannt wird – habe sich super entwickelt, erzählt die Pflegerin. Jetzt hoffe man, dass sie weiter wächst und gedeiht. „Die Hürden werden nie kleiner“, sagt Lächert. Aber es werde immer interessant bleiben. Und wahrscheinlich wird es noch die eine oder andere Schrecksekunde geben.