Berlin. Passanten bezeichneten sie schon mal als „mobile Teeküche“, andere dachten, es handele sich um „Wasserwerfer“: Die mobilen Videowagen der Polizei sorgten von Anfang an für Diskussionen in Berlin. Die Polizei setzt sie auf Veranlassung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) seit Anfang 2018 an kriminalitätsbelasteten Orten ein, um damit Straftaten zu dokumentieren.
Nun stellt sich heraus, dass die Wagen in den vergangenen zwölf Monaten zwar an immerhin 110 Tagen eingesetzt wurden. Die Videofunktion wurde aber fast nie genutzt. Wie die Innenverwaltung auf eine Anfrage des Abgeordneten Niklas Schrader (Linke) mitteilte, wurden die Kameras an gerade mal zwei Einsatztagen eingeschaltet. Am 27. April benötigten Beamte sie am Alexanderplatz, um eine Körperverletzung, sowie einen Waffenverkauf aufzuzeichnen. Bei einer weiteren Aufzeichnung am 19. April am Leopoldplatz handelte es sich um eine Fehlauslösung.
Die Linke sieht sich angesichts der nur zweimal genutzten Videofunktion in ihrer Ablehnungen der Videowagen bestärkt. Die Videowagen seien „ziemlich sinnlos“ und „eine Verschwendung von Ressourcen“, sagt der Innenexperte der Fraktion, Schrader. Die Polizei solle ihre Energie lieber für andere Aufgaben verwenden.
Obwohl die Kameras fast nie genutzt wurden, handele es sich dennoch um einen schwer wiegenden Grundrechtseingriff. Denn schon das Aufstellen der Anhänger mit den ausgefahrenen Teleskopkameras erzeuge ein „Überwachungsgefühl“. Dieser Grundrechtseingriff stehe zu dem Nutzen in keinem akzeptablen Verhältnis.
Die Folge war „Rückzug von Tatverdächtigen“
Hinter vorgehaltener Hand räumen auch Parteigenossen von Innensenator Geisel ein, dass die „Bollerwagen“ kein großer Erfolg seien. Die Innenverwaltung schreibt in der Antwort auf die Anfrage der Linke dagegen, die Polizei habe den Probelauf in einer Evaluation positiv. Schon das Aufstellen der Videowagen habe „zu einem Rückzug entsprechender Tatverdächtiger aus dem Aufnahmebereich der Kameras“ geführt. Das Einschalten sei daher gar nicht mehr nötig gewesen. „Dieses Vorgehen ist Teil des Kriminalitätsbekämpfungskonzeptes der Polizei“, heißt es.
Der Probelauf habe ergeben, dass die Videotechnik nicht nur wie ursprünglich vorgesehen an kriminalitätsbelasteten Orten, sondern auch bei Veranstaltungen eingesetzt werden könnte. Die Polizei arbeite hierfür bereits an einer neuen Einsatzkonzeption.
Die rechtlichen Hürden für die Nutzung der Videofunktion seien allerdings durchaus hoch, räumt die Innenverwaltung ein. Tatsächlich können Videoaufnahmen laut Berliner Polizeigesetz bei Veranstaltungen oder „Ansammlungen“ von Menschen nur aufgezeichnet werden, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, das dabei Straftaten begangen werden“.
Diese Voraussetzungen sehen die Beamten, die auf den Videowagen eingesetzt werden, offenbar nur selten als erfüllt an. Die Innenverwaltung kommt in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage des Linke-Abgeordneten Schrader daher zu dem Schluss, dass eine Anpassung der rechtlichen Voraussetzungen „zwingend notwendig“ sei.
Die Koalitionspartner von Linke und Grünen dürften den Hinweis der Innenverwaltung als Aufforderung verstehen, dem Drängen auf eine Verschärfung des Polizeigesetzes nachzugeben, um so eine einfachere Anwendung der Videoüberwachung zu ermöglichen.
Vor allem die Linke lehnt das allerdings weiterhin kategorisch ab. Eine Ausweitung der Videoüberwachung helfe nicht im Kampf gegen die Kriminalität, schränke aber die Bürgerrechte ein. „Wir sehen daher keinen Grund, unsere Haltung zu ändern“, sagte der Linke-Politiker Schrader.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) würde eine Ausweitung der Videoüberwachung – anders als die Linke – grundsätzlich begrüßen. Angesichts der geltenden Rechtslage seien die Videoanhänger aber allenfalls ein „nettes Spielzeug“. „Ohne eine belastbare gesetzliche Grundlage für den praktischen Einsatz der Technik verballern wir hier nur Ressourcen“, sagte der stellvertretende Berliner GdP-Vorsitzende Stephan Kelm. Zwei Jahre nach dem Versprechen für eine Überarbeitung des Polizeigesetzes müsse die rot-rot-grüne Koalition sich endlich einigen und eine Ausweitung der Videoüberwachung in der Stadt ermöglichen.
„Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen streuen“
Die CDU sieht es ähnlich. Der Einsatz der Videowagen sei der „Versuch, den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen zu streuen“, sagte der Fraktionsvorsitzende und innenpolitische Sprecher der CDU, Burkard Dregger. Geisel wolle den Menschen eine Ausweitung der Videoüberwachung „vorgaukeln“, um dem Volksbegehren mit dem gleichen Anliegen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dieser Versuch sei „kläglich gescheitert“. Die Tatsache, dass die Kameras fast nie eingeschaltet würden, mache das deutlich, sagte Dregger.
Nun müsse man abwarten, ob das Verfassungsgericht das von dem früheren Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) und dem Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) angestrebte Volksbegehren letztlich für zulässig halte. Dass die Koalition sich auf eine Gesetzesänderung zur Ausweitung der Videoüberwachung einige, halte er für unwahrscheinlich, sagte Fraktionschef Dregger.