Berlin. Franziska Giffey wird mit der Frage gerechnet haben. Und doch dauert es mehr als zehn Minuten, bis der erste Jugendliche die Ministerin auf das Thema anspricht, das die Schlagzeilen der vergangenen Wochen mitbestimmt hat - ihre Doktorarbeit. Giffey ist am Dienstagmittag zu Gast auf dem Jugendfestival Tincon, das im Rahmen der Digitalkonferenz re:publica in Berlin stattfindet.
Ob die Ministerin denn nach wie vor dazu stehe, ihre Dissertation nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt zu haben, will ein Junge mit weißem Kapuzenpulli in der letzten Reihe wissen. Und wie Giffey denn dann mit dem Ergebnis der Überprüfung umgehe. „Beenden Sie dann ihre politische Karriere?“, fragt der junge Mann.
Giffey antwortet ruhig, aber bestimmt. „Ich gehe sehr ernsthaft mit dem Thema um“, sagt sie.
Sie selbst habe ihre Universität gebeten, die Vorwürfe zu prüfen, weil sie das geklärt haben möchte, so Giffey, die vor ihrer bundespolitischen Karriere 16 Jahre lang für den Bezirk Neukölln gearbeitet hat. „Wir müssen das Ergebnis dieser Prüfung abwarten“, sagt die Ministerin weiter. „Für mich ist eine anonyme Internetplattform nicht der Ort, der die Entscheidung trifft, sondern meine Universität, an der ich diese Dissertation geschrieben habe. Und wenn wir das Ergebnis dazu haben, dann wird auch mit diesem Ergebnis umzugehen sein“, so die Politikerin.
Giffey droht der Verlust des Titels
Die Bundesfamilienministerin steht wegen ihrer Doktorarbeit bereits seit einigen Wochen unter Druck. Ausführlich öffentlich dazu geäußert hat sie sich jedoch noch nicht. Die Prüfer von VroniPlag hatten an 119 Textstellen in Giffeys Dissertation Plagiate entdeckt und werfen der Ministerin „wissenschaftliches Fehlverhalten“ vor. Derzeit überprüft die Freie Universität Berlin die Anschuldigungen. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, droht Giffey der Verlust ihres Doktortitels.
Giffey redet weiter über ihre Doktorarbeit. Sie sei ein Mensch, der viel dafür gearbeitet und auch die Überzeugung habe, dass jeder Mensch es packen könne – ganz egal, ob arm oder reich. „Das ist mein Anliegen, das war die Arbeit der letzten 16 Jahre, und das ist mein politischer Anspruch. Der ist unabhängig von der Dissertation, und ich werde das Ergebnis abwarten und dann entsprechend damit umgehen“, sagt sie.
Fridays for Future? - „Dauerhafte Vier-Tage-Woche geht nicht“
Abseits der Diskussion um Giffeys Dissertation stehen bei der Tincon-Fragerunde auch noch andere Themen im Fokus. Warum denn Schüler ihre Bildung opfern müssten, um das Klima zu retten, will einer junger Mann ganz am Anfang wissen. „Ich finde, ihr opfert nicht eure Bildung. Ihr nutzt eure Bildung, um euch zu engagieren“, entgegnet Giffey. Mit Blick auf den Klimaschutz sei es wichtig, „dass wir mehr tun. Das ist auch ein Auftrag an die ganze Bundesregierung“, so die Ministerin. Wie sie es denn finden würde, wenn ihr Sohn bei Veranstaltungen wie „Fridays for Future“ mitlaufen würde? „Ich finde, man sollte ein Maß finden und es sind natürlich auch Dinge im Schulablauf einzuhalten“, sagt sie. Eine dauerhafte Vier-Tage-Woche in der Schule gehe nicht, findet Giffey.
„Junge Menschen sind nicht ausreichend repräsentiert“
Warum können junge Leute ab 16 Jahren nicht auch bei Bundestagswahlen wählen, will ein junger Mann wissen. „Das ist ein Riesen-Thema“ befindet Giffey. Menschen würden immer älter. Das führe zu einem Ungleichgewicht. „Das, was junge Menschen wollen, ist nicht ausreichend repräsentiert. Deswegen bin ich dafür, dass wir das Wahlalter auf 16 Jahre absenken“, sagt sie. Gleichzeitig sei dafür aber eine gute politische Bildung wichtig. „Ich merke ja, dass junge Menschen auch mit 16 Jahren in der Lage sind, eine eigene politische Meinung zu vertreten“, erklärt Giffey. Die Diskussion dazu sei noch nicht am Ende.
Die Ministerin bekommt dann auch noch eine Frage zu dem Digitalpakt gestellt, der Schulen mit milliardenschwerer Unterstützung in die digitale Zukunft führen soll. Nur die technische Ausstattung alleine reiche nicht aus, sagt Giffey. „Technik muss rein, aber die Lehrer müssen auch etwas damit machen können“, so die Bildungspolitikerin. In erster Linie sei es Aufgabe der Schulen, dafür sinnvolle Konzepte zu entwickeln.
Dann fragt ein Jugendlicher, warum denn kein Mitglied des Bundeskabinetts unter 40 Jahre alt sei. Das sei nicht korrekt, sagt Giffey. Als sie ihren Posten angetreten habe, sei sie 39 Jahre alt gewesen. „Ich kann leider nichts dagegen tun“, sagt Giffey und erwähnt, dass sie im vergangenen Jahr ihren 40. Geburtstag gefeiert habe. Ihr Kollege Jens Spahn, der Bundesgesundheitsminister ist, sei aber noch unter 40. Es sei auch keine Frage des Alters, ob man sich für digitale Themen interessiere. Es gebe doch in jeder Altersgruppe Menschen, die sich engagieren und interessieren. Dafür gibt es Applaus.
„Jugendschutz im Zeitalter der CD-Rom stehengeblieben“
Dann ist da noch die Frage nach dem Umgang mit Hasskommentaren im Internet. Sie schätze den Austausch und die Rückmeldung aus dem Netz. Giffey habe aber den Eindruck, dass der Umgang mit dem Smartphone auch gelernt werden müsse. Manchmal fahre sie ja noch U-Bahn, sagt Giffey. „Da kann dann auch ein großer Elefant in der U-Bahn fahren. Es merkt ja keiner. Es wischen alle“, erzählt sie. Mit Sorge sehe sie, wie häufig im Internet Grenzen überschritten würden. „Wir müssen uns sehr genau anschauen, was da gerade in der digitalen Welt passiert. Im Internet gibt es kein ‚Stopp mal‘“, sagt Giffey. Man müsse überlegen, wie man junge Menschen im Netz besser schütze. Das Jugendschutzgesetz sei leider im Zeitalter der CD-Rom stehen geblieben, bedauert sie. Dann ist die Fragerunde auf der Tincon nach einer guten Dreiviertelstunde vorüber.