Bildung

„Vorschule“: SPD will letztes Kitajahr zur Pflicht machen

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Joachim Fahrun
Kinder spielen in einer Kita. (Archivbild)

Kinder spielen in einer Kita. (Archivbild)

Foto: Friso Gentsch / dpa

Die Berliner SPD will die Kita-Pflicht ausweiten. Das dient auch der Sprachförderung. Der Begriff „Vorschule“ bleibt Streitpunkt.

Die Berliner SPD startet einen neuen Anlauf, um eine Kita-Pflicht in der Stadt auszuweiten. „Wir schaffen es nicht, fünf bis sieben Prozent eines Jahrgangs im letzten Jahr vor der Schule in die Kindertagesstätten zu bekommen“, sagte die jugend- und familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Melanie Kühnemann-Grunow. Dabei gehe es um 500 bis 700 Kinder in jedem Jahr, die mit schlechteren Voraussetzungen in der Schule starteten, weil sie trotz der kompletten Abschaffung der Gebühren keine Kita besuchten. „Das sind aber die, die wir haben müssen. Deshalb sollten wir das letzte Jahr vor der Grundschule verpflichtend machen“, sagte Kühnemann-Grunow am Freitag in London, wo sie sich mit einer Delegation der Fraktion über Londons Bildungs- und Integrationspolitik informierte.

Dafür müsste das Berliner Schulgesetz geändert werden

SPD-Fraktionschef Raed Saleh unterstützte die Idee: „Ich halte eine Kita-Pflicht im letzten Jahr für richtig“, sagte er. Die SPD wolle darüber mit den Koalitionspartnern von Linken und Grünen sprechen. Weil de facto die Schulpflicht ausgeweitet werden soll, müsse man das Berliner Schulgesetz anfassen. Die SPD räumt mit diesem Vorstoß auch ein, dass ihre bisherigen Maßnahmen nicht den gewünschten Effekt erzielt haben. Seit 2014 werden alle Vierjährigen auf ihre deutschen Sprachfähigkeiten getestet.

Wer den erwarteten Standard nicht erreicht, müsste eigentlich verpflichtend die Kita besuchen. Aber das funktioniert längst nicht bei allen Familien. Eine vorgezogene Schulpflicht würde es Eltern viel deutlicher machen, was von ihnen erwartet wird und es den Behörden erleichtern, die Anwesenheit auch durchzusetzen.

Namensgebung ist ein heikles Thema

Wesentlich sei die Verbindlichkeit. Kinder müssten auch regelmäßig an den Bildungsaktivitäten in den Kindertagesstätten teilnehmen und nicht nur dann auftauchen, wenn die Eltern das wollten, benannte Kühnemann-Grunow ein Problem.

Ob man das verpflichtende letzte Jahr nun Vorschule nennt ober anders, ist aus Sicht der Sozialdemokraten nicht der entscheidende Punkt. „Ich habe keine Angst vor dem Label Vorschule“, sagte Kühnemann-Grunow.

Die Namensgebung kann aber gleichwohl ein Problem werden. Denn die freiwillige Vorschule in Berlin hatte die Koalition aus SPD und Linkspartei 2005 abgeschafft. Seither fordert die oppositionelle CDU, dieses Bildungsangebot wieder einzuführen. Das hat bei vielen Bildungspolitikern aus dem linken Spektrum dazu geführt, diesen Begriff abzulehnen.

Die Sozialdemokraten gehen davon aus, dass das verpflichtende letzte Kita-Jahr an den Kindertagesstätten angegliedert wird und nicht an den Grundschulen. Dort sei das schon allein räumlich nicht möglich. Außerdem wünscht sich die SPD auch aus den Erfahrungen mit dem Widerstand vieler Berliner Eltern gegen die Einschulung von Fünfjährigen einen eher spielerischen Lernansatz im letzten Jahr vor der Grundschule.

Teure Eigentumswohnungen, darunter die Schule

London hat zwar viele vergleichbare Probleme wie Berlin, vor allem in den ärmeren Stadtteilen. Aber überall im Vereinigten Königreich müssen die Fünfjährigen in die Grundschulen gehen. Und auch eine andere Idee, die in Berlin jüngst die Runde machte, haben die Briten längst umgesetzt. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte als einen Weg zu mehr Wohnungen vorgeschlagen, Apartments auf Schulgebäude zu setzen.

Im Londoner Bezirk Hackney, lange Zeit eine der ärmsten Regionen der Stadt, besuchten die Berliner die Holy Trinity School. Dort wurde 2013 das alte Schulgebäude abgerissen. 2016 bezog die von der Kirche getragene Schule ihre neuen Räume. Im Erdgeschoss und im ersten Stock lernen die Kinder. Darüber haben wohlhabende Bürger Eigentumswohnungen für 750.000 Pfund bezogen. Dazwischen haben Schulleiterin Yvonne Banett und ihre Mitstreiter Spielplätze und die Sporthalle eingeplant, wo gerade eine fröhliche Gruppe schwarzer Kinder herumspringt.

Wenn Kinder in der Schule scheitern, liegt es an der Schule

Durch den lukrativen Verkauf der Wohnungen wurde die Modellschule darunter finanziert. Mit Küchenräumen, modernen Computern und einem Lehrerzimmer, in dem die Kollegen über alles reden dürfen nur nicht über ihre Arbeit. Dafür haben die derzeit 35 Lehrkräfte eigene Büros. Mit dem neuen Gebäude, dem neuen Geist in der Lehrerschaft, einer engen Kooperation mit anderen Schulen und dem klaren Ziel, auch die Kinder aus armen Elternhäusern zum Schulerfolg zu führen, ist die Kehrtwende gelungen.

„Die Idee war: Nur weil du aus Hackney kommst, solltest du keine andere Erziehung bekommen als die Kinder im reichen Westminster“, sagte die Schulleiterin. Man fahre dort die Strategie, dass es keine Entschuldigung geben dürfe. Nicht Armut, Gewalterfahrungen, das Schulsystem oder desinteressierte Eltern seien Schuld, wenn Kinder in der Schule scheitern, sondern die Schule. „Die wichtigsten Leute, damit das gelingt, sind die Lehrer“, sagte die Schulleiterin.