Berlin. Der Semesterstart ist für Carlotta Pahlke (19) und Vanessa von Karstedt (18) wie bei einer Tombola. Planen, welche Kurse sie die kommenden Monate belegen, können sie kaum, das bestimmt vor allem der Zufallsgenerator. Mal hat man Glück, mal geht man leer aus. Das ganz große Los ist ohnehin nicht dabei. So haben sich die beiden jungen Berlinerinnen das Lehramtsstudium eigentlich nicht vorgestellt, als sie sich im vergangenen Wintersemester an der Humboldt-Universität immatrikuliert haben.
Zwar wurde ihnen im Herbst schon in der Orientierungswoche gesagt, dass man nicht immer alles, was im Regelstudienplan steht, tatsächlich auch belegen kann, weil es zu wenige Plätze für zu viele Studenten gibt, „aber dass es so schwierig wird, das hätten wir nicht gedacht“, sagen sie. Sie studieren beide Sport, da sind im ersten Semester die Basiskurse Turnen, Leichtathletik und Schwimmen vorgesehen.
Nur wer diese Basiskurse belegt, kann später auch die ebenfalls verpflichtenden Vertiefungsseminare absolvieren. „Ich habe aber im ersten Semester kein einziges dieser Seminar bekommen“, sagt Vanessa, Carlotta konnte zumindest Turnen belegen. „Allerdings hatte ich im Theoriekurs keinen Platz bekommen, daher konnte ich auch nicht die Prüfung ablegen.“
3150 Plätze für Erstsemester gab es im Wintersemester
Berlin sucht händeringend Lehrer. Um dieses Ziel zu erreichen wurden schon in den vergangenen Jahren mehr Anwärter fürs Lehramtsstudium zugelassen. Im vergangenen Wintersemester gab es an den vier Berliner Universitäten – Freie (FU), Technische (TU), Humboldt-Universität (HU) sowie die Universität der Künste (UdK)- zusammen 3150 Studienplätze für Erstsemester, deutlich mehr als in den Jahren zuvor. In diesem und im kommenden Jahr sollen jeweils noch einmal so viele dazukommen. Plan ist, dass 2022 berlinweit 2000 Absolventen an die Schulen kommen, im Vergleich zum aktuellen Stand also mehr als eine Verdopplung.
Doch die personellen und räumlichen Kapazitäten reichen offenbar nicht in allen Fächern aus, um den Ansturm zu bewältigen. Für die beiden Studentinnen hat sich daher schon im ersten Semester gezeigt, dass sie ihren Bachelor nicht, wie es die Regelstudienzeit vorsieht, in sechs Semestern schaffen werden. Vanessa vermutet, dass es bei ihr mindestens acht Semester werden, „und das klappt auch nur, wenn jetzt alles gut läuft“. Da sind die beiden froh, dass sie nicht auf Bafög angewiesen sind. Wer Bafög bezieht, kann aber sein Studium nicht beliebig verlängern, weil sich die Förderung an der Regelstudienzeit orientiert.
30 Studenten sind zugelassen, 60 warten vor der Tür
Carlotta und Vanessa sind offenbar keine Ausnahme. Sie kennen niemanden, der alle notwendigen Sportkurse im ersten Semester belegen konnte. Gerade im Sportstudium sind die vielen Studenten ein Problem, weil dort der Praxisanteil sehr hoch und damit die Plätze besonders begrenzt sind.
Steffan Baron, Leiter der Studienabteilung, sind Engpässe zum Beispiel im Fach Sport, wie sie die Studentinnen schildern, allerdings unbekannt. Außerdem versichert er, dass „die Lehrkapazitäten stufenweise ausgebaut werden“. Zudem werde eine weitere Sporthalle in Adlershof gebaut, und es gebe Vereinbarungen über zusätzliche Nutzungszeiten in den Berliner Bädern.
Glück hat, wer überhaupt einen Pflichtkurs bekommt
Die Sportstudentinnen haben da aber ihre Zweifel, denn schon jetzt erleben sie einen großen Rückstau von Studenten älterer Semester. Normalerweise sind 30 Studenten in einem Sportseminar zugelassen, bei Schwimmen sogar nur 15. „Ich hatte ja Glück, dass ich überhaupt einen der drei Pflichtkurse bekommen habe“, erklärt Carlotta, „als ich am ersten Tag dorthin kam, saßen überall Leute, auf dem Boden, auf der Treppe, vor der Tür, es waren bestimmt 60, die darauf gehofft haben, noch irgendwie in den Kurs zu kommen.“
Aber die Chancen sind gering. Nur wenn ein zugelassener Student nicht erscheint und auch nicht entschuldigt ist, wird der Platz weitervergeben. In ihrem Seminar waren es gerade mal drei Plätze. Alle anderen mussten frustriert den Raum verlassen.
70 Millionen Euro für zusätzliche Mitarbeiter an den Hochschulen
Offenbar gibt es jetzt schon einen großen Rückstau aus vorherigen Semestern, weil auch da schon die Kapazitäten nicht reichten. „Viele Studenten warten mehrere Semester auf einen Platz im Pflichtkurs“, sagt Vanessa. Und durch die vielen Erstsemester wird der Stau wohl auch nicht so schnell abgebaut werden können. Im Gegenteil.
Vor Beginn des Wintersemesters 2018 hat der Berliner Senat zwar angekündigt, dass bis zum Jahr 2022 insgesamt 70 Millionen Euro zusätzlich für die Lehrerausbildung zur Verfügung gestellt werden, dazu noch einmal 16 Millionen Euro für neue Seminarräume, aber die geplanten mindestens 28 zusätzlichen Professuren und 130 wissenschaftlichen Stellen sowie die zusätzlichen Räume müssen erst einmal geschaffen werden und sind wahrscheinlich auch nicht genug.
Die ersten springen schon nach dem ersten Semester wieder ab
Viele Studienanfänger kommen da schon am Anfang ihres Studiums in Zweifel, ob Lehramt für sie die richtige Wahl ist. Zum Sommersemester haben sich jedenfalls knapp zehn Prozent der Erstsemester nicht wieder zurückgemeldet. Von den 234 Studenten, die im Wintersemester an der TU mit dem Bachelorstudium fürs Lehramt begonnen haben, meldeten sich zum Stichtag 1. April 209 Studenten zurück. An der HU sind von den ursprünglich 1561 Erstsemestern im Bachelorstudium nun noch 1438 Studenten dabei. An der FU haben sich im Wintersemester 1817 Studierende für das Lehramtsstudium – Bachelor oder Master – im ersten Fachsemester eingeschrieben. Zurückgemeldet zum Sommersemester haben sich davon 1612 Studenten.
Auch Carlotta und Vanessa sind verunsichert. „Ich schaue mir das in diesem Semester noch mal an und entscheide dann, was ich mache“, sagt Vanessa, und auch Carlotta ist sich noch unsicher, wie es bei ihr weitergeht. Zu dem frustrierenden Kampf um die wenigen Seminarplätze haben sie noch eine zweite Kritik: „Bisher hat das Studium überhaupt nichts mit Lehramt zu tun“, findet Carlotta, besonders in ihrem zweiten Fach, Englisch, sieht sie das so. „Ich will doch nicht Anglist werden, sondern Englischlehrer, da finde ich es einfach zu spät, wenn ich die Pädagogik eigentlich erst im Masterstudium lerne.“
Wenn das zweite Semester für die beiden jungen Studentinnen nun nicht besser läuft als das erste, dann werden sie wohl ihren Berufsweg noch einmal neu planen. Und Berlin gehen dann womöglich weitere dringend gebrauchte Lehreranwärter verloren.