Berlin. Die EU entdeckt junge Lokalpolitiker: Die Berlinerin Ana-Maria Trasnea war beim Gipfel in Bukarest dabei.

Am ersten Tag war Ana-Maria Trasnea noch zu zögerlich. Nur zaghaft hob sie die Hand, um in einer Debatte zu Wort zu kommen und wurde prompt übersehen unter den vielen Lokal- und Regionalpolitikern aus ganz Europa. Aber die junge Berlinerin ist keine, die sich ins Bockshorn jagen lässt.

Mutig ergriff sie später im riesigen Saal das Wort und mahnte, warum die EU nicht auch 16-Jährige bei den Europa-Wahlen abstimmen lasse, wenn sie schon so großen Wert lege auf die Teilnahme junger Leute an der Politik und am Schicksal der EU. Dass eine Kollegin aus Malta ihr prompt zur Seite sprang, war ein schönes Geburtstagsgeschenk. Denn die Sozialdemokratin aus der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Treptow-Köpenick wurde an diesem Tag 25 Jahre alt.

Trasnea nahm teil an einem Experiment europäischer Politik beim Gipfel der europäischen Regionen und Städte in der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Die EU besinnt sich in der Brexit-Krise auf ihre Basis überall auf dem Kontinent. Karl-Heinz Lambertz, deutschsprachiger Belgier und seit langem Präsident des Ausschusses der Regionen, betonte es immer wieder: „Die EU muss näher an die Bürger ran und einen echten Mehrwert bieten. Das gelingt am besten in den Regionen.“

„Wir Lokalpolitiker müssen die Brücke nach Europa sein“

Neben den regulären Mitgliedern der Regionen-Versammlung waren erstmals 150 junge Bürgermeister, Stadträte und Gemeindevertreter eingeladen, um mit zu diskutieren über eine neue EU, während das Vereinigte Königreich um den Ausstieg ringt. Ana-Maria Trasnea sieht ihre Rolle nach dem Gipfel noch klarer: „Wir Lokalpolitiker müssen die Brücke nach Europa sein, gerade für die jungen Leute“, sagte sie in der Versammlung.

Dabei war es eher ein Zufall, dass die Studentin aus dem Köpenicker Allendeviertel in Bukarest dabei war. Ein Mitarbeiter der BVV-Fraktion hatte einen Tag vor Ablauf der Bewerbungsfrist die Mail aus Brüssel weitergeleitet. Sie bewarb sich spontan, die Zusage landete aber in ihrem Spam-Ordner. Als sie das Malheur bemerkte, waren Flüge und Hotels schon gebucht. Auf eigene Faust organisierte sich die Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung den Trip nach Rumänien. Kein großes Problem für sie, denn sie lebte bis zu ihrem 13. Lebensjahr im Norden des Landes, das 2007 der EU beigetreten war und 2019 erstmals die EU-Präsidentschaft innehat.

„Europa ist Teil meiner Identität“, sagte Trasnea stellvertretend für eine Generation, die mit Umzügen in andere Länder und Erasmus-Austauschprogrammen aufgewachsen ist. Trotz ihres jugendlichen Alters kann sie sich an die Zeit vor der EU erinnern. Polizisten hielten sie als Kind und ihre Mutter stundenlang an der ungarisch-rumänischen Grenze auf und filzten sie. „Viele Leute nehmen die positiven Seiten der EU zu selbstverständlich“, glaubt sie.

Politisches Engagement im Bezirk

Ana-Maria Trasnea hat ein Semester in Spanien studiert, jetzt bereitet sie sich an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder auf ihren Master vor. Für die EU zu arbeiten sei mal ein Traum von ihr gewesen, erzählte sie am Abend in einem der prachtvollen Kaffee-Häuser in Bukarests belebter Altstadt. Jetzt wisse sie das nicht mehr so genau. Aber irgendetwas mit politischer Bildung solle es schon sein, wenn sie im kommenden Jahr ihr Studium abschließt. Viel Zeit hat sie dafür nicht. „Sechs Abende pro Woche“ investiere sie in die politische Arbeit im Bezirk. Seit Kurzem ist sie stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion.

Die Debatten im pompösen Palast des früheren kommunistischen Diktators Nikolae Ceausescu, für den in den 80er-Jahren große Teile der Altstadt abgerissen worden waren, verfolgte Ana-Maria Trasnea meist ohne Übersetzungshilfe. In fließendem Englisch beantwortete sie die Fragen kroatischer und portugiesischer-Reporter. Nicht alle Diskussionen waren für sie bei ihrem ersten Europa-Event fruchtbar.

Eine Stunde lang Begrüßungsreden in der Hauptdebatte stellten viele der mehr als 1000 Teilnehmer auf die Probe. Auch die immer gleichen Beteuerungen, die EU mit ihrer Regionalpolitik müsse noch besser liefern, schienen ihr doch eher abstrakt. Aber die neuen informellen Kontakte könnten wertvoll sein, hofft sie. So habe sie gelernt, dass der Ausschuss der Regionen womöglich helfen könne, Vorbilder aus anderen Ländern für Jugend- oder Frauenprojekte in Treptow-Köpenick zu liefern und womöglich auch Geld zu besorgen, das im Bezirk immer knapp sei.

„So richtig zuhören wollten die uns nicht“

Auf den Frieden als Grundlage der europäischen Einigung kam Michel Barnier zu sprechen. Der Chef-Unterhändler der EU für den Brexit war eigens nach Bukarest geflogen, um den versammelten Regional-Politikern Mut zu machen. „An der Grenze zwischen Irland und Nord-Irland geht es um den Frieden“, sagte der Franzose und machte klar, dass es keine Veränderungen an dem mit den Briten ausgehandelten Ausstiegsvertrag geben werde. Alle würden durch den Brexit verlieren, sagte Barnier und rief dennoch dazu auf, auch nach einem Ausscheiden des Vereinigten Königreiches weiter mit den Regionen zusammen zu arbeiten.

Das hofft auch Antony Buchanan. Der Schotte war im traditionellen grünen Kilt in Ceaucescus Palast gekommen. „Wir haben bald keinen Platz mehr am Tisch“, sagte er traurig. Seine Region in der Nähe von Glasgow werde bei einem Brexit „massiv verlieren“. Nun hofft er, das Schottland einen neuen Anlauf zur Unabhängigkeit startet und dann wieder der EU beitreten wird.

Ana-Maria Trasnea war nach Barniers Rede emotional berührt. Dennoch hatte die junge Berlinerin einiges auszusetzen am Gipfel. Sie beklagte, dass es eben doch keine Gelegenheit zum Austausch mit den hohen Politikern gegeben habe. „So richtig zuhören wollten die uns nicht“, sagt sie. Ihr Fazit fällt aber positiv aus. Sie habe unglaublich viele Impulse erhalten. „Ich weiß jetzt, dass ich Europa vor Ort zum Thema machen kann.“ Und ein Erfolgserlebnis hatte sie noch. Rumäniens Finanzminister lud sie zum Gespräch, nachdem sie ihn für ein Handyfoto angesprochen hatte.