Zur rot-rot-grünen Halbzeitbilanz haben sich die Koalitionspartner ja noch einmal die Treue geschworen. Er fühle sich in dieser Koalition „sehr wohl“, ließ der Regierende Bürgermeister Michael Müller verlauten. Das mag sein, auch wenn sein verräterischer Gesichtsausdruck in den vergangenen Monaten oft eine andere Botschaft aussandte. Es gelingt dem Sozialdemokraten eben immer noch schlecht, seinen Ärger hinter einem Pokerface zu verbergen.
Tatsächlich müssen sich Müller und seine Partner in den kommenden Monaten verstärkt der Harmonie-Pflege zuwenden. Der Regierende Bürgermeister selbst beschrieb die komplexe Aufgabe. Man müsse in Wirklichkeit nicht nur drei Partner koordinieren, sondern neun: Drei Parteien, drei Fraktionen und drei Farben im Senat.
Denn Grüne, Sozialdemokraten und Linke sprechen eben je nach der Rolle, die sie ausfüllen, nicht immer mit einer Stimme. Niemand weiß das besser als Müller, dem beim SPD-Landesparteitag am 30. März spannende Debatten bevorstehen. So gehen die Meinungen innerhalb der Sozialdemokraten über die Frage, ob man an der Enteignung großer Wohnungskonzerne arbeiten soll oder nicht diametral auseinander.
Ex-Staatssekretär Kirchner soll sich um Siemensbahn kümmern
Auch auf der personellen Ebene muss Müller alte Wunden heilen. Eine der größten Belastungen für das Klima in der Koalition war vor Weihnachten der Rauswurf des Verkehrsstaatssekretärs Jens-Holger Kirchner durch Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne).
Der Neu-Politikerin hat es vor allem in den Reihen der Grünen viele Sympathien gekostet, wie sie mit dem von einer Krebserkrankung rekonvaleszierenden Ur-Bündnisgrünen Pankower umgegangen ist. Erst Müller konnte die Situation bereinigen, indem er Kirchner zusagte, nach seiner Genesung eine Verwendung für ihn in der Senatskanzlei zu finden. Erst auf diese Zusage hin stimmte Kirchner der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand zu, sein Nachfolger konnte im Hause Günther anfangen.
Nun sieht es so aus, als könnte Kirchner vielleicht im September wieder aktiv werden. Eine Aufgabe hat man im Roten Rathaus schon ausgeschaut für den Verkehrsfachmann. Der Grüne soll dafür sorgen, dass Müller eine der wesentlichen Zusagen Berlins an den Siemens-Konzern für den geplanten Campus in Siemensstadt auch einhalten wird. Er soll für den Wiederaufbau der historischen Siemensbahn sorgen.
Das kann Kirchner, weil er sich im komplizierten Geflecht zwischen Denkmalschutz, Genehmigungsverfahren und den Fachfirmen auskennt und sich auch schon mit Bahnlinien auf Viadukten befasst hat. Im Nahverkehrsplan aus dem Hause Günther, dessen Grundlagen Kirchner noch selbst legte, firmiert die Siemensbahn als eine Art Sonderprojekt, auch wenn die neue alte Strecke nicht nur den Siemens-Campus, sondern auch das geplante neue Wohngebiet Gartenfeld anbinden soll. Noch sind die Konditionen für eine Beschäftigung Kirchners nicht geklärt. Die Rede ist von einem Honorarvertrag.
Kein Verständnis für Aktion der Gesundheitssenatorin
Und eine weitere Personalie, die kürzlich für Verstimmungen in der SPD und auch unter den Koalitionspartnern sorgte, will Müller regeln. Es geht um den früheren Gesundheitsstaatssekretär Boris Velter. Gesundheitssenatorin Dilek Kolat hatte ihren sozialdemokratischen Parteifreund im Dezember ohne Angabe von Gründen in den Ruhestand geschickt.
Die ganze Affäre blieb nur deshalb einigermaßen unbeachtet, weil etwa zeitgleich die Welle der Empörung wegen Kirchner durch die Stadt schwappte. Aber nach wie vor fehlt vielen im rot-rot-grünen Lager und in der Berliner Gesundheitsszene das Verständnis für die Aktion der Senatorin.
Müller will Velter nun einsetzen, um ein weiteres seiner Lieblingsprojekte voranzubringen. Als Wissenschaftssenator drängt er auf eine engere Kooperation des kommunalen Klinikkonzerns Vivantes mit der Universitätsklinik Charité. Der Regierende träumt von einem umfangreichen Datenaustausch, der die Unternehmen im Rennen um die besten Lösungen in der digitalen Medizin nach vorne bringen kann, trotz der massiven Datenschutzprobleme, die an der Charité immer wieder bemängelt werden.
Velter soll als unabhängiger Kopf die Leitung einer neuen Kooperationsstelle übernehmen und als ehrlicher Makler zwischen den eifersüchtig auf ihre Positionen pochenden Klinik-Managern wirken. Und so kann Müller von Glück sagen, dass ihm seine Senatorinnen zwei kompetente Leute vor die Füße geworfen haben, die ihm helfen können, seine eigenen Ziele zu verwirklichen. Zumal Velters Gehalt nicht von der Senatskanzlei, sondern von den Krankenhauskonzernen getragen werden soll. Und dann wird sich der Regierende Bürgermeister noch wohler fühlen, unabhängig davon, ob sich die Rot-Rot-Grünen weiterhin wie bisher immer wieder anzicken.