Engagement

Diese Berliner geben etwas von ihrem Glück weiter

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Charlene Rautenberg
Markus Junge besucht regelmäßig Gritta Lehrke in einem Pflegeheim in Tempelhof.

Markus Junge besucht regelmäßig Gritta Lehrke in einem Pflegeheim in Tempelhof.

Foto: jörg Krauthöfer /Funke MedienGruppe

Vier Berliner erzählen, wie sie sich für andere Menschen engagieren und warum Nächstenliebe so wichtig ist.

Berlin. Draußen war es kalt und regnerisch, als Marcel Ehrlich nach einem Apothekenbesuch seine Tüte auf den Boden fiel. Eine Passantin hob sie auf und gab sie dem Mann im Rollstuhl zurück. Und lud ihn spontan zum Tee bei ihr zu Hause ein. Mit der Zeit entwickelte sich zwischen dem humorvollen Berliner und Sarah Adams eine enge Freundschaft – sie treffen sich, um zusammen einzukaufen, ins Kino oder in Ausstellungen zu gehen. Heute nennt Marcel Sarah Adams seinen „Alltagsengel“, denn sie half ihm aus der Einsamkeit. Seit seiner Geburt ist er schwerstbehindert und war schon als Kind auf den Rollstuhl angewiesen. „Ich wurde lange und intensiv betreut, doch das Persönliche kam immer zu kurz“, sagt Marcel Ehrlich.

Dass ihre Freundschaft alles andere als alltäglich ist, war den beiden von Anfang an bewusst. So kamen sie vor acht Jahren auf die Idee, den Verein Kontakte schaffen Leben e. V. zu gründen. „Es geht uns darum, dass Menschen trotz Behinderung eine schöne Freizeit in Gesellschaft verbringen können, die nichts mit Betreuung zu tun hat“, sagt Sarah Adams.

Neben Gruppenausflügen erleben behinderte, alte oder einsame Menschen mit ihren Alltagsengeln Dinge, die ihnen sonst oft vorenthalten sind. Wie gemeinsame Spaziergänge oder Restaurantbesuche. Marcel Ehrlich weiß, dass viele Menschen mit Behinderung nicht genug menschliche Wärme erfahren. „Unsere Alltagsengel haben das im Überfluss und freuen sich, davon etwas abgeben zu können“, sagt er. Derzeit zählt der Verein etwa zwölf ehrenamtliche Helfer.

Von ihrem eigenen Glück etwas abgeben – das wollte auch Angelika Bier.

Sie und ihr mittlerweile verstorbener Mann Jürgen waren erschüttert von den vielen perspektivlosen Jugendlichen, die sich damals am Bahnhof Zoo aufhielten. Mit dem Ziel, jungen Menschen wie ihnen zu helfen, übernahmen die beiden Chirurgen im Jahr 2006 eine Streetworker-Station in einer ehemaligen Dorfschule in Staaken und gründeten die gemeinnützige Stiftung Jona. Ihr Ziel ist, die Lebensbedingungen und Perspektiven von Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien nachhaltig zu verbessern. In der Spandauer Einrichtung gehörte Gewalt anfangs zum Alltag, doch von den Prügeleien ließ sich das Ehepaar nicht abschrecken.

Nach und nach banden sie die auffälligen Jugendlichen in ihre Arbeit mit ein. „Das hat so gut geklappt, dass es nach ein bis zwei Jahren kaum noch Pro­bleme gab“, sagt Angelika Bier. Einer dieser Jugendlichen, um die sich das Ehepaar damals Sorgen machte, ist heute Sozialarbeiter und leitet eine Jugendeinrichtung in Neukölln. „Jonas Haus“, der zentrale Wirkungsort der Stiftung, ist an 365 Tagen für junge Menschen geöffnet. Vormittags wird in Zusammenarbeit mit Spandauer Grundschulen außerschulischer Unterricht angeboten, bei dem die Schüler die Themen des Lehrplans in Kleingruppen kreativ erarbeiten. So sollen Defizite ausgeglichen werden, die im klassischen Unterricht nicht ausreichend kompensiert werden können. Für geflüchtete Kinder gibt es Vorschulunterricht.

Darüber hinaus gibt es in Jonas Haus für die Kinder jeden Tag eine warme Mahlzeit, dort können sie außerdem ihre Hausaufgaben machen oder Nachhilfe bekommen. Dazu kommen viele Freizeitangebote: So können sich die Kinder im Töpfer- und im Musikraum sowie im Theater- und im Tonstudio frei entfalten. In einem Nachbarhaus will die Stiftung im Sommer zehn Wohnplätze für Kinder einrichten, die keine Eltern haben. „Die Not liegt einfach vor der Tür. Wir fühlen uns von Gott reich beschenkt und möchten dies an Kinder und Jugendliche weitergeben“, sagt Angelika Bier.

Partnerschaften bewahren ältere Menschen vor Isolation

Dass auch ältere Menschen in bestimmten Momenten in ihrem Leben Unterstützung brauchen, weiß Markus Junge. Der 46-Jährige engagiert sich seit mehr als vier Jahren in dem Verein Freunde alter Menschen e. V., der betagte Menschen vor der Einsamkeit und der Isolation bewahren will. Dafür vermittelt der Verein sogenannte Besuchspartnerschaften, bei denen Freiwillige regelmäßig einen älteren Menschen zu Hause oder in einem Pflegeheim besuchen. Markus Junge kommt einmal pro Woche in die Alloheim Senioren-Residenz an der Ullsteinstraße, um dort Gritta Lehrke zu treffen.

Dem Sprachtherapeuten erzählt sie dann, was sie in der Woche erlebt hat. „Ich freue mich sehr, wenn er mich besuchen kommt. Er hat so eine liebe Art an sich“, sagt die 87-Jährige. Als sie noch nicht im Seniorenheim wohnte, fuhr Markus Junge sie mit seinem Auto zu Arztterminen, ging mit ihr Einkaufen oder Eis essen. Aber auch Tiefpunkte haben die beiden schon zusammen durchgemacht. Die Rentnerin wurde von Trickbetrügern in ihrer Wohnung bestohlen und hatte daraufhin Angst, ihr Zuhause zu verlassen. Doch nach mehreren Gesprächen mit dem Helfer konnte sie das Geschehene verarbeiten. „Manchmal reicht institutionelle Hilfe nicht aus. Da kann man durch ein wenig Unterstützung viel bewegen“, sagt Markus Junge. Das Ehrenamt gebe ihm aber auch etwas zurück. Es mache deutlich, was Leben bedeutet. „Man sieht seine eigenen Probleme in einem ganz anderen Licht“, so der Logopäde.

Um Notleidende, die weiter entfernt leben, kümmert sich Jürgen Hußmann. Der plastische Chirurg aus Lichterfelde operiert in der Nähe von Nepals Hauptstadt Kathmandu ehrenamtlich Menschen, die keinen oder nur schwer Zugang zu den örtlichen Krankenhäusern haben. Mit einem Geländewagen bringt er medizinisches Personal und das nötige Operationsbesteck in entlegene Täler. Nach zum Teil 24 Stunden Fahrzeit baut er dort mit seinen Mitarbeitern einfache Hütten zu provisorischen OP-Sälen aus. „Die Wände werden frisch gestrichen und mit OP-Tüchern abgehängt“, sagt der Chirurg. Ein Dieselgenerator liefert den Strom. Nach einem Erdbeben wurde auch schon bei Kerzenlicht gearbeitet. Jedes Mal lassen sich bis zu 200 Menschen mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen, Verbrennungen oder Verstümmelungen von Jürgen Hußmann helfen.

Der frühere Abteilungsleiter der plastischen Chirurgie der Parkklinik Weißensee engagiert sich außerdem im Sushma Koirala Memorial (SKM) in Nepal, das vor mehr als 20 Jahren von dem gemeinnützigen Verein Interplast Deutschland gegründet wurde. Dort werden vor allem arme Menschen kostenlos behandelt. Zweimal im Jahr reist Hußmann in seinem Urlaub auf eigene Kosten zu dem Krankenhaus. Für sein Engagement erhielt er jüngst das Bundesverdienstkreuz. „Es fühlt sich gut an, wenn man sein Können in einem Land anwenden kann, das hoffnungslos unterversorgt ist“, sagt Jürgen Hußmann.

Laut Angaben der Stadtverwaltung würden sich 40 Prozent, also fast die Hälfte der Berliner, ehrenamtlich engagieren. Jedes Jahr im Frühjahr wird für sie als Dank der Aktionstag „Berlin sagt Danke“ organisiert, an dem viele Einrichtungen wie der Zoo, das Abgeordnetenhaus oder die Gedenkstätte Berliner Mauer freien Eintritt und kostenlose Führungen für die Helfer anbieten.

Alle Teile der Serie "Berlin - Stadt der Liebe" lesen Sie hier.