Berlin. Bislang flogen meistens Steine oder Farbbeutel – nun aber erreicht die Gewalt gegen Politiker in Berlin eine neue, erschreckende Dimension: Mit Säure verübten Unbekannte einen Anschlag auf ein Wahlkampf-Fahrzeug des CDU-Politikers Alexander Herrmann in Marzahn-Hellersdorf. Und in Neukölln zündeten Vermummte das Privatfahrzeug des bekannten AfD-Mitglieds Tilo P. an. Es ist die Fortsetzung der Reihe von Dutzenden Anschlägen auf Parteibüros und Politiker im vergangenen Jahr – mit anderen Mitteln.
Die Säureattacke auf das Auto von Hermann ereignete sich bereits am vergangenen Wochenende an der Chemnitzer Straße, wurde aber erst jetzt bekannt. Der Bezirksverordnete hatte den Vorgang selbst öffentlich gemacht und Anzeige erstattet. Bei dem Auto handelt es sich um einen blauen Trabant mit CDU-Werbung. Bislang unbekannte Täter traten den Türgriff, die Seitenspiegel und die Stoßstange ab und verteilten im Inneren des Fahrzeuges Säure. „Hierdurch erlitt leider eine Person leichte Verätzungen am Gesäß“, schreibt Hermann auf seiner Internetseite.
CDU-Politiker ist entsetzt über die Tat
Die Polizei bestätigte die Darstellung des Bezirksverordneten und schließt eine politische Tatmotivation nicht aus. Ermittelt werde wegen Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung. Geprüft wird auch, ob es einen Zusammenhang zu anderen, ähnlichen Taten, in denen Säure verspritzt wurde, gibt. Das sei schon sehr ungewöhnlich, hieß es.
„Das sind Dimensionen, die ich mir als Kommunalpolitiker in meinen kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können“, sagte Herrmann gegenüber der Berliner Morgenpost. „Auch wenn es manchmal Reibereien gibt, hatte ich immer den Eindruck, dass wir mit den anderen Parteien auf einer guten Basis zusammenarbeiten“, so Herrmann, der keinerlei Verdacht hat, wer hinter der Aktion stecken könnte.
Auch wenn ihm der Vorfall nach eigener Aussage ein mulmiges Gefühl bereitet, will Hermann sich nicht einschüchtern lassen. Den Trabi 601, Baujahr 1989, hatte ihm seinerzeit die Freiwillige Feuerwehr geschenkt. „Wir werden ihn wieder herrichten lassen und wieder in den Kiezen unterwegs sein“, sagt Herrmann.
Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 36 Attacken
Nach einer kleinen Anfrage der Linken-Politiker Niklas Schrader und Anne Helm hatte die Polizei erstmals eine genaue Aufstellungen mit Angriffen auf Parteibüro in Berlin veröffentlicht. Aus der Untersuchung geht hervor, dass es im vergangen Jahr in Berlin 36 Attacken gab. Am häufigsten betroffen war die SPD, gefolgt von den Linken und der AfD. Die Polizei räumte aber ein, dass die Zahlen wahrscheinlich höher liegen, da man aufgrund des hohen Fallaufkommens und der Personalnot bei der Behörde noch nicht alles erfasst habe.
Gezielt ausgekundschaftet wurde offenbar das AfD-Mitglied Tilo P.: Dessen Privatfahrzeug wurde in Neukölln angezündet. Der Vorfall ereignete sich in Gropiusstadt. Gegen 23.30 Uhr fielen Fahndern der Polizei auf dem Käthe-Dorsch-Ring drei Männer auf Fahrrädern auf, die dort einen Wohnblock umrundeten. Auf einem Innenhof blieben die drei Tatverdächtigen plötzlich stehen. Einer soll sich vor einem Fahrzeug gebückt und anschließend mit seinen zwei Komplizen auf Fahrrädern eilig geflüchtet sein. Die Fahnder verfolgten das Trio in Richtung Fritz-Erler-Allee und stellten kurz darauf einen der drei Männer.
Zwischenzeitlich wurden Polizei und Feuerwehr zu dem Innenhof alarmiert, da dort der Wagen brannte, an dem sich die drei Männer kurz zuvor aufgehalten hatten. Das Feuer wurde gelöscht, verletzt wurde niemand. Die Ermittlungen dauern an. Der 39-Jährige Tatverdächtige verweigerte nach Informationen der Berliner Morgenpost die Aussage. Der für politische Strafteten zuständige Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. P. steht aber nach Informationen der Berliner Morgenpost selbst im Verdacht, an den Brandanschlägen auf Linke in Neukölln beteiligt zu sein. Er bestreitet das aber.
Zivilstreife beobachtet die mutmaßlichen Täter
Die Spezialabteilung des Landeskriminalamtes führt auch die Ermittlungen nach einer Attacke auf das Berliner Büro des US-Versandriesen Amazon an der Krausenstraße in Mitte. Dort haben Unbekannte in der Nacht zu Donnerstag das Bürohaus mit Steinen und Farbbeuteln beworfen. Zuvor verschlossen die Täter die Eingangstür des Gebäudes mit einer Fahrradkette, so dass der Wachschutz nicht hinausgelangen konnte. Die Polizei ging am Morgen von mindestens drei vermummten Tätern aus. Einsatzkräfte der Berliner Feuerwehr mussten das massive Schloss gegen 3 Uhr aufflexen. Laut Polizei wurden zwölf Pflastersteine gegen das Gebäude geworfen. Zudem wurden gegen die Fassade Farbbeutel geworfen. Die Täter flohen laut Polizei in Richtung Leipziger Straße.
Bundesanwaltschaft lehnt Ermittlungen zu Anschlagsserie ab
Unbekannte zünden Ordnungsamt-Fahrzeuge in Neukölln an
Behörde hat kriminelle Clan-Strukturen im Visier
Polizei-Studie zeigt: Dutzende Angriffe auf Parteibüros
Anschlag mit Säure auf Kiezmobil von CDU-Politiker