Berlin. Ein gutes Dutzend Mieter zögerte bis kurz vor Schluss. Am Donnerstag um 14 Uhr endete die Frist, bis zu der sie ihre Unterschrift und Zustimmung für einen komplizierten Deal geben konnten, bei dem sie das Vorkaufsrecht an ihrer Immobilie wahrnehmen und sie umgehend an die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag verkaufen. Nach Übersicht der abgegebenen Einwilligungen vermeldete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, dass die angestrebte Zahl von teilnehmenden Mietern erreicht sei.
Dies war der entscheidende Punkt, der über Gelingen oder Misserfolg entscheiden würde: Nur mit einem Anteil von mindestens 26 Prozent hätte die Gewobag in einer zukünftigen Eigentümergemeinschaft genug Einfluss, um teure Sanierungen zu verhindern und ein für alle Bewohner bezahlbares Mietniveau langfristig zu sichern. Die genaue Zahl von Anwohnern, die bis Fristablauf unterschrieben hatten, wurde am Donnerstag nicht mitgeteilt. Die Senatsverwaltung sprach nur von „deutlich mehr als die notwendigen 26 Prozent“. Wie viele es exakt sind, werde am heutigen Freitag bekannt gegeben. Dabei ist relevant, auf welche Quadratmeterzahl die teilnehmenden Anwohner kommen.
Am zweiten Tag in Folge hatten Mieterbeirat, Bezirk, Gewobag und die zuständige Senatsverwaltung am Donnerstag in den Friedrichshainer Münzenbergsaal im Gebäude des „Neuen Deutschland“ geladen. Hintergrund ist der Verkauf der Wohnungen von der Predac an die Deutsche Wohnen, die im Ruf steht, nach Sanierungen erhebliche Mietsteigerungen zu fordern. Dabei stand den Mietern nun ein Vorkaufsrecht zu.
Immobilienkonzern prüft weitere Schritte
Das Land Berlin unterstützt Anwohner mit zwei Modellen. Einerseits werden ihnen günstige Kredite für den Kauf zur Verfügung gestellt. Davon sollen aber keine 30 Mieter Gebrauch gemacht haben. Ein zweites Modell ist der sogenannte gestreckte Erwerb, um den es am Donnerstag im Münzenbergsaal ging. Ein Mieter wollte von den Experten auf dem Podium wissen, ob ihm seine große Terrasse neu berechnet werden könnte. Ein anderer, der 46 Jahre alte Markus aus dem Block D Nord, sah sich vor einer Entscheidung, die für ihn und seine dreiköpfige Familie zukunftsentscheidend ist. „Ich könnte einerseits das Vorkaufsrecht wahrnehmen und die Wohnung behalten“, sagte er. Die Bankfinanzierung dafür habe er. „Aber wir möchten uns für eine Rekommunalisierung einsetzen und dafür sorgen, dass auch unsere Wohnung an die Gewobag geht.“
Während der Verkaufprozess von den darin involvierten Juristen auf drei bis sechs Monate geschätzt wird, räumen sie ein, dass die Deutsche Wohnen gerichtlich dagegen vorgehen könnte. Das würde für die Mieter viele Monate, möglicherweise Jahre der Ungewissheit darüber bedeuten, was mit ihren Wohnungen geschieht. Kurz bevor die Frist ablief, entschieden sich Mieter Markus und seine Frau schließlich. Vor dem Veranstaltungssaal reichten sie ihre Unterlagen ein. „Es bleiben Bauchschmerzen“, sagte im Treppenhaus die 64 Jahre alte Anwohnerin Cordula, nachdem auch sie soeben unterschrieben hatte. „Das Risiko erscheint mir sehr hoch.“
Seitens der Deutsche Wohnen erklärte eine Sprecherin, man werde weitere Schritte prüfen, wenn man alle Unterlagen erhalten habe. Die Vorsitzende der Berliner Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Carola Bluhm, nahm auf den Senatsbeschluss vom Dezember 2018 zur Rekommunalisierung von drei Blöcken Bezug: „Ich bin froh, dass es in einem intensiven Prozess gelungen ist, einen kreativen, rechtlich sicheren Weg zu finden, auf dem es gelingen kann, diesen politischen Auftrag umzusetzen.“ Ziel sei, den von Rot-Rot-Grün eingeschlagenen Weg fortzusetzen, bezahlbaren Wohnraum in der ganzen Stadt zu sichern, auch indem Wohnungsbestände rekommunalisiert würden. Der Staatssekretär für Wohnen, Sebastian Scheel (Linke), sprach von einer „wichtigen Hürde“, die nun genommen sei.
Opposition: „Sonderstellung zulasten der Allgemeinheit“
Kritik kam von der Opposition. Christian Gräff, Sprecher für Bauen und Wohnen der CDU-Fraktion, sagte, Berliner Mieter brauchten nicht nur in der Karl-Marx-Allee Unterstützung: „Es darf keine Sonderstellung einzelner Mieter wie die in der Karl-Marx-Allee zulasten der Allgemeinheit geben.“ Senat und Bezirke seien besser beraten, Mieter mit einem von der CDU entwickelten Mietergeld zu unterstützen und Investoren dazu zu bewegen, auf Mietsteigerungen für eine bestimmte Zeit zu verzichten. „Gleichzeitig muss endlich der Wohnungsbau in unserer Stadt angekurbelt werden“, sagte Gräff.
Die Vize-Fraktionsvorsitzende der FDP, Sibylle Meister, stellte infrage, ob der Deal „wirklich juristisch so einwandfrei ist, wie derzeit behauptet wird“. Sie kritisierte, dass enorme öffentliche Mittel ausgegeben würden, die nun für den Bau landeseigener Wohnungen fehlten. „Den Menschen, die am Sonntag bei der Wohnungsbesichtigung Schlange stehen, hilft eine Rekommunalisierung an der Karl-Marx-Allee überhaupt nichts“, so Meister.
Wohnungsdeal
Das für die Karl-Marx-Allee entwickelte Modell „gestreckter Erwerb“ sieht vor, dass Mieter, denen im Zuge des Verkaufs von 720 Wohnungen von der Predac an die Deutsche Wohnen ein Vorkaufsrecht zusteht, dieses wahrnehmen, um die Immobilie umgehend an die landeseigene Gewobag zu verkaufen. Die Frist dafür lief bis Donnerstag 14 Uhr. Weitere 82 Wohnungen befinden sich in einem Milieuschutzgebiet. Dafür hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sein Vorkaufsrecht ausgeübt. Mitte Dezember meldete die Deutsche Wohnen den Kauf von weiteren 150 Wohnungen an der Karl-Marx-Allee.
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