Berlin. Das vom Berliner Senat ausgerufene „Jahrzehnt der Investitionen“ droht am Berliner Bauhandwerk vorbeizugehen. Davor hat jetzt Manja Schreiner, Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau (FG Bau), im Interview mit der Berliner Morgenpost gewarnt. Allein in den Neubau und die Sanierung von Schulen sollen nach den Plänen der rot-rot-grünen Landesregierung bis 2026 gut 5,5 Milliarden Euro fließen. Mittlere und kleine Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitern hätten jedoch kaum eine Chance, von dem Auftragskuchen ein ordentliches Stück abzubekommen, warnt Schreiner.
Ein echtes Problem, so die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes, der rund 900 kleine und mittelständische Handwerksbetriebe in Region, vertritt, seien die Anforderungen, die in den jüngsten öffentlichen Ausschreibungen aufgestellt wurden. So mussten Firmen, die sich auf eines der Lose zum Neubau einer Flüchtlingsunterkunft bewarben, nachweisen, dass sie in den vergangenen drei Jahren im Durchschnitt einen Mindestumsatz von 65 Millionen Euro jährlich erwirtschaftet haben. „Diese Bedingung schließt nahezu den gesamten regionalen Mittelstand aus, obwohl er selbstredend in der Lage wäre, solch ein Projekt zu stemmen“, sagte Schreiner. Bauunternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern würden üblicherweise grob gerechnet einen Umsatz von 20 bis 25 Millionen Euro im Jahr erwirtschaften.
Tatsächlich wird das Berliner Bauhauptgewerbe von eher kleine Betrieben domminiert. Nach aktuellen Angaben des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg haben 88,9 Prozent aller Betriebe weniger als 20 Mitarbeiter. Im gesamten Jahr 2017 erwirtschafteten die Berliner Betriebe mit ihren insgesamt knapp 23.000 Mitarbeitern rund 3,5 Milliarden Euro. Damit beträgt der Jahresumsatz der Berliner Betriebe im Schnitt lediglich 1,6 Millionen Euro.
Es sei verständlich, dass der Senat etwa beim Schul- und Wohnungsbau oder bei der Infrastruktur nach jahrelangem Sparkurs das Steuer herumreißen und wieder ganz schnell bauen möchte – und das möglichst kostensparend, so Schreiner. Dennoch fordert sie Augenmaß ein. Zudem habe die Politik auch eine Verantwortung für das heimische Handwerk.
Die Behörde von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) weist die Vorwürfe zurück: „Bei der Schulbauoffensive haben sich bei Typenbauten Generalunternehmer (GU)-Vergaben bewährt, da sie eine schnelle Umsetzung der Neubaumaßnahmen garantieren“, sagte Sprecherin Petra Rohland der Berliner Morgenpost. Die Verträge würden in der Regel als Rahmenverträge konzipiert, bei dem ein GU mehrere Schulbauten als Typenbau durchführt. „Von daher kann es sein, dass bei diesen GU-Vergaben besondere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit von Baufirmen gestellt werden und damit entsprechende Mindestumsätze gefordert werden“, sagte sie. Die Berliner Baufirmen könnten in diesen Fällen aber Bietergemeinschaften bilden.
Kleinteilige gewerkweise Vergaben gebe es zudem bei den „Normalbauvorhaben“, etwa im Wissenschaftsbereich. Ebenso werde der gesamte Bauunterhalt der Bezirke kleinteilig vergeben wird. Die Entrüstung des Berliner Mittelstandes sei nicht nachzuvollziehen, konterte Rohland. Insbesondere in diesem Jahr habe man feststellen müssen, dass von den Berliner Baufirmen immer weniger Angebote auf unsere Ausschreibungen abgegeben worden sind.
Das bestreitet auch FG Bau-Geschäftsführerin Manja Schreiner nicht: „Der bürokratische Aufwand bei Auftragsvergaben durch Behörden der Bezirke oder des Landes sind viel zu hoch“, begründet sie die Tatsache, dass sich nur noch etwa die Hälfte ihrer Mitgliedsunternehmen um öffentliche Aufträge bewirbt. Um sich auf einen 70.000 Euro-Auftrag, etwa für die Erweiterung eines Kindergartens, zu bewerben, müsse sich der Betrieb durch einen 120-seitigen Ausschreibungskatalog arbeiten.
Entsprechende Änderungen an der aktuellen Praxis öffentlicher Aufträge lehnte Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) jedoch ab. „Wir werden keine Abstriche bei den sozialen und ökologischen Zielsetzungen vornehmen“, sagte sie der Berliner Morgenpost. „Unsere gemeinsame Aufgabe als Koalition ist es, die öffentlich Beschaffung an sozialen, ökologischen und innovationsfördernden Kriterien auszurichten und dabei den bürokratischen Aufwand für die Unternehmen gering zu halten. Diese Maßgabe ist Grundlage für die Diskussion für den breit angelegten Abstimmungsprozess der nach Vorlage des Referentenentwurfs in Kürze beginnt.“
120 Seiten Ausschreibung für einen Auftrag