Berlin

Wenn Räume und Gewebe aktiv werden

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Andreas Abel
Wolfgang Schäffner ist Professor für Wissens- und Kulturgeschichte an der Humboldt-Universität.

Wolfgang Schäffner ist Professor für Wissens- und Kulturgeschichte an der Humboldt-Universität.

Foto: Anikka Bauer

Materialien können sich an Aufgaben und Umgebungen anpassen und so eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung neuer Produkte spielen.

Materialien werden stetig weiterentwickelt, Formen der Visualisierung ebenfalls. Bilder können heute Handlungen und Prozesse steuern, etwa in der Chirurgie. Räume und Materialien müssen nicht statisch und passiv sein, sondern können sich aktiv an Aufgaben und Umgebungen anpassen und so eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung neuer Techniken und Produkte spielen. Der Cluster „Matters of Activity“ der Humboldt-Universität hat das Ziel, Grundlagen für eine neue Kultur des Materiellen zu schaffen und zugleich das Analoge im digitalen Zeitalter zu bewahren und weiterzuentwickeln.

Unsere im 19. Jahrhundert entstandene Auffassung von geeigneten Materialien stellt gerade das Starre, Passive als geeignet heraus, etwa beim Eisen. Hingegen wurde zum Beispiel die Eigenschaft von Holz, aktiv auf Wärme und Feuchtigkeit zu reagieren und zu „arbeiten“ als störend angesehen. Heute existieren Technologien, die sich diese Eigenschaft des Holzes zu Nutze machen, sie als funktional und intelligent begreifen. So gibt es Sonnenschutzvorrichtungen aus Holz, die nur auf die Sonnenwärme reagieren und ohne zusätzlichen Motor oder Sensor auskommen. Auch Zellulose kann als intelligente Hardware verwandt werden. In indigenen Kulturen ist dieses Wissen präsent, bei uns ist es verloren gegangen. Im Idealfall erfolgt die Aktivität eines Materials ohne digitale Unterstützung oder Kontrolle, zudem wird auch der Einsatz externer Energie reduziert.

Spezialisten aus mehr als 40 Fachrichtungen in einem Labor

Der Forschungsansatz des Clusters erfordert ein interdisziplinäres Vorgehen von Spezialisten in einem Labor. Wissenschaftler aus mehr als 40 Fachrichtungen werden nun im Rahmen von „Matters of Activity“ systematisch untersuchen, wie Materialien, Bilder und Räume zu aktiven Bausteinen der Realität entwickelt werden können, in der Natur und Kultur in einer neuartigen Weise miteinander verbunden sind. Dazu gehören Natur- wie Geisteswissenschaftler, Ingenieure wie Gestalter, zum Beispiel auch Biologen und Mathematiker. Unterstützt werden sie durch ein internationales Netzwerk von Kooperationspartnern. Diese interdisziplinäre Erforschung und Entwicklung nachhaltiger Prozesse und Strukturen spielt eine zentrale Rolle etwa in der Werkstoff- und Medizintechnik, der Architektur und Robotik.

Ausgangspunkt sind dabei drei traditionelle und grundlegende Techniken: Filtern, Weben und Schneiden. Daraus lassen sich im digitalen Zeitalter neue Formen von dynamischen und aktiven Materialien gewinnen, die, so sagt Clustersprecher Wolfgang Schäffner, „unsere Kultur fundamental verändern werden“. Schäffner ist Professor für Wissens- und Kulturgeschichte.

Biologische Materialien sind allesamt Gewebe. Sie weisen keine stumpfe Stabilität auf, sondern eine komplexe innere „Architektur“ mit eingebauter Intelligenz. Im Cluster geht es auch darum, die Intelligenz der Fasern und des Webens zu erforschen und Zusammenhänge nutzbar zu machen. Zum Beispiel untersucht eine Mathematikerin die Geometrie der Haut. Das Weben ist nicht nur wichtig für die Herstellung von Bekleidung sondern ebenso in der Architektur.

Fühlende Skalpelle können die Chirurgie revolutionieren

Auch beim Schneiden sind fundamentale Veränderungen möglich: In der Nanowissenschaft werden fühlende Messer entwickelt. Ein Forschungsthema ist, diese Technologie auf Skalpelle zu übertragen, die in der Chirurgie verwandt werden. Das „Feedback“ beim Führen des Messers käme dann nicht aus digitaler Bildgebung, sondern aus dem Material selbst. Das könnte die minimalinvasive Chirurgie revolutionieren.

Der Cluster sucht auch den direkten Dialog mit der Gesellschaft. Das soll im künftigen Humboldt-Forum passieren. In einem offenen Labor wollen die Wissenschaftler dort Experimente, Fragestellungen und Probleme darstellen. Das Labor soll als „Interaktionsbühne“ dienen, wo sie mit den Berlinern ins Gespräch kommen und auf ihre Fragen reagieren können.

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