Jubiläum

Berliner Mieterverein kämpft seit 130 Jahren für die Mieter

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Isabell Jürgens
Blick in eine Küche aus dem Jahr 1905 in der Rixdorfer Prinz-Handjery-Str. 52.

Blick in eine Küche aus dem Jahr 1905 in der Rixdorfer Prinz-Handjery-Str. 52.

Foto: akg-images / picture alliance / akg-images

Im Jahr 1888 wurde der Berliner Mieterverein gegründet. Das Jubiläum wird mit einem Tag der offenen Tür gefeiert.

Berlin. Ein typisches Szenario vor 130 Jahren: Hauseigentümer pfänden bei Mietrückständen den gesamten Hausstand und setzen die betroffenen Familien einfach vor die Tür. „Es ist schon vorgekommen, dass der Wirth der Frau des Miethers nicht einmal gestattet hat, neben der nassen noch eine trockene Windel für ihren Säugling mitzunehmen“, prangert die Zeitung des „Vereins Berliner Wohnungsmiether“ in seiner Ausgabe vom Juni 1890 an. Historiker haben festgestellt, dass zwischen 1879 und 1894 jährlich zwischen 43 und 64,7 Prozent der Berliner Mieter umzogen – die meisten davon nicht freiwillig.

Die bedrückenden Wohnverhältnisse in den Mietskasernen führen zur Gründung des Berliner Mietervereins (BMV) 1888. Zum Glück gehören sie längst der Vergangenheit an, aber nicht alle Probleme, die seine 555 Gründungsmitglieder damals bewegten, sind Geschichte. Der Berliner Mieterverein ist heute mit seinen 172.000 Mitgliedern der mitgliederstärkste in Europa. An diesem Sonnabend feiert er seinen 130. Geburtstag.

Wohnungsnot, Bodenspekulation und vor allem das völlige Fehlen eines gesetzlichen Mieterschutzes prägen die Vereinsarbeit vor 1900, als das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft tritt. Kein Wunder, dass der „Mietherverein“ kurz vor der Jahrhundertwende bereits 4000 Mitglieder zählt: Denn in der „historisch noch jungen Wohnform zur Miete gab es viel Willkür und wenig soziale Sicherheit“, wie Armin Hentschel, Leiter des Potsdamer Instituts für Soziale Stadtentwicklung es in einer Festschrift zum 125. Jubiläum formulierte.

Reichsmietengesetz bringt 1922 etwas Sicherheit

Erst nachdem sich die schon vor dem Ersten Weltkrieg herrschende Wohnungsnot nach Kriegsende 1918 noch einmal deutlich verschärft, wird in Deutschland 1922 das Reichsmietengesetz eingeführt und bringt zumindest etwas Sicherheit. Und die sich fleißig gründenden Baugenossenschaften wecken die Hoffnung, dass bald für jeden Berliner gesunde Wohnverhältnisse mit fließend Wasser, Heizung und Strom Standard sein könnten.

Doch schon bald zeichnen sich wieder dunkle Wolken am Horizont ab: 1934 verliert der Mietherverein nicht nur sein „h“ aus dem Namen, sondern im Zuge der sogenannten Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten gleich auch noch alle seine jüdischen Mitglieder, die nun ausgeschlossen werden. Diese verlieren mit einem Schlag auch jeglichen Mieterschutz – größere Proteste gegen dieses Vorgehen seitens des Vereins sind nicht überliefert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind große Teile Berlins zerstört, ein Drittel aller Wohnungen ist unbewohnbar. Der Aufbau beginnt provisorisch und buchstäblich mit Schutt. 1949 knüpft dann auch der Berliner Mieterverein mit Erlaubnis des Magistrats der Vier-Sektoren-Stadt Berlin wieder an seine Geschichte an. Er erhält eine Zulassung als „nicht politische Organisation“. Mit dem Mauerbau im Jahr 1961 wird der Verein eine Organisation der drei Westsektoren.

1979 wird der Vereinsvorstand politisch umgekrempelt

„Politisch“ wird der Verein erst wieder 1960, als die Bundesregierung die weitreichenden Schutzregelungen für Mieter in der Nachkriegszeit beendet. Der Protest hat Erfolg, anders als andere Städte behält Berlin das Mieterschutzgesetz mit seiner Mietpreisbindung im Altbau bis 1975. Vor allem aber die Abriss-Sanierung und die damit verbundenen Leerstände in den Berliner Altbaubezirken, auf die überwiegend junge Berliner mit Hausbesetzungen und einer regelrechten Protestbewegung reagieren, krempelt schließlich auch den Mieterverein gehörig um. 1979 wird der alte, als zu zahm empfundene Vorstand abgewählt und durch einen deutlich politischeren ersetzt.

Offenbar ein Erfolg: Die Mitgliederzahlen verdreifachen sich nahezu, von 13.100 Mitgliedern im Jahr 1979 auf rund 33.500 im Jahr 1988. Die Wiedervereinigung schafft schließlich neue Herausforderungen. 1990 tritt die vereinte Gesamt-Berliner Mieterorganisation für einen möglichst schonenden Übergang der staatlichen Wohnraumversorgung in eine soziale Wohnungsmarktwirtschaft ein.

Entspannte Phase für Mieter nach der Wiedervereinigung

Die Zahl der Mitglie­der im Ostteil der Stadt erlebt nun mit dem Aufbau der Beratungsarbeit einen enormen Aufschwung, 1998 sind es bereits 83.000 Mitgliedshaushalte. Und weil Berlin, anders als erwartet in den 90er-Jahren nicht wächst, sondern sogar schrumpft, zugleich aber mit enormen Wohnungsbauprogrammen kräftig am Bedarf vorbeigebaut wird, erleben Berlins Mieter eine relativ entspannte Phase.

Diese endet erst, als der Berliner Senat Anfang der 2000er-Jahre beginnt, im großen Stil ganze Wohnungsbaugesellschaften zu veräußern, und er gleichzeitig komplett aus dem sozialen Wohnungsbau aussteigt. „Fatale Fehlentscheidungen, die uns heute sehr zu schaffen machen“, sagt der seit 2009 amtierende BMV-Geschäftsführer Reiner Wild.

Inzwischen ist der Berliner Mieterverein deshalb wieder sehr politisch und bei den großen Mieterdemonstrationen in diesem Sommer natürlich immer mit dabei. Die seit 2010 explosionsartig steigenden Mieten sind inzwischen neben der Wohnungsknappheit durch den Zuzug von jährlich rund 40.000 Menschen in die Hauptstadt das Hauptproblem, dem sich der Mieterverein gegenübersieht.

9 Euro Mietgliedsbeitrag pro Monat

Heute ginge es vor allem darum, dass die Wohnkosten nicht immer größere Anteile des Haushaltseinkommens verschlängen. „Die Berliner müssen schon heute zwischen 30 und 50 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen aufbringen“, sagt Wild. In Zeiten der Globalisierung und des wachsenden Einflusses internationaler Kapitalgeber auf dem Berliner Wohnungsmarkt reiche es nicht, sich nur auf die Geschehnisse vor Ort zu konzentrieren. „Gleichzeitig dürfen wir aber auch nicht unseren Serviceauftrag vergessen“, sagt Wild.

Schließlich beträgt der Mitgliedsbeitrag einschließlich Prozesskostenversicherung pro Monat neun Euro, mit gestaffelten ermäßigten Beitragsermäßigungen nach längerer Mitgliedschaft sowie bei niedrigem Einkommen. „Dafür erwarten unsere Mitglieder nicht nur politische Interessensvertretung, sondern auch umfassende Beratung“, sagt Wild.

Tag der offenen Tür des Berliner Mietervereins: 24.11., 11–18 Uhr, Spichernstraße 1. Es gibt: Einblicke in die Arbeit der Rechtsberatung (11.20 Uhr), um 13 Uhr eine Podiumsdiskussion zum Thema: „Zukunft der Mieterbewegung – Dienstleistung und Protest“, ab 14.15 Uhr stellen sich die ehrenamtlich in den Bezirken engagierten Mitglieder vor

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