Es gibt Situationen, in denen Bargeld vermutlich niemals zu ersetzen sein wird. Ein Werbespot der deutschen Sparkassen zeigt ein solches Beispiel: Darin steht eine junge Frau, den Rücken zugekehrt, vor einem Brunnen. Sie kneift ihre Augen zusammen, presst die Lippen aufeinander. Dann fliegt das Smartphone der Frau in hohem Bogen in den Brunnen. Das Gerät sinkt auf den Boden, wo bereits zahlreiche Münzen liegen. „Kann alles, was Bargeld kann. Fast“, ist die Botschaft der Werbemacher, die mit dem kurzen Clip die App „Mobiles Bezahlen“ präsentieren wollen. Das Programm können Nutzer seit Ende Juli auf ihre Smartphones laden.
Auch der Berliner Uwe Dreßler nutzt die App seitdem mehrmals pro Woche zum Einkaufen. Dreßler, 44 Jahre, Familienvater, war noch nie ein besonders großer Anhänger von Bargeld. Wann immer es ging, bezahlte der Sachbearbeiter mit Karte. Jetzt kann Dreßler aber auch das Plastikgeld getrost im Portemonnaie stecken lassen. Mit der App zahlt der Berliner kontaktlos. Dafür muss er an der Kasse nur sein Smartphone in Richtung des Kartenlesegerätes halten. Als Dreßler an einem Abend vor ein paar Wochen in einem Drogeriemarkt an der Friedrichstraße Zahnpasta und Handcreme kauft, schauen die Menschen hinter ihm in der Schlange noch etwas verwundert. Dreßler aber ist begeistert. „Ich empfinde das bargeldlose Bezahlen als sehr bequem. So habe ich auch die Ausgaben besser unter Kontrolle, weil sofort alles in der App zu sehen ist“, erklärt er.
Noch immer heben viele Berliner Bargeld ab
Uwe Dreßler ist unter den Berliner allerdings eine Ausnahme. Eine Welt ohne Münzen und Scheine können sich zwei von drei Befragten nicht vorstellen, hat die Berliner Sparkasse in einer Umfrage herausgefunden. Auch die Auszahlungen an den mehr als 600 Geldautomaten des Instituts waren zuletzt immer weiter angestiegen. Während die Berliner 2012 noch 7,3 Milliarden Euro abhoben, waren es im vergangenen Jahr bereits 8,3 Milliarden Euro. Allerdings: Jüngere Hauptstadteinwohner glauben durchaus an eine bargeldlose Zukunft. 48 Prozent der 18- bis 29-Jährigen halten ein Leben ohne Bargeld für denkbar. „Der Trend geht ohne Frage in diese Richtung“, sagt Alexander Fest, Direktor für private Kunden bei der Berliner Sparkasse. „Immer mehr Händler und Kunden setzen auf mobiles Bezahlen. Kontaktlos und ohne Bargeld zu zahlen ist einfach und geht schnell“, so Fest.
Doch Berlin hinkt im internationalen Vergleich hinterher, was den bargeldlosen Zahlungsverkehr angeht. Das liegt auch an der ausgeprägten Liebe vieler Einwohner zu Münzen und Scheinen. Noch immer gibt es Gastronomen in der Hauptstadt, die EC- und Kreditkarten nicht akzeptieren und von Touristen dafür regelmäßig verständnislose Blicke ernten. In anderen Städten wächst das bargeldlose Bezahlen hingegen rasant. Vor allem Metropolen in Skandinavien, angelsächsischen Ländern und Schwellenländern sind enteilt. In Indien etwa soll das digitale Zahlen bereits 2022 Münzen und Scheine ablösen, sagen Experten der Boston Consulting Group voraus. Wann ist es in Berlin so weit?
„Bargeld ist ein Symbol für Freiheit“
In einem Gebäude an der Charlottenburger Hardenbergstraße sitzt vielleicht ein Teil der neuen Finanzwelt. Mehr als 30 Unternehmen mit etwa 1000 Mitarbeitern tüfteln hier an neuen Geschäftsmodellen. Nicht immer geht es dabei um die Frage, wie wir künftig bezahlen werden. Ramin Niroumand ist Gründer und Geschäftsführer von Finleap, dem Betreiber des Start-up-Hubs an der Hardenbergstraße. Der studierte Wirtschaftsinformatiker glaubt an eine Zukunft ohne Bargeld. Er könne aber verstehen, wenn viele Berliner an den Münzen und Scheinen festhalten. „Bargeld ist ein Symbol für Freiheit“, sagt Niroumand. Diese Anonymität werde aber auch von Kriminellen ausgenutzt. Für den Handel sei der Umgang mit Bargeld zudem ein Kostenfaktor. Transporte, Kassen und mitunter auch der Verlust koste Händler etwa ein Prozent des jährlichen Umsatzes, schätzt Niroumand.
Wie eine bargeldlose Zukunft für den Einzelhandel aussehen könnte, zeigt das Kreditkarten-Unternehmen Visa in einem Kreuzberger Bau mit Flachdach. „Wir denken das Bezahlen vom Konsumenten her. Die Lösung muss überzeugend und einfach sein. Dann werden sich die Zahlungen mit Bargeld auch weiter verringern“, erklärt Michael Hoffmann, Managing Director des Spielfeld Digital Hubs, den Visa gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Roland Berger betreibt. Visa will mit dem Blick in die bargeldlose Zukunft vor allem seine Geschäftspartner erreichen. Deswegen lädt das Unternehmen immer mal wieder Einzelhändler ein. Die Mitarbeiter der Firmen gehen dann gewissermaßen auf eine Reise.
„Kundenmomente“, nennt Visa die Situationen, die in der Halle zu sehen sind. Häufig beginnt die Reise deswegen auf der Couch eines Wohnzimmers. Dort, glaubt das Kreditkarten-Unternehmen, werden viele Bedürfnisse geweckt. Es gibt auch noch eine U-Bahnstation und ein Geschäft. Visa stellt sich die Zukunft des Bezahlens zum Beispiel so vor: Morgens auf dem Weg zur Arbeit stehen viele Menschen unter Zeitdruck. Zwar gibt es den Wunsch nach Brötchen oder Kaffee, doch die lange Warteschlange hält viele Menschen davon ab, etwas zu kaufen. Ein Start-up aus Düsseldorf, das Visa hier präsentiert, könnte die Lösung sein. „App & Eat“ hat ein einfaches Programm für das Smartphone entwickelt. Nutzer können über die App Essen und auch Getränke vorbestellen. Ein Bäcker bereitet die Kundenwünsche vor, die dann zu der gewünschten Zeit im Laden abgeholt werden können.
Hauptstadt der digitalenFinanz-Start-ups
Ein Sicherheitsetikett, das in Kleidungsstücke eingenäht wird, ist ein weiteres Beispiel: Das Unternehmen Quick Wy hat die Technik neu erdacht. Statt eines klobigen Plastikteils an den Klamotten, das das Geschäft bei jedem Kauf erst entfernen muss, bleibt die neuartige Diebstahlsicherung einfach mit der Kleidung verbunden. Der Handel spart so Geld und Zeit. Für den Käufer kann die Technik Vorteile bringen: Dank des intelligenten Etiketts kann der Kunde mit seinem Smartphone selbst die Bezahlung vornehmen. Gleichzeitig macht eine App weitere Vorschläge für Kleidung, die der Kunde dann gleich im Laden anprobieren oder nach Hause bestellen kann. „Die Technik schafft so auch die Verbindung zwischen Online- und Offlinehandel“, erklärt Hoffmann.
Berlin ist für den Bezahlungsdienstleister ein gutes Pflaster: Die deutsche Hauptstadt ist ein Zentrum für Unternehmensgründungen. Auch Firmen aus dem Finanzwesen, sogenannte Fintechs, zieht es in die Stadt. Das ist überraschend, weil in der Vergangenheit vor allem Frankfurt am Main als Finanzmetropole galt. Berlin aber hat der hessischen Millionenstadt den Rang abge- laufen. Mittlerweile sitzen gut zwei Drittel aller deutschen Fintechs in Berlin, Tendenz steigend.
„Berlin ist Fintech-Hauptstadt und liegt mit mehr als 100 Fintech-Unternehmen deutlich vor München, Frankfurt, Hamburg und Köln“, sagt Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Die Politikerin nennt auch den Grund für diese Entwicklung: „Start-ups, die das alte Geschäftsmodell der Finanzbranche angreifen wollen, suchen ihren Standort nicht in den traditionellen Zentren der Finanzwirtschaft, sondern dort, wo sie digital affine Fachkräfte finden.“ Berlin biete dafür beste Rahmenbedingungen.
Es geht um Technologie und Psychologie
Im sechsten Stock des Finleap-Hauses an der Hardenbergstraße zeichnet Stephan Stricker einen Teil der alten Finanzwelt an eine weiße Tafel. Eine schwarze Linie und mehrere Querstriche sollen den Ablauf eines herkömmlichen Inkassoverfahrens symbolisieren. Zwei bis drei Mahnungen erhalten Schuldner normalerweise, bevor Gerichte mit der Sache beschäftigt werden. Im schlimmsten Fall klingelt dann sogar der Gerichtsvollzieher.
In der neuen Finanzwelt hingegen treibt Strickers Unternehmen Pair Finance die offenen Beträge ein. Derzeit hat das Berliner Start-up das Inkassomanagement für etwa 200 Firmen übernommen. Forderungen in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe will Pair Finance in den nächsten Monaten kassieren. Stephan Stricker, Halbglatze, spitzbübisches Lächeln, Businesshemd, ist zuversichtlich, dass das gelingt. Denn der 36 Jahre alte Unternehmer hat das Inkassoverfahren neu gedacht.
Bei Pair Finance geht es um Technologie und Psychologie. So versucht das Unternehmen zunächst herauszufinden, wie es generell um die Zahlungsbereitschaft der Schuldner bestellt ist. „Dann ist es wichtig, den richtigen Moment und den richtigen Ton zu treffen“, sagt Stricker. Dabei helfen dem Unternehmer vor allem Algorithmen, die aus 60 Merkmalen gewissermaßen die richtige Taktik herausfiltern, um die offenen Rechnungen schnellstmöglich zu begleichen.
Pair Finance berechnete einen Wert für die Zahlungsbereitschaft
Praktisch funktioniert das dann so: Ein Unternehmen, das mit Pair Finance zusammenarbeitet, schickt an die Berliner die Rechnung eines Kunden, der noch nicht bezahlt hat. Pair Finance nutzt zunächst die Daten, die das Unternehmen übermittelt hat: Name, Adresse und Kontaktdaten wie E-Mail-Adresse oder Telefonnummer. Zusätzlich sammelt der Pair-Finance-Algorithmus aber auch noch weitere Informationen ein, die im Internet zu finden sind. Dazu zählen etwa Profile in sozialen Netzwerken wie Facebook. Auf Basis der Daten berechnet Pair Finance einen Wert, der anzeigt, wie es um die Zahlungsbereitschaft des säumigen Konsumenten steht. Im nächsten Schritt kommt dann die Psychologie ins Spiel: Der Algorithmus gibt Empfehlungen, wie der Kunden am besten zu kontaktieren ist. Gleichzeitig berechnet die Technik auch, in welcher Form das Geld wohl am einfachsten einzutreiben ist. Deswegen bietet Pair Finance in vielen Fällen auch Ratenzahlungen, Stundungen und sogar einen Verzicht auf einen Teil der Forderungen ein. Die Berliner beweisen dabei durchaus Geduld. Es gibt digitale Inkassoverfahren, die sich über mehrere Monate hinziehen, sagt Stephan Stricker.
Die Mischung aus Technik und Psychologie hat für die Unternehmen, die mit Pair Finance zusammenarbeiten, Vorteile: „Wir holen die offenen Forderungen schneller als unsere Wettbewerber zurück“, verspricht er. Das Pair-Finance-Verfahren hat auch den Berliner Online-Modehändler Zalando überzeugt. Zunächst hatte Zalando Anfang 2017 Pair Finance beauftragt, einen Teil des Inkassomanagements zu übernehmen. Mittlerweile ist das Internetunternehmen auch an dem Start-up beteiligt. Bei der jüngsten Finanzierungsrunde konnte Stricker so mehr als vier Millionen Euro einsammeln.
Mehr als1,5 Millionen Menschen haben ein Konto bei N26
Eines der Berliner Vorzeige-Fintechs ist auch N26. Die Internetbank ist der Vision von einer Welt ohne Bargeld bereits heute sehr nah: In der Zentrale des jungen Unternehmens in der
Klosterstraße in Mitte gibt es weder Schalter noch Tresore. Stattdessen steht der Quellcode der N26-App auf den Teppichen, die in dem Gebäude verlegt sind. Seit Juli 2016 haben die Berliner eine Vollbank-Lizenz. Seitdem wächst die N26-Kundschaft rasant. Derzeit haben mehr als 1,5 Millionen Menschen ein Konto bei der mobilen Bank. Etwa 5000 neue Nutzer kommen täglich dazu.
Alexander Weber war einer der ersten Mitarbeiter des Start-ups. Mittlerweile ist der Endzwanziger für die internationale Expansion verantwortlich. Zuletzt kümmerte er sich um den N26-Start in Großbritannien, dem ersten Markt für das Unternehmen außerhalb der Eurozone. In den vergangenen Monaten ist Weber deswegen regelmäßig in London gewesen. Das britische Königreich zählt europaweit zu den führenden Nationen, was das bargeldlose Bezahlen angeht. „Ich hatte während meiner Zeit in Großbritannien nicht einmal ein Pfund in der Hand“, sagt auch Alexander Weber.
Internetbank hat etablierten Instituten Kampf angesagt
So geht es vielen Kunden bei der Internetbank. Der durchschnittliche N26-Nutzer ist 31 Jahre alt und geht nur äußerst selten an einen Geldautomaten. „Unsere Kunden bevorzugen bargeldlose Zahlungen“, sagt Weber. Allerdings legt es N26 auch darauf an. Denn viele Services, die von der Bank angeboten werden, funktionieren nur, wenn die Nutzer bargeldlos bezahlen und so jede Transaktion von der Software erfasst werden kann. Für die Kunden habe das nur Vorteile, glaubt Weber. „Mit N26 gelingt es unseren Nutzern, einen besseren Überblick über ihre Finanzen zu behalten“, sagt der Manager.
Auch deswegen integrieren die Berliner immer wieder neue Funktionen in die App. Nutzer können jetzt zum Beispiel Unterkonten einrichten, die etwa Ausgaben für Miete oder Lebensmittel erfassen. Eine Funktion, die dabei helfe, Geld zu sparen, so Weber. Die App erleichtere auch das Teilen von Rechnungen in Restaurants. Dafür muss allerdings der mit am Tisch sitzende Freundeskreis auch ein N26-Konto besitzen. Bald soll es auch Gemeinschaftskonten geben – dauerhafte für Lebensgemeinschaften, aber auch temporäre, etwa für einen Wochenendausflug.
Alexander Weber sieht in dem Weg zu einer bargeldlosen Zukunft eine „Generationenaufgabe“. Der jungen N26-Zielgruppe falle es bereits heute leicht, bargeldlos zu zahlen. Ältere Menschen hingegen haben Bedenken, so Weber. Datenschutz und Privatsphäre spielen dabei eine Rolle, so Weber. Vielleicht wäre das Ende des Bargelds auch für N26 ein Sieg. Münzen und Scheine sind Relikte der alten Bankenwelt – und den alten Größen wie Commerzbank oder Deutscher Bank haben die Berliner längst den Kampf angesagt. „Früher war Banking eine lästige Pflicht. Mit N26 machen viele Kunden zum ersten Mal eine positive Erfahrung“, erklärt Weber.
Und auch den Kampf gegen Münzen und Scheine hat das Unternehmen zumindest in seiner Anfangsphase vehement geführt: 400 Kunden flatterte 2016 die Kündigung ihres Kontos ins Haus. Grund: Die Nutzer hatten zu häufig Geld an Automaten gezogen.
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