An 17 Zählstellen werden deutlich mehr Fahrräder registriert. Große Unterschiede gibt es aber zwischen den Bezirken.

Die Berliner setzen sich immer häufiger aufs Rad. Wie neue Zahlen der Berliner Verkehrslenkung belegen, sind an 17 Zählstellen im Sommer dieses Jahres rund zehn Prozent mehr Radfahrer registriert worden als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Besonders stark frequentiert sind dabei Straßen in der Innenstadt. Auf der Oberbaumbrücke zwischen Friedrichshain und Kreuzberg wurden die meisten Radler gezählt, hier queren durchschnittlich 10.457 Menschen mit dem Fahrrad die Spree. Die wenigsten Radfahrer zählte die Verkehrslenkung auf der Alberichstraße in Marzahn-Hellersdorf. Dort sind es an einem durchschnittlichen Tag lediglich 563.

„Die Gründe für die großen Unterschiede sind vielfältig“, sagt Nikolaus Linck von der Berliner Zweigstelle des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC). „Viele Menschen nutzen das Rad, um zur Arbeit zu fahren. Und da die meisten Büros in der Innenstadt liegen, erstaunt es kaum, dass dort die meisten Radfahrer gezählt wurden.“ Ausschlaggebend sei allerdings auch die vorhandene Rad-Infrastruktur – und soziale Hintergründe. „In manchem Außenbezirk wie Marzahn-Hellersdorf möchte man derzeit kaum Radfahren“, so Linck. „Dort gibt es vielerorts keine ordentlichen Radwege, die Menschen fühlen sich zwischen den Autos unsicher auf der Straße, lassen das Rad eher stehen.“

Dass wiederum an der Berliner Straße in Pankow, ebenfalls recht weit außerhalb des S-Bahn-Rings, viele Radfahrer gezählt wurden, liege auch an den Menschen, die dort leben. „Es gibt Bezirke, in denen die Leute eher Radfahren als woanders“, sagt er, „weil sie für ökologische Themen stärker sensibilisiert sind.“

Mehr Berliner sollen aufs Rad umsteigen

Ziel des rot-rot-grünen Senats ist es, dass diese Begeisterung fürs Rad bei allen Berlinern steigt, künftig noch mehr Menschen aufs Fahrrad umsteigen. Dafür hat die Koalition im Sommer das sogenannte Mobilitätsgesetz verabschiedet. Es sieht im Schwerpunkt vor, dass die Radinfrastruktur ausgebaut wird. Unter anderem ist geplant, dass an allen Hauptverkehrsstraßen baulich abgetrennte Radstreifen entstehen, zudem sollen bis 2025 rund 100.000 Fahrradständer in der Stadt hinzukommen und Radschnellstraßen gebaut werden.

Bis auf eine erste Radspur der neuen Art an der Holzmarktstraße in Mitte ist all das aber noch Zukunftsmusik, die oft zitierte „Verkehrswende“ beginnt gerade erst. Die steigenden Radlerzahlen müssen also andere Gründe haben. So sieht es auch Radaktivist Heinrich Strößenreuther, der als Initiator des Volksentscheid Fahrrads einen wichtigen Anstoß für die Erarbeitung des Mobilitätsgesetzes gegeben hat. „Das Fahrrad ist zum Lifestyleprodukt geworden“, sagt er. „Immer mehr setzt sich das Wissen durch, dass Radfahren erstens ökologischer, zweitens gesünder und drittens billiger ist als Autofahren.“

Inzwischen gebe es immer mehr Zusatzartikel für Radfahrer, zum Beispiel spezielle Mode. Auch das Internet verstärke den Trend, zahlreiche Blogger beschäftigen sich mit dem Verkehr von morgen, im Fokus stehe dabei oft das Fahrrad. „Ich beobachte eine Art Kettenreaktion“, so Strößenreuther weiter. „Wenn die Leute im Freundeskreis davon hören, dass ihre Bekannten eine Radtour unternehmen oder zur Arbeit radeln, probieren sie es selbst auch aus.“ Auch das treibe neben steigenden Benzinpreisen die Zahl derer in die Höhe, die vom Auto aufs Fahrradfahren umsteigen.

„Wir können auch kurzfristig Verbesserungen herbeiführen“

Gleichwohl ist ihm zufolge nach wie vor viel zu tun. Er kritisiert, dass die Umsetzung der Verkehrswende zu langsam voranschreitet. „Ich verstehe, dass die Bezirke Zeit brauchen für den Bau neuer Radwege“, sagt er. „Aber wir können auch kurzfristig Verbesserungen herbeiführen.“ Baustellen etwa ließen sich besser beschildern, damit Radfahrer sie sicherer umfahren können. „Zudem könnte man bis zum Jahresende rund 100 Kilometer Radstreifen schaffen, indem man Parkstreifen am Straßenrand umwidmet.“

Zuletzt hatten mehrere Bezirke geklagt, dass sie die für die Planung von Radwegen notwendigen Ingenieursstellen nicht besetzt bekommen. Linck erwartet deshalb auch vom Senat, dass er die Kommunen stärker unterstützt. „Die Verkehrswende geht nur gemeinsam, dafür müssen alle an einem Strang ziehen.“ Sein Credo: Gibt es erst einmal genügend gesicherte Radwege, wird die Zahl der Fahrradfahrer von alleine weiter steigen – auch in Marzahn-Hellersdorf.