Arbeitslosigkeit

Jobs statt Hartz IV für Langzeitarbeitslose

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Joachim Fahrun
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller wünscht sich einen weiteren Baustein in der Arbeitsmarktpolitik

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller wünscht sich einen weiteren Baustein in der Arbeitsmarktpolitik

Foto: Reto Klar

Treffen im Roten Rathaus: Diakonie meldet Bedarf an Hilfen in der Pflege. Gewerkschaften und Arbeitgeber sehen das Berliner Konzept kritisch.

Berlin. Die Idee für ein solidarisches Grundeinkommen ist die wichtigste bundespolitische Initiative von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD). Als Alternative zu Hartz IV soll es für Arbeitslose sozialversicherungspflichtige, dauerhafte Jobs zu Mindestlohn-Bedingungen vor allem bei Sozialträgern und öffentlichen Unternehmen geben.

Ob und wann wie viel von Müllers Konzeption umgesetzt wird, ist aber noch unklar. Am Freitag trafen sich der Regierende Bürgermeister und die für Arbeitsmarktpolitik zuständige Senatorin Elke Breitenbach (Linke) im Roten Rathaus mit rund 40 Vertretern von Landesunternehmen, Wohlfahrtsorganisationen, Arbeitgeberverbänden, Kammern, Gewerkschaften und Bezirksämtern. „Alle haben gesagt, es sei gut, wenn es einen weiteren Baustein in der Arbeitsmarktpolitik gibt“, berichtete Müller nach dem Treffen.

Dabei gibt es im Detail durchaus unterschiedliche Meinungen. Welche Tätigkeiten sind denkbar, die weder reguläre Mitarbeiter verdrängen noch bisher von Ehrenamtlichen erledigte Hilfen ersetzen? Welcher Zielgruppe soll das solidarische Grundeinkommen (SGE) zugutekommen, also Menschen, die schon jahrelang in Hartz IV stecken, oder, wie von Müller beabsichtigt, eher solchen, die nach einem Jahr ohne Job im Begriff stehen, in Hartz IV zu rutschen? Martin Matz, Chef der Diakonie, kann sich in der Pflege Hilfsleistungen vorstellen. Zeitung vorlesen, Spiele spielen, Patienten zum Arzt fahren. „Da gibt es ernsthaften Bedarf“, sagte Matz.

Viele Einsatzfelder sind denkbar, etwa als Kiezlotse oder Fahrgastbegleiter

Sozialsenatorin Breitenbach sprach von Mobilitätshilfsdiensten, Fahrgastbegleitern in Bussen und Bahnen, Kiezlotsen oder Stadtteilmüttern als mögliche Einsatzfelder der bis zu 4000 Arbeitslosen, die sich Müller in seinem Konzept vorstellen kann. Dieser Umfang ist möglich, wenn der Bund eine Öffnungsklausel in seinem eigenen gerade diskutierten Programm für Langzeitarbeitslose zulässt und Berlins Ideen mitfinanziert.

Reserviert stehen die Wirtschaftsvertreter dem Konzept gegenüber. Sie fürchten, dass ihnen in Zeiten eines knappen Arbeitsmarktangebotes mögliche Fachkräfte durch die geförderten Jobs abgezogen werden könnten. Bernd Becking, Chef der Arbeitsagentur in Berlin und Brandenburg, teilt die Bedenken. Er verwies darauf, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Berlin seit 2013 von 70.000 auf unter 50.000 gesunken sei. Zwei Drittel aller Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt fielen in das zweite Jahr nach dem Jobverlust, also genau in jene Phase, in der Müller die Arbeitslosen in seine Grundeinkommensjobs lotsen möchte. Christian Hoßbach, der Landeschef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sagte, die Gewerkschafter hätten „mit der Stirn gerunzelt“, als sie die Überlegungen zum Thema Pflege hörten. In Arbeitsgruppen sollen die Details jetzt bis Ende des Jahres geklärt werden.

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