Wohnungsbau

Berliner Bäume dürfen bald vor Baugenehmigung gefällt werden

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Isabell Jürgens
Künftig soll schneller gebaut werden können: Stehen Bäume im Weg, dürfen sie frühzeitig abgeräumt werden

Künftig soll schneller gebaut werden können: Stehen Bäume im Weg, dürfen sie frühzeitig abgeräumt werden

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Der Senat schafft neue Regeln, wie in Berlin mehr Wohnungen entstehen sollen. Straßenbäume können Neubauvorhaben einfacher weichen.

Berlin. Wohnungsbau hat künftig in vielen Bereichen Vorrang vor dem Schutz von Grün. Das geht aus der Senatsvorlage hervor, die die Senatorinnen für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher (Linke), und Regine Günther (parteilos, für Grüne), zuständig für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, am Dienstag nach der Senatssitzung gemeinsam vorgestellt haben. Wie hart auf der Sitzung bis zuletzt um das bereits für vergangene Woche angekündigte „Handlungsprogramm für den beschleunigten Wohnungsbau“ gerungen wurde, lässt sich schon daran ablesen, dass bis kurz vor Ende der Sitzung gar nicht klar war, ob ein abgestimmtes Papier überhaupt zustande kommt.

Für Verärgerung insbesondere bei den Grünen, die das Ressort Umwelt verantworten, hatten die von der linken Stadtentwicklungssenatorin erarbeiteten Maßnahmen beim Umgang mit Straßenbäumen, Brachflächen und Wäldern gesorgt – die Berliner Morgenpost berichtete. Bei der gemeinsamen Präsentation der Eckpunkte des nun beschlossenen Handlungsprogrammes betonte sowohl Lompscher als auch Günther, es sei nun ein „guter Kompromiss“ gefunden. Doch bei Analyse der einzelnen Punkte zeigt sich: Lompscher, und damit der Wohnungsbau, hat sich zumeist durchgesetzt. Hier die wesentlichen Punkte.

Straßenbäume

Ein Bauherr soll künftig eine Fällgenehmigung bereits bekommen, noch bevor er eine gültige Baugenehmigung hat, wenn dadurch vermieden wird, dass unter Beachtung der Vegetationsperiode von März bis November dem Bauvorhaben eine monatelange Verzögerung droht. Ausreichend ist ab sofort in der Regel ein gestellter Bauantrag oder auch ein anderer Nachweis, der einen Projektstart erkennen lässt.

Straßenbäume genießen künftig auch weniger Schutz, wenn sie einem Dachgeschossausbau im Wege stehen. Dazu wird das „Rundschreiben zum 2. Rettungsweg“, das die Verwaltung der Bausenatorin erst vor einem Jahr verfasst hatte, wieder einkassiert.

In diesem Schreiben wurde verboten, Straßenbäume zu fällen, um beim Bau zusätzlicher Stockwerke einen zweiten Rettungsweg über die Feuerwehr-Drehleiter zu ermöglichen. „Das heißt aber nicht, dass das nun automatisch zu Baumfällungen führt, Entscheiden werden die zuständigen Ämter der Bezirke“, sagte Lompscher. Denkbar sei schließlich auch der Einbau eines zweiten Rettungsweges.

Waldbewertung

Auch die Kriterien, ab wann eine Brachfläche zum schützenswerten Wald wird, sollen gelockert werden. „Zur Waldbewertung erarbeiten wir gerade einen Leitfaden“, sagte Günther. Bislang sei ein Gehölz, das sich drei Jahre lang ungestört „etablieren“ konnte, bereits als Wald deklariert worden. Künftig werde es da mehr Ermessensspielraum geben, sagte Günther. Dies sei aber keineswegs als „Freibrief zur Abholzung zu verstehen“, sagte die Umweltsenatorin. Vielmehr diene das dem Schutz des Grüns. „Dann muss der Eigentümer seine Fläche nicht regelmäßig abmähen, nur damit er nicht Gefahr läuft, dass auf seinem Bauland ein Wald entsteht.“

Waldausgleich

Ebenfalls als Entgegenkommen der Umweltverwaltung kann gewertet werden, dass der Waldausgleich, zumindest in begründeten Fällen, „auch außerhalb Berlins, in Brandenburg, bevorzugt auf den Berliner Stadtgütern“ stattfinden kann. Im Klartext: Wenn in Berlin künftig Grünflächen bebaut werden, kann die grüne Ersatzfläche auch im Berliner Umland entstehen. „Priorität hat aber der Flächenausgleich in Berlin“, betonte Günther.

Kleingärten

Auf ganzer Linie durchgesetzt hat sich Umweltsenatorin Günther dagegen bei der Heranziehung von Kleingärten als Kompensation für verloren gegangenes Stadtgrün. Ihre Kollegin Lompscher hatte vorgeschlagen, dass neu geschaffene Kleingärten auch als Ersatz für Waldfläche dienen können. Dieser Passus wurde nun gestrichen: „Kleingärten entstehen ja meist auf unberührter Naturfläche, da ist es nicht zielführend, diese als Ersatz zu bezeichnen“, sagte Günther.

Keinen Dissens gab es ferner bei der Absicht, einen Genossenschaftsbeauftragten zu berufen und ein Paket von 20 Grundstücken für Genossenschaften zum günstigen Festpreis an diese zu vergeben. Auch weitere Maßnahmen wie die Aufstockung von Plattenbauten, die Nutzung von Vorkaufsrechten und die Kooperation mit Brandenburger Kommunen bei neuen Bauvorhaben im Speckgürtel waren unstrittig.

Besonders die Grünen bemühten sich nach der Senatssitzung, den erzielten Kompromiss als Erfolg auch für die eigene Seite zu interpretieren. „Es ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, dass es dem Senat gelungen ist, die Konflikte zwischen Wohnungsbau und Stadtgrün aufzulösen“, kommentierte Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Ein Erfolg sei etwa die künftige Vergabe von Grundstücken an Genossenschaften und mehr Personal und Geld für die Planungen in den Bezirken.

Auch Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin bewertet das Papier als Fortschritt, um den Wohnungsbau zu beschleunigen. Allerdings bemängelt er, dass „die angekündigten Maßnahmen sich aber nach wie vor hauptsächlich einseitig auf den öffentlichen Wohnungsneubau beziehen“. Verbesserte Rahmenbedingungen für den privaten Wohnungsbau – der rund 80 Prozent des Neubaus in der Stadt verantwortet – würden weiterhin politisch vernachlässigt.

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