Berlin. Im April stellte Innensenator Andreas Geisel (SPD) Barbara Slowik als neue Polizeipräsidentin von Berlin vor. In der Geschichte der Behörde ist sie die erste Frau, die an der Spitze der hiesigen Polizei steht. In ihrem ersten Zeitungsinterview seit der Ernennung erklärt die 52-Jährige, wie sie mehr Personal anwerben will – und warum sie kein Erfordernis sieht, den Behördennamen „Der Polizeipräsident in Berlin“ zu ändern.
Frau Slowik, seit 132 Tagen sind Sie Berlins erste Polizeipräsidentin. Wie waren die ersten Wochen für Sie?
Barbara Slowik: Sehr interessant. Vieles war neu für mich. Ich habe mich intensiv in die großen Themen eingearbeitet. Jeden Tag lerne ich meine Behörde und die Kolleginnen und Kollegen in den Abschnitten, Hundertschaften, in den Kommissariaten und anderen Dienststellen, ihre Aufgaben, aber auch Probleme besser kennen. Ich bin bereits jetzt viel herumgekommen, fahre jeden Donnerstagvormittag raus in eine andere Dienststelle und spreche mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Dann hatten wir natürlich gleich mehrere größere Einsatzlagen, den 1. Mai und den Karneval der Kulturen. Da habe ich vieles erlebt und vieles mitgenommen – vor allem: die hohe Professionalität der Polizei Berlin. Da macht uns so leicht keiner was vor.
Und was hat der neue Job mit Ihnen persönlich gemacht?
Die Verantwortung ist eine ganz andere, das spüre ich. Ich nehme sie aber auch gern wahr. Was sich im Alltag verändert hat, ist, dass mich viele erkennen. Das sind nicht unbedingt Bürger, oft aber Polizistinnen und Polizisten. Wenn ich auf der Brunnenstraße im schnellen Schritt irgendwo hineile, kommt mir zum Beispiel ein Mann entgegen, der sagt: „Hallo Frau Slowik, ich bin bei LKA so und so.“ Das ist überraschend, aber freut mich auch sehr. Ich lerne auch aus solchen Gesprächen.
Was sind Ihre drei großen Ziele für das nächste halbe Jahr?
Das Wichtigste ist mehr Personal. Die Stadt wächst, wir müssen mitwachsen. Wir haben 800 Stellen dazubekommen, aber es müssen noch mehr werden.
Von welcher Größenordnung sprechen wir da?
Wir haben die Ausbildungszahlen verdoppelt, auf gut 1300. Dadurch werden wir fortlaufend eine Erhöhung haben, obwohl wir in den nächsten zehn Jahren rund 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren: Bereits jetzt zum September gewinnen wir 200 mehr, 2019 340 mehr und ab 2020 werden wir jährlich 440 Beamte dazugewinnen. Das führt uns in den nächsten zehn Jahren auf die Zahl von knapp 19.000 Vollzugsbeamtinnen und -beamten statt wie derzeit rund 17.000. Die brauchen wir mindestens. Für alles Weitere müssten wir die Ausbildung noch weiter ausbauen, eine Frage der Politik.
Brandenburg zahlt seinen Beamten mehr. Wie wollen Sie die Berliner Polizei für künftige Anwärter attraktiver machen?
Bei der Bezahlung will der Berliner Senat ins Mittelfeld der Bundesländer. Die Erhöhungen 2017/2018 waren schon überdurchschnittlich, sodass wir die rote Laterne auch schon abgegeben haben. Als Nächstes wollen wir die Zulagen erhöhen, sodass wir auch dort im Durchschnitt der anderen Länder liegen. Gleichzeitig verbessern wir die Ausrüstung, haben zuletzt in die Alexwache und in mobile Wachen investiert, die neuen Waffen kommen, die ballistischen Helme ebenfalls sowie der Survivor, ein Spezialfahrzeug. Auch auf diesem Feld werden wir also für junge Leute attraktiver.
Was wollen Sie sonst noch tun, um junge Leute zu locken?
Sicherlich müssen wir eine neue Diskussionskultur innerhalb der Polizei schaffen. Ich möchte, dass nicht nur in großen, geschlossenen Chatrooms bei Facebook diskutiert wird, sondern dass wir insgesamt offen und konstruktiv ins Gespräch kommen über alles, zum Beispiel auch über die Maßnahmen zur Personalgewinnung, aber auch über alles, was vielleicht noch nicht so gut läuft, und vor allem darüber, wie es verbessert werden kann. Das versuche ich zu verbessern, das ist auch ein Signal nach außen. Und es geht um ganz einfache Dinge, wie etwa die Möglichkeit, günstiges Wohnen für Polizeischülerinnen und -schüler anzubieten. Erstaunlich viele würden gern auf dem Campus in Ruhleben gemeinsam wohnen, das finden die ganz großartig. Eine Kostenübernahme für den Führerschein gab es früher schon einmal, Wohnungsfürsorge insgesamt auch. Zudem gefällt mir die Idee eines Oberstufenzentrums Öffentliche Sicherheit, an dem Schülerinnen und Schüler nach der zehnten Klasse gezielt auf eine Laufbahn bei der Polizei Berlin vorbereitet werden können, zum Beispiel durch Schwerpunkte wie Deutsch und politische Bildung. Wenn es so etwas fürs Bankenwesen gibt – warum sollten wir das nicht auch für die Polizei anbieten? Bislang sind das zwar alles nur Ideen, aber wir werden diese Ideen nun bewerten und mit der Politik besprechen, um dafür auch Haushaltsmittel einzuwerben.
Gutes Stichwort! Welche Wünsche haben Sie konkret an das Parlament – Geld oder mehr rechtliche Befugnisse?
Erstens, wir brauchen mehr Stellen, das ist klar. Zweitens benötigt die Polizei mehr Geld, um Dienststellen zu sanieren, aber auch insgesamt Investitionsstaus wie im Fuhrpark aufzulösen. Unsere Boote der Wasserschutzpolizei haben in Teilen mein Baujahr, bei den Fahrzeugen ist es besser, aber auch da gibt es noch zu tun. Bei den Liegenschaften habe ich Verständnis dafür, dass zunächst die Schulen Priorität haben, danach aber müssen wir zumindest auch noch etwas mehr bekommen. Was die Frage der Befugnisse angeht, bin ich skeptisch. Ich glaube, wir müssen erst einmal die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, die wir haben. Damit kommen wir bislang gut zurecht.
Das heißt also, Sie sind gegen mehr Videoüberwachung in der Stadt?
Jein. Sie kann repressiv hilfreich sein, allerdings müssen wir uns überlegen, wo sie etwas bringt. Der Einsatz von Videotechnik sorgt auch immer für Verdrängung, das sehen wir bereits am Alexanderplatz. Die Kriminalitätsbrennpunkte verschieben sich dadurch. Verkürzt gesagt: Wenn wir an mehr Orten für viel Geld Überwachungskameras verbauen, gibt es für die Kameras womöglich nicht mehr viel zu überwachen. Wir müssen sie dosiert einsetzen.
Also zum Beispiel an kriminalitätsbelasteten Orten?
Ja, zum Beispiel. Oder auch an touristischen Orten, wie dem Pariser Platz.
Zurück zum Personal. Zuletzt sorgten Sie für Irritationen mit dem Vorschlag, Kräfte im Ausland anzuwerben.
Für mich gibt es im Zusammenhang mit dem Thema Personal drei Kernelemente: Das eine ist Personal gewinnen, das andere ist Stärken der polizeilichen Kernaufgaben, und das dritte ist, Expertise der Älteren nutzen. Bei der Personalgewinnung ist das gezielte Ansprechen von kompetenten jungen Leuten im EU-Ausland mit hoher Jugendarbeitslosigkeit eine Maßnahme, aber nicht die einzige. Was ich in der Debatte aber gemerkt habe, ist, dass viele der Meinung sind, ich solle mich erst einmal auf die Rahmenbedingungen wie das Gehalt konzentrieren. Das ist für mich aber schon auf dem Weg. Ich muss jetzt darüber hinausdenken, sonst verlieren wir den Anschluss.
In Neukölln gibt es schon jetzt die Überlegung, das Ordnungsamt nach 20 Uhr arbeiten zu lassen. Gute Idee?
Ja, in jedem Fall. Das meine ich mit meinem zweiten Punkt: Die Polizei übernimmt, insbesondere in den Abend- und Nachtstunden, viele Tätigkeiten vom Ordnungsamt. Dennoch wäre es wunderbar, wenn die Bezirke die Polizei Berlin dort entlasten, sodass wir uns auf unsere Kernaufgaben konzentrieren können und nicht wegen jeder Ruhestörung und jedem herrenlosen Hund gerufen werden.
Und wie genau wollen Sie die Älteren weiter einbinden?
Zum einen wollen wir ermöglichen, dass die Kolleginnen und Kollegen länger im Dienst bleiben können, sodass sie erst später in den Ruhestand versetzt werden – wenn sie das möchten und wir auf ihre Fachkenntnisse nicht verzichten können. Zum anderen möchte ich bereits pensionierten Kolleginnen und Kollegen ermöglichen, sich auch wieder einzubringen, zum Beispiel als Kontaktbereichsbeamtinnen und -beamte in den Kiezen. Grundlage dafür könnten etwa Werkverträge sein. Das alles muss aber erst näher betrachtet werden, ebenso wie die Auswirkungen der Hinzuverdienstgrenze, die es für Pensionäre gibt.
Eine weitere Großbaustelle ist die Beschleunigung der Digitalisierung bei der Polizei. Wie wollen Sie die angehen?
Wir haben jetzt die ersten 800 Tablet-Computer erhalten, die wir auf die Funkwagen verteilen werden. Das ist eine große Erleichterung zum Beispiel bei der Verkehrsunfallaufnahme, einmal gleich vor Ort eingegeben, kann im Abschnitt im System damit weitergearbeitet werden. Damit sind wir Spitzenreiter in den Ländern. Dann müssen wir natürlich die Auswertung und den Umgang immer größerer Datenmengen von Videos oder Smartphone-Fotos professionalisieren. Das gilt insbesondere für das Landeskriminalamt: Die Kolleginnen und Kollegen brauchen ein einheitliches System, in dem sie Daten sichten und zuordnen können, da ist noch einiges zu tun.
Braucht es dafür auch eine neue Software, die vielleicht auch in anderen Bundesländern oder Staaten schon Anwendung findet?
Ja. Da gibt es spezielle Systeme, die schauen wir uns gerade an. Im Bund-Länder-Kreis tauschen wir uns darüber regelmäßig aus. In anderen Ländern wie den USA gibt es natürlich noch ganz andere Möglichkeiten. Allerdings sind die mit unseren Gesetzen und Datenschutzverordnungen meist nicht kompatibel, fallen also in der Regel raus.
Wir sprachen bereits von kriminalitätsbelasteten Orten. Für manche Berliner ist etwa der Alexanderplatz nachts ein Angstraum. Wie wollen Sie das Problem lösen?
Das ist eine zweischneidige Diskussion. In Berlin war die Chance, Opfer einer Straftat zu werden, in den letzten 20 Jahren nie so gering wie heute. Das belegen unsere Statistiken. Die Taschendiebstähle gingen in diesem Jahr um 40 Prozent zurück, die Wohnungseinbrüche um 25 Prozent, seit zehn Jahren gibt es nicht mehr so wenige Raubüberfälle wie jetzt. Gleichzeitig heißt es immer wieder, dass die Menschen Angst haben. Das muss man mal näher betrachten. Für mich ist ein Grund dafür auch die bisweilen sehr drastische Medienberichterstattung, die durch das Internet noch stärker verbreitet und befeuert wird. Ich selbst würde selbstverständlich nachts über den Alexanderplatz gehen.
Es geht um tatsächliche und gefühlte Sicherheit. Ist die Polizei nur für die tatsächliche Sicherheit da?
Nein. Ich fühle mich auch für die subjektive, also die gefühlte Sicherheit zuständig. Die Menschen sollen sich in dieser Stadt sicher fühlen. Schauen Sie sich den Hardenbergplatz an: Die Zahlen deuten überhaupt nicht an, dass es sich dort um einen kriminalitätsbelasteten Ort handelt. Es gibt dort allerdings soziale Randgruppen mit entsprechenden Konflikten, und die Menschen fühlen sich dort nicht sicher. Deshalb habe ich darum gebeten, dass wir dort als Polizei deutlich stärker präsent sind in der nächsten Zeit. Außerdem könnten wir unsere Präsenz in den Kiezen auch durch eine Begleitung in den sozialen Medien ausbauen, damit die Bürgerinnen und Bürger auch dort das Gefühl bekommen, dass wir für sie da und gleich auf mehreren Wegen ansprechbar sind. Für Jüngere ist nicht mehr so sehr die physische Anwesenheit entscheidend, vielmehr der enge und jederzeitige Kontakt.
Wer wird Ihr neuer Vizepräsident?
Abschließend kann ich das natürlich noch nicht sagen. Wir müssen die Entscheidung der Personalkommission abwarten und den Senatsbeschluss. Fakt ist, der Vorschlag, der im Raum steht, Marco Langner, stimmt.
Letzte Frage: Fänden Sie es schön, wenn Ihre Behörde künftig nicht mehr „Der Polizeipräsident in Berlin“ heißt, sondern etwa „Das Polizeipräsidium“? Schließlich sind Sie ja kein Präsident, sondern eine Präsidentin ...
Das ist eine Frage, die sich die Politik stellen muss. Mich persönlich stört die aktuelle Bezeichnung nicht. Das ist ein historischer Name, den ich ganz beeindruckend finde. Ich habe noch keine Idee, wie es anders heißen könnte. Bei „Präsidium“ fehlen mir komplett meine anderen Dienststellen, die Abschnitte, Direktionen usw. Das ist für mein Verständnis unglücklich, da fehlt die Basis. Auch „Die Polizei Berlin“ ist für mich kein Behördenname, sondern eher eine Organisationsbezeichnung. Sollte mich der Senator fragen, ich hätte keinen Vorschlag für ihn. Eine rein weibliche Form zu wählen, halte ich allerdings für absurd, weil wir diese dann später eventuell irgendwann erneut ändern müssten – für sehr viel Geld.
Rückkehr in die Geburtstadt:
Berlinerin: Barbara Slowik, geboren am 14. März 1966 in Berlin-Zehlendorf, ist seit dem 10. April Berlins neue Polizeipräsidentin.
Stationen: Sie ist keine ausgebildete Polizistin, sondern hat eine Karriere in der Verwaltung hinter sich: Zunächst arbeitete sie von 1994 bis 2002 in der Senatsinnenverwaltung, wechselte dann ins Bundesinnenministerium (BMI), wo sie Leiterin des Grundsatzreferates der Terrorismusabwehr wurde. Zuletzt führte sie das Referat für IT-Steuerung der Behörden des BMI. Slowik lebt in Lichterfelde.
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