Berlin. Es war für viele ein Schock: Mitten am Tag und offenbar ohne Vorwarnung bricht in Genua eine viel befahrene Brücke in sich zusammen. Autos und ihre Fahrer stürzen 40 Meter in die Tiefe. Kann ein solches Unglück auch bei uns passieren, fragten sich seither viele Berliner besorgt. Der Senat versucht zu beruhigen. Nach Einschätzung der zuständigen Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz sind die insgesamt 1085 Brücken für den Straßen-, Fuß- oder Radverkehr in der Stadt „sehr sichere Bauwerke“.
Laut der Behördensprecherin Dorothee Winden gibt es entsprechend den geltenden Vorschriften regelmäßige Kontrollen, die dafür sorgen würden, dass mögliche Mängel rechtzeitig erkannt werden könnten. Hinzu komme, dass Brücken ein sogenanntes Ankündigungsverhalten hätten. Das bedeutet, dass sich Risse oder Verformungen zeigen, bevor es zu einem Versagen kommt. „Dies ermöglicht uns ein rechtzeitiges Eingreifen“, so Winden. Als Beispiel für eine solche Reaktion nannte sie den westlichen Überbau der Salvador-Allende-Brücke in Köpenick. Als die Risse zu groß wurden, ordnete die Senatsverwaltung eine Vollsperrung des Brückenteils für Lkw und Pkw an.
Viele Berliner werden sich auch an die inzwischen durch einen Neubau ersetzte Freybrücke in Spandau erinnern, die Anfang 2014 fast über Nacht für schwere Lkw gesperrt wurde. „Durch solche Maßnahmen reduzieren wir die Gefahr eines unvorhersehbaren Versagens einer Brücke auf ein absolutes Minimum“, sagte Dorothee Winden der Berliner Morgenpost.
Verkehrseinschränkungen auf bedenklichen Brücken
Bekannt ist aber auch: Nach den Sparrunden in den vergangenen Jahrzehnten gibt es nicht nur bei Schulen, Kitas und Rathäusern, sondern auch bei Straßen und Brücken einen enormen Sanierungsstau. Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) bezifferte diesen bei Brücken auf rund 1,3 Milliarden Euro. Nach Angaben der Senatsverkehrsverwaltung von 2017 befinden sich nur 230 oder gut ein Viertel der rund 830 Brücken, die vom Land unterhalten wurden, in einem sehr guten oder guten Zustand. Von 553 Brücken wird der Zustand als befriedigend oder ausreichend eingestuft. 42 Brücken sind demnach in einem nicht ausreichenden oder einem ungenügenden Zustand.
Ähnlich sieht es bei den 252 Überführungen in Berlin aus, die sich im Bundeseigentum befinden. Das sind in der Regel Autobahnbrücken. Nur jede fünfte bekam demnach die Zustandsnote gut oder sehr gut, drei Viertel befinden sich ein einem befriedigenden oder nur ausreichenden Zustand.
Der schlechte Zustand hat Folgen: Damit die Brücken überhaupt noch genutzt werden können, reagiert die Senatsverkehrsverwaltung mit Verkehrseinschränkungen. So waren, wie berichtet, 2017 bei Sanierungsarbeiten am Autobahndreieck Funkturm an der Brücke über der Halenseestraße (westliche Abfahrt von der A 100 auf die A 115) so schwere Schäden festgestellt worden, dass sie umgehend für Lkw gesperrt wurde.
Seither darf die Brücke nur noch einspurig von Pkw (Gesamtgewicht kleiner als 2,8 Tonnen) befahren werden. Verkehrseinschränkungen bestehen darüber hinaus auf der Ringbahnbrücke (A 100, Fahrtrichtung Nord). Hier wurde ein Überholverbot für Lkw verhängt, zudem ist die Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h begrenzt. Laut Senatsverkehrsverwaltung gelten derzeit auf rund 50 der insgesamt 1085 Berliner Brücken in Berlin Verkehrseinschränkungen.
Senat: "Berlin investiert erheblich in die Sanierung und den Neubau von Brücken"
Der verkehrspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Frank Scholtysek, bezweifelt die pauschale Erklärung, Berlins Brücken seien sicher. Er verweist auf die fünf Prozent der Autobahnbrücken, deren Zustand von Prüfern mit 3,0 oder schlechter bewertet wurden. „Das bedeutet, die Konstruktionen haben einen nicht ausreichenden Bauwerkszustand.“
Scholtysek verweist auf die Westendbrücke, die zu den vielen Brücken gehört, die Anfang und Mitte der 60er-Jahre beim Bau der Stadtautobahn (A 100) im Westteil Berlins in Spannbetonweise erreichtet wurden. Erst im Herbst letzten Jahres sei die Brücke „in ein Korsett aus Stahlträgern eingebunden worden, da laut Auskunft des ausführenden Unternehmens Deges vor der Berliner Baukammer akute Einsturzgefahr bestand“, so Scholtysek.
„Berlin investiert nach Jahren des Sparens in erheblichem Umfang in die Sanierung und in den Neubau von Brücken“, betont Dorothee Winden von der Senatsverkehrsverwaltung. Im laufenden Jahr stünden für die Straßenbrücken im Landeseigentum 41,5 Millionen Euro sowie weitere 13,7 Millionen Euro für Bundesbrücken bereit. An mehr als 20 Brücken würden derzeit längerfristig geplante Instandsetzungen oder Ersatzneubauten erfolgen. Hinzu kämen kurzfristige Reparaturen an rund 100 Brücken jährlich. „Die Sanierung von Brücken wird auch in den nächsten Jahren eine hohe Priorität haben“, unterstrich die Sprecherin.
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