Spaziergang

Karin Klingen ist aus tiefstem Herzen Beamtin

| Lesedauer: 15 Minuten
Andreas Abel
Spaziergang Rechnungshofpräsidentin Karin Klingen am 03.08.2018 in Berlin.

Spaziergang Rechnungshofpräsidentin Karin Klingen am 03.08.2018 in Berlin.

Foto: Maurizio Gambarini

In der Sonntagsserie steht diesmal ein Spaziergang mit Karin Klingen an, Präsidentin des Landesrechnungshofes.

Berlin. Karin Klingen macht das einzig Vernünftige an diesem heißen Vormittag, sie sucht sich den schattigsten Platz, den sie an der Ecke Schiffbauerdamm und Albrechtstraße finden kann, und wartet dort auf den Reporter. Sie ist vor ihm da, natürlich, möchte man sagen, denn Karin Klingen, die neue Präsidentin des Landesrechnungshofes, ist Beamtin – nicht nur von Berufs wegen, sondern aus tiefster Überzeugung. Dazu später mehr.

Zur Begrüßung verlässt die 52-Jährige ihre Ecke unter dem großen Sonnenschirm und kommt uns entgegen – blaue Hose, blaues Top, beigefarbene Jacke. Sommerlich leicht, aber korrekt. Sie strahlt Entschlossenheit aus. Und Freundlichkeit, dabei sind die Journalisten in den vergangenen Monaten sehr kritisch mit ihr umgegangen.

Ihre Wahl zur Chefin der wichtigsten Berliner Aufsichtsbehörde Ende Juni war umstritten, denn Klingen war zuvor Abteilungsleiterin in der Senatskanzlei, also sehr nah an der Landesregierung, deren Wirken sie nun prüfen soll. Obendrein ist sie Mitglied der SPD, was auch in ihrer Partei den Verdacht auf „roten Filz“ auslöste. Ihre fachliche Eignung stand dabei nie infrage, doch wer Karin Klingen ist, geriet dabei aus dem Blick.

Wir einigen uns schnell darauf, den Spaziergang sehr kurz zu gestalten und zunächst unter dem großen Sonnenschirm miteinander zu sprechen – es ist einfach zu heiß. Außerdem hat Karin Klingen Multi­ple Sklerose, die sie ansonsten in ihren Aktivitäten nicht einschränkt. Unseren Treffpunkt, die „StäV“, diese legendäre Bonner Kneipen-Exklave, hat sie ausgesucht. Der Grund liegt auf der Hand. Karin Klingen ist in Bonn geboren und aufgewachsen – der Stadt, über die Bestsellerautor John le Carré sagte: „Bonn ist zwar nur halb so groß wie der Zentralfriedhof von Chicago, aber doppelt so tot.“ Die Rechnungshofpräsidentin zitiert ihn selbst. „Ich kann es aber nicht bestätigen“, fügt sie sofort hinzu, sie habe sehr gern in Bonn gelebt.

Seit 20 Jahren abwechselnd einen Job in Berlin

Sie fährt auch heute öfter nach Bonn. Zum einen, weil ihre Mutter dort wohnt, zum anderen, weil ihr Mann seit zwei Jahren im Bundesverteidigungsministerium in der Nähe von Bonn arbeitet. „Ich bin mit meinem Mann seit 28 Jahren zusammen, seit dem gemeinsamen Jurastudium. Wir leben seit 20 Jahren in Berlin, aber in der meisten Zeit hatte immer nur einer von uns hier seinen Job“, erzählt sie.

Doch sie betrachtet es positiv. „Das ist alles machbar. Wir sind schon seit dem Studium zusammen und wohnen beide sehr gerne in Berlin. Und wir haben es immer geschafft, dass wenigstens einer hier ist.“ Lange Zeit war sie in Sachsen-Anhalt und er in Berlin.

Seit zehn Jahren wohnen die beiden in der Nähe des Rathenauplatzes, dort, wo der Kudamm endet und Grunewald beginnt. „Ich mag an der Gegend, dass sie grün und erholsam ist – nicht mehr ganz Stadt, aber sehr nah an der Stadt. Außerdem bin ich ein Wasserfan. Ich fahre mit dem Fahrrad zum Teufelssee im Grunewald oder schwimme im Halensee“, verrät sie. Wenn es die Zeit erlaubt, geht sie auch segeln. Und sie liebt den Kudamm vor der Haustür. Die Wohnlage beschert ihr obendrein den Schatten einer 100-jährigen, denkmalgeschützten Eiche. Nicht schlecht im Sommer des Jahres 2018.

Sie mag aber auch den Kiez sehr, in dem sie jetzt arbeitet, zwischen S-Bahnhof Bellevue und Alt-Moabit. Dorthin sind wir inzwischen mit der S-Bahn gefahren. Den Kiez hat sie bereits intensiv erkundet, zu Fuß auf dem Weg vom S-Bahnhof oder per Fahrrad, mit dem sie oft zur Arbeit fährt. Sie hat einen lauschigen Biergarten an der Flensburger Straße entdeckt und die altehrwürdige Baumkuchenkonditorei „Buchwald“ an der Bartningallee.

Blick über die Spree und die Uferpromenade

Aber vor allem schätzt sie den Blick über die Spree und die Uferpromenade. Ein idyllischer Ort sei das. „Es ist fast ein bisschen wie Urlaub, wenn man mittags hier rausgeht“, sagt sie. Das fällt auf, wenn Karin Klingen über Berlin spricht: Sie nimmt die Stadt sehr aufmerksam wahr und erfreut sich an vielem. Sie kann genießen, vielleicht ist das die Rheinländerin in ihr.

Als Kind wollte sie Detektivin werden, erzählt sie, am Beginn ihres Studiums Journalistin. Sie wurde schließlich Juristin und Finanzexpertin. Ist da etwas schiefgelaufen? Karin Klingen schüttelt fröhlich den Kopf, sie sieht eine direkte Linie zwischen diesen Berufen. „Ich bin eben ein neugieriger Mensch und wollte mich immer mit ganz vielen Themen beschäftigen.“ So sieht sie auch die Finanzen. „Das Thema ist inhaltlich anspruchsvoll und es betrifft jeden. Sie stehen da immer mitten im Leben, und das interessiert mich. Es ist einfach einer der wichtigsten Bereiche.“

Sie habe „unheimlich gerne“ Jura studiert, sagt sie. Ein Freund habe sie dann für Steuerrecht interessiert. Sie begann als Berufsanfängerin in der Finanzverwaltung. „Die haben sehr gut in ihre Führungskräfte investiert und sie aufgebaut. Das hat meine Begeisterung geweckt.“ So einfach kann es gehen. Ihre Begeisterung für die Verwaltung brach sich schon während des Studiums Bahn. In beiden Staatsexamen hatte sie als Wahlfach öffentliche Verwaltung. „Als Anwältin hätte ich die Interessen Einzelner vertreten, in der Verwaltung vertritt man die Interessen des Staates. Und ich wollte schon immer für den Staat arbeiten“, bekennt Karin Klingen.

Im Finanzwesen drang sie als Frau in eine Männerdomäne ein. Als sie 2011 kommissarisch die Leitung der Steuerabteilung des Finanzministeriums Sachsen-Anhalt übernahm, war sie dort die einzige Frau im höheren Dienst. Und dann gleich die Chefin. War sie stolz, diese Strukturen aufzubrechen? „Ich habe es nicht absichtlich gemacht und nicht geplant. Und es wurde mir auch erst spät bewusst“, sagt sie. Es sei eher Motivation als Stolz, das zu ändern.

Die Steuerabteilung betrachtete sie als ihre Perspektive. Immerhin war es die höchste Position, die ein Steuerbeamter des Landes erreichen konnte Doch nach zwei Jahren wurde die Abteilung mit der Oberfinanzdirektion zusammengelegt, sie durfte sie selbst abwickeln. So bewarb sich Karin Klingen nach Berlin für die Abteilungsleiterstelle in der Senatskanzlei.

Eine Freundin habe sie auf die Ausschreibung aufmerksam gemacht, erzählt sie. „Ich selbst hätte die Stelle wahrscheinlich nicht entdeckt.“ Ein Jahr habe das Auswahlverfahren gedauert, in dem sie sich schließlich gegen rund 50 Mitbewerber durchgesetzt hat. Sie verfolgte damals mehrere Bewerbungen. „Als der Anruf kam, wusste ich zuerst gar nicht, um welche Stelle es geht.“ Das sieht sie als Quintessenz ihrer Karriere: „Man kann es schlecht planen.“ Sie sei immer offen geblieben und sie sei bereit gewesen, an verschiedene Orte zu gehen. Dabei habe sie viel gelernt.

Die Senatskanzlei hat sie als Prüfgebiet abgegeben

In der Senatskanzlei leitete sie dann die Zentralabteilung mit 70 Mitarbeitern und mit den klassischen Feldern Personal, Haushalt, Organisation des inneren Dienstes und Informationstechnik. Dabei ging es also im Wesentlichen um das „innere Geschäft“ der Senatskanzlei. Ihre Arbeit habe nicht in andere Senatsverwaltungen hineingereicht, sagt sie. Sie möchte den Verdacht entkräften, sie müsse sich im Rechnungshof bei Prüffragen andauernd für befangen erklären. Eigentlich hätte die Senatskanzlei dort zu ihrem Prüfgebiet gehört. Sie hat sie komplett an ein anderes Mitglied des Kollegiums abgeben.

Sie hätte das nicht tun müssen, betont sie, aber es sei ihr wichtig gewesen, eine klare Linie zu ziehen. Ihr Prüfgebiet ist der Haushalt des Abgeordnetenhauses und insbesondere die „allgemeine Finanzlage“. Dazu gehören etwa die Bund-Länder-Finanzen und die Schuldengrenze.

Und noch etwas möchte sie klarstellen. Sie sei zwar seit 2007 Mitglied der SPD, aber sie habe nie für den Landtag Sachsen-Anhalt oder den Bundestag kandidiert. „Ich bin 2015 gefragt worden, ob ich nicht für den Landtag kandidieren möchte. Und ein Ortsverein hat mich nominiert. Aber noch bevor ich als Kandidatin zugelassen wurde, habe ich selbst entschieden, dass das nicht mein Weg ist. Ich bin eben Beamtin und wollte es bleiben. Ich habe dann meine Kandidatur zurückgezogen“, sagt sie.

Als es darum ging, die Chefposition im Rechnungshof neu zu besetzen, weil Marion Claßen-Beblo am 30. April in den Ruhestand ging, habe sie zunächst gar nicht vorgehabt, sich zu bewerben. Und wieder gab jemand den Anstoß, diesmal ein Kollege. „Er sagte, dass ich dort doch sehr gut hinpassen würde. Dann habe ich nachgedacht und mich intensiv auf die Vorstellungsgespräche vorbereitet.“

Sie findet es „in Ordnung“, dass das Bewerbungsverfahren so schwierig war. „Das gehört bei dieser Position dazu. Es ist schließlich eine Position mit hoher Verantwortung“, sagt sie. Sieben Vorstellungs­gespräche musste sie vor der Wahl absolvieren, unter anderem jeder Abgeordnetenhausfraktion Rede und Antwort stehen. Die Opposition hatte schon vorher angekündigt, sie nicht zu wählen. Die Gespräche seien sachlich verlaufen, betont sie. „Jeder Abgeordnete hat gefragt, was ihm wichtig war.“ Sie sei aus jedem Gespräch mit einem guten Gefühl herausgegangen.

Mitarbeiter ermöglichten ihr ein normales Tagesgeschäft

In dieser Zeit sei sie nicht nur mit Bedenken und Kritik konfrontiert worden, sondern habe auch Zuspruch erhalten. Sie selbst habe sich zurückgehalten. „Meine Abteilung in der Senatskanzlei hat mir sehr geholfen. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wunderbar reagiert. Sie haben einfach normal weitergearbeitet und mich nicht andauernd gefragt. So haben sie mir ein normales Tagesgeschäft ermöglicht.“ Sie sagt auch: „Ich wollte keine politische Krise verursachen.“

Die Wahl am 28. Juni fiel dann denkbar knapp aus, offensichtlich bekam Karin Klingen nicht alle Stimmen der rot-rot-grünen Koalition. Das war mutmaßlich eher gegen den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) gerichtet als gegen die Kandidatin selbst. Was hat sie in diesem Moment gedacht? „Für mich war es nicht schlimm, dass es so knapp war. Ich habe mich wahnsinnig gefreut, dass ich gewählt wurde“, sagt sie. Ihr sei bewusst gewesen, dass es gut möglich ist, durchzufallen. Schließlich ist die Wahl geheim. „Das hätte ich verkraftet.“ Ihr Mann sei nervöser gewesen als sie.

Sie hatte auch sicherheitshalber ihren Schreibtisch in der Senatskanzlei nicht geräumt. Als ihr dann bewusst wurde, dass sie mit der Vereidigung nach der Wahl sofort Präsidentin des Landesrechnungshofes ist, hatte sie kurz das Gefühl, auf einen anderen Planeten gebeamt worden zu sein. „Nach der Übernahme des Amtes geht es für mich nur noch um die neuen Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit“, sagt sie.

Nun sei sie glücklich und auch stolz, diese Traumposition bekleiden zu dürfen. Was sie gereizt hat, war nicht der weitere Karriereschritt und der Titel Präsidentin, sondern das, was er ermöglicht: die große Bandbreite der Themen und die Möglichkeit, die Verwaltung zu verbessern. Und natürlich die Gestaltungsfreiheit. „Ich habe keinen Chef mehr. Ich kann eigene Strategien entwickeln und Entscheidungen treffen“, sagt sie.

Sie hat viel vor. Es sei ihr wichtig, dass der Rechnungshof Verwaltungen zu aktuellen wichtigen Themen berät und nicht nur nachträglich sagt, was falsch gemacht wurde. So wird zur Schuldengrenze demnächst ein Workshop mit der Finanzverwaltung veranstaltet. Eine weitere Herausforderung ist, dass es in ihrer Behörde zwar 240 Stellen gibt, derzeit aber nur 199 Mitarbeiter. Wie in vielen Bereichen der Verwaltung ist es schwer, Mitarbeiter zu finden, etwa Prüfer für den IT-Bereich oder Bauingenieure als Prüfer.

Unkonventionelle Wege

Klingen will nun unkonventionelle Wege gehen, um den Rechnungshof attraktiver zu machen und ihn zu modernisieren. Sie redet zum Beispiel mit einer Universität über die Beschäftigung von Doktoranden und hofft auf eine Jobrotation mit dem Bundesrechnungshof. Sie möchte auch die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit intensivieren und ein Rederecht im Abgeordnetenhaus, um ihren Jahresbericht dort vorzustellen.

Als sie auf einer Personalversammlung sagte, sie sehe es als Schwerpunkt ihrer Arbeit an, die Behörde weiterzuentwickeln, habe es Szenenapplaus gegeben. „Das hat mich gefreut“, bekennt sie. Dass sie nun eine Position hat, auf der man sich im öffentlichen Dienst nicht beliebt macht, ist ihr bewusst. „Das ist meine Aufgabe“, betont sie schlicht. Ist die Rheinländerin mit der Leidenschaft für Verwaltung und Finanzen also insgeheim eine Preußin? Sie lacht angesichts dieser Unterstellung. „Ich bin eine Beamtenseele.“

Zur Person:

Ausbildung Karin Klingen wurde 1966 in Bonn geboren und besuchte dort Grundschule und Gymnasium. Von 1985 an studierte sie Jura in Bonn und Münster, legte 1992 die erste und 1995 die zweite juristische Staatsprüfung ab.

Familie Karin Klingen ist verheiratet. Ihren Mann lernte sie beim gemeinsamen Jurastudium kennen, seit 28 Jahren ist das Paar zusammen.

Karriere Sie begann in der Finanzverwaltung des Landes Sachsen-Anhalt, arbeitete dann dort in der Staatskanzlei. Von 2004 bis 2007 war sie Referentin im Leitungsstab des Bundesjustizministeriums, von 2007 bis 2011 Referatsleiterin in der Landesvertretung Sachsen-Anhalts beim Bund. 2011 wechselte sie als Referatsleiterin ins Finanzministerium Sachsen-Anhalt. 2015 kam sie als Abteilungsleiterin in die Senatskanzlei. Am 28. Juni 2018 wurde sie zur Präsidentin des Landesrechnungshofes gewählt

Spaziergang Treffpunkt war die „StäV“ am Schiffbauerdamm. Wegen der Sommerhitze ging es mit der S-Bahn bis zum Bahnhof Bellevue. Von dort spazierten wir die Bartningallee entlang, überquerten die Spree und gingen auf der Uferpromenade (Straße der Erinnerung) bis zum Abion Spreebogen Hotel.

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