Berlin. Natürlich passt bei Heinz Buschkowsky alles in einen Satz. Der ganze Zynismus dieses Armutspornos, den RTL als noch nie da gewesenes Sozialexperiment verkauft. „Der ist ja, wie ein kleiner Junge, dem du das erste Mal Geld in die Hand drückst“, sagt der Klartext-Sozi und Ex-Bürgermeister von Neukölln. Genau. Und mehr als eine Million Deutsche schauen zu, wie der kleine Junge, der eigentlich ein langzeitarbeitsloser Mann ist, in Freudentränen ausbricht – und dann die Kontrolle verliert. Aber Buschkowsky wusste gleich, das wird nichts. Er muss es wissen. Neukölln ist schließlich überall.
„Zahltag!“ heißt die neue Reality-Show bei RTL. Die erste Folge lief am Dienstag zur Primetime. Das Konzept: Buschkowsky schneit als Kofferträger im wallenden Mantel bei Hartz-IV-Empfängern vorbei, stellt ihnen einen Koffer voll Geld vor die Tür. Neben Buschkowsky führen Ilka Bessin (selbst mal auf Hartz IV, hat sich als „Cindy aus Marzahn“ aus der Sozialhilfefalle gerettet) und Gründercoach und dynamischer Stretch-Anzug-Träger Felix Thönnessen durch die Sendung. RTL hat sich ein relevantes Thema vorgenommen. Dass Hartz IV viele in Unmündigkeit und Lethargie stürzt, ist ein großes Problem. Politiker wollen das ändern. Und RTL macht einfach. Nur leider das Falsche.
In Buschkowskys Koffer finden die auserwählten Familien den kompletten Hartz-IV-Satz für ein Jahr im Voraus. Bei Familie Metz mit den Löchern im Hausdach sind das knapp 25.000 Euro. Sie haben einen Plan, wollen eine Second-Hand-Laden für Kindermode eröffnen. Nur statt dass der Gründungsexperte oder der Reißt-euch-mal-zusammen-Experte unter die Arme greifen, ziehen sie sich mit dem Zuschauer in Voyeurismus zurück. Denn die Spielregel lautet: Die Experten können helfen, aber darauf müssen die Familien schon selber kommen.
Der Geldsegen wird zum Geldfluch
Familie Metz kommt auf ganz andere Dinge. Endlich mal volltanken (wie süß, findet Bessin), endlich mal Fast-Food satt: „Sechs doppelte Chickenburger, fünf doppelte Cheeseburger. Und was willst du Schatz?“ Skeptischer Blick über den Buschkowsky-Brillenrand. Aber es wird nicht besser. Nach 21 Tagen hat der Vater die Hälfte des Geldes im Baumarkt verprasst und sich vor der ganzen RTL-Nation zum Idioten gemacht. Der Geldsegen wird zum Geldfluch. Und der Zuschauer hat den Beweis: Wer arm ist, ist selbst schuld. „In anderen Ländern krepierst du auf der Straße, wenn du arbeitslos bist“, sagt Buschkowsky.
Zum Glück ist da noch eine zweite Familie. Alleinerziehende Mutter, fünf Kinder. Ganz viel Tränendrüse. Aber die Gefühle sind echt, das Schluchzen, wenn einer der Söhne erzählt, wie es ist, wenn am Monatsende die 674 Euro verbraucht sind, der Kühlschrank leer. Der größte Wunsch der Mutter: Raus aus diesem Teufelskreis. Man wünscht es ihr.
Dann kommt der Koffermann, die Emotionsexplosion. Anschließend tagt der Familienrat: Mutter Conny will eine Imbissbude aufmachen. Jetzt kommt tatsächlich mal der Gründungsberater vorbei. Aber statt Tipps zu geben, degradiert er die Familie zur Floskel. Er lässt sie alle in einem Ruderboot fahren. Teambuilding. Dann fangen auch schon die Probleme an. So ein Imbisswagen ist teuer, Conny schlägt das günstigste Angebot aus, weil der Händler keine 200 Euro runtergehen will. Buschkowsky findet das unprofessionell. Die Expertenkollegen finden ihn zu hart. Buschkowsky ist beleidigt. Schnitt zur anderen Familie. Anscheinend läuft es im Bett nicht rund, auch sonst geht alles schief. Sie weint, „die Seele ist kaputt, das Herz ist kaputt, das Vertrauen ist kaputt“ – „und die Privatsphäre.“
Aber zwei Folgen kommen ja noch. Buschkowsky wird ein drittes Hartz-IV-Paar beschenken, ein Akademiker-Paar aus Berlin. Und er wird bei der kaputten Familie mit dem kaputten Haus am Küchentisch sitzen. Er wird sagen: „Sieht echt scheiße aus.“
Von Neukölln in die große Politik und zurück
Ex-Bürgermeister Buschkowsky erwartet einen "Linksruck"
Martin Hikel ist der Neue von Neukölln