Berlin. Schlechte Noten für den größten Fernbahnhof der Hauptstadt: In einem internationalen Ranking von Verkehrsknotenpunkten landet der Berliner Hauptbahnhof nur auf Platz 15 von 27 – also im unteren Mittelfeld, weit hinter anderen europäischen Stationen wie etwa der Pariser Gare du Nord oder King’s Cross St. Pancras in London. Spitzenreiter in der weltweiten Gesamtwertung ist die Grand Central Station in New York.
Grund für das schlechte Abschneiden Berlins im „Mobility Oriented Development Index“ (dt. mobilitätsorientierter Entwicklungsindex) der niederländischen Beratungsfirma Arcadis ist vor allem die schwache wirtschaftliche Entwicklung des Hauptbahnhofs. In dieser Kategorie erreicht der Bahnhof nur 22 Prozent. Spitzenreiter unter diesem Gesichtspunkt ist die Union Station in Washington D.C. mit vollen 100 Prozent.
Hauptbahnhof ist nicht rentabel
Hauptursache: die Rentabilität des Hauptbahnhofs. „Der Bahnhof war mit insgesamt 1,2 Milliarden Euro Baukosten sehr teuer“, sagt Bertram Subtil von Arcadis. „Die Modernisierung des Food Courts, der im Herbst eröffnet wird, hat zusätzlich Geld verschlungen.“ Zudem achte die Deutsche Bahn, die die Gewerbeflächen selbst vermarkte, vor allem auf Prestige, was Gastronomie und Shops angeht. „Wenn der Bahnhof sich aber nicht selbst trägt, sind auch künftige Investitionen schwierig oder schwer vermittelbar“, so Subtil. „Daher sollte der Faktor Rentabilität nicht vernachlässigt werden.“
Für die Studie haben er und seine Kollegen 27 Bahnhöfe auf der ganzen Welt verglichen, dafür vier Bewertungskategorien definiert. Neben Wirtschaftsfaktoren sind das der Anschluss des Umsteigebahnhofs an den öffentlichen Nahverkehr, die Einbeziehung des Bahnhofs in die Stadtentwicklung sowie das soziale Umfeld. In all diesen Kategorien schneidet Berlin gut ab, erreicht Werte von 81 bis 93 Prozent. „Problematisch bleiben bisweilen aber Anbindung und Pünktlichkeit der Züge“, so Subtil. „Da kann die Deutsche Bahn noch besser werden.“
Fahrgastverband kritisiert Verbindungen nach Osteuropa
Ähnlich sieht das Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB. „Der Hauptbahnhof hat ein riesiges Potenzial, schöpft es aber nicht aus“, sagt er. Es hapere vor allem bei den Fernverbindungen gen Osteuropa. „Zum nächsten Überseehafen in Stettin gelangt man nur mit der Regionalbahn, das geht nicht.“ Und auch die Anbindung des Hauptbahnhofs ans Berliner Nahverkehrsnetz ließe sich verbessern.
„Anschlüsse wie die im Bau befindliche S21 gen Norden sowie die U-Bahnlinie U5 und die Tramverlängerung zur Turmstraße in Moabit hätte man beim Bau des Hauptbahnhofs eigentlich schon mit einplanen müssen“, so Wieseke. „Das geschieht aber alles erst jetzt. Deshalb ist der Bahnhof noch nicht so gut zu erreichen.“
Zudem sei das Umfeld suboptimal: Die Architektur rund um den Bahnhof sei wenig herausragend, mache kaum etwas her. „Zu hoffen bleibt, dass mit der Europacity auch etwas mehr Leben in die Gegend kommt“, sagt Wieseke. „Davon profitieren auch Pendler, etwa durch mehr Geschäfte oder Restaurants.“
Deutsche Bahn kann das schlechte Abschneiden nicht nachvollziehen
Bei der Bahn kann man das schlechte Abschneiden nicht nachvollziehen, die Rückmeldung von Kunden sei sehr positiv, die Wirtschaftlichkeit sei gegeben. „Der Hauptbahnhof ist sehr wohl rentabel – zumal wenn wir berücksichtigen, dass in den hohen Baukosten auch der Ausbau der Nord-Süd-Trasse inbegriffen ist“, sagt Pressesprecher Burkhard Ahlert. „Und was die Anbindung betrifft, steht der Ausbau der Strecke nach Stettin schon heute auf der Agenda.“
Dem stimmt auch der Fahrgastverband IGEB zu. Gleichwohl schlägt Wieseke konkrete Verbesserungen vor: So sollten etwa zusätzliche Lifte eingebaut werden, die Zugreisende von den unteren Fernbahngleisen direkt an die Straßenoberfläche auf dem Washingtonplatz befördern.
Und auch die Taxistände ließen sich optimieren: Statt einer Taxi-Vorfahrt auf jeder Seite des Bahnhofs könnte man das Auflesen von Fahrgästen nur noch am südseitigen Washingtonplatz erlauben, sodass auf der Nordseite der Station nur noch Busse und Trams abfahren. Wieseke: „Das würde die Passagierströme entzerren.“
Die komplette Rangliste der 27 untersuchten Bahnhöfe:
- New York Central Terminal (USA, 100 Prozent)
- Washington Union Station (USA, 99 Prozent)
- Hong Kong HKU Station (China, 94 Prozent)
- Paris Gare du Nord Train Station (Frankreich, 90 Prozent)
- Rotterdam Central Station (Niederlande, 88 Prozent)
- London Kings Cross/St Pancras (Großbritannien, 86 Prozent)
- Madrid Principe Pio (Spanien, 83 Prozent)
- Denver Union Station (USA, 82 Prozent)
- Beijing Wangjing Station (China, 81 Prozent)
- São Paulo Pinheiros Metro Station (Brasilien, 80 Prozent)
- São Paulo Luz Station (Brasilien, 79 Prozent)
- Amsterdam Zuid Station (Niederlande, 77 Prozent)
- Sydney Martin Place Station (Australien, 75 Prozent)
- Amsterdam Bijlmer Arena (Niederlande, 75 Prozent)
- Berlin Hauptbahnhof (Deutschland, 74 Prozent)
- Amsterdam Central Station (Niederlande, 72 Prozent)
- Lyon Part Dieu (Frankreich, 71 Prozent)
- Shanghai Longyang Road Station (China, 71 Prozent)
- Dallas Mockingbird Station (USA, 69 Prozent)
- Brussels Midi/Zuid (Belgien, 69 Prozent)
- Melbourne Southern Cross Station (Australien, 68 Prozent)
- London Wimbledon Station (Großbritannien, 67 Prozent)
- London Euston Station (Großbritannien, 66 Prozent)
- Los Angeles Union Station (USA, 66 Prozent)
- Sydney Chatswood Station (Australien, 63 Prozent)
- Sydney Central Station (Australien, 62 Prozent)
- Santiago La Cisterna (Chile, 54 Prozent)
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