Berlin. Vor der Antarktis treibende Kolosse sollen nach Südafrika gelenkt werden. Bisher aber fehlt dem Projekt das Geld.

Es dauert nur drei Minuten, dann hat Timm Schwarzer sein Projekt an die weiße Tafel gemalt: Mit grünen Strichen skizziert der 43 Jahre alte Projektmanager die Südspitze Afrikas, die blaue Fläche soll die Antarktis sein und die roten Punkte die Eisberge, die sich in einem Strom rund um die kalte Landmasse bewegen.

So weit, so gut. Hier in dem Büro im John-F.-Kennedy-Haus, nur wenige Schritte vom Berliner Hauptbahnhof entfernt, berichtet Schwarzer erstmals von der Idee, an der er und sein Team mittlerweile seit sieben Jahren arbeiten. Schwarzer will die Eisberge, die nördlich der Antarktis und außerhalb der antarktischen Schutzzone treiben, nach Südafrika bringen. Aus den kalten Kolossen soll dann Trinkwasser für Millionen Menschen gewonnen werden.

Polewater hat der Berliner sein Vorhaben genannt. „Technisch sind wir fertig. Das Projekt ist komplett ausgearbeitet“, sagt Timm Schwarzer. Doch was auf der Tafel im Großstadtbüro so einfach aussieht, ist in Wirklichkeit ungleich komplexer.

Airbus-Tochter Astrium soll die Eisberge aufspüren

Da ist zunächst mal die Sache mit den Eisbergen: Wohl kein Investor könnte es sich leisten, eine wochenlange Expedition durch den südlichen Atlantik zu finanzieren, um den passenden Eis-Koloss zu finden. Polewater arbeitet deshalb mit dem Satelliten-Spezialisten Astrium zusammen. Die Airbus-Tochter hat ein System entwickelt, mit dem sich die Eisberge vom Sofa aus finden und überwachen lassen. Schon heute erstellen Satelliten regelmäßig Aufnahmen von der Region, weil die schwimmenden Eis-Kolosse durchaus eine Gefahr für die Schifffahrt sein können. Das neue Programm erfasst aber nicht nur die Eisberge. Die Software, mit der Polewater arbeitet, erstellt gleichzeitig auch Daten zu Größe, Gewicht und Treibgeschwindigkeit der gefrorenen Massen.

Im Visier des Berliner Unternehmens sind vor allem Eisberge, die nördlich des 60. Breitengrades im sogenannten Zirkumpolarstrom treiben. Dort sind die gefrorenen Kolosse mit bis zu vier Knoten pro Stunde unterwegs. Schwarzer will diese Geschwindigkeit nutzen. „Wir wollen die Eisberge nicht abschleppen, sondern in die richtige Richtung lenken“, erklärt er. Doch auch dafür ist viel Kraft nötig: Bis zu 400 Millionen Tonnen sind die Eisberge, die das Projekt nach Südafrika bringen will, schwer. Nach ersten Berechnungen ist einer der gefrorenen Kolosse etwa so groß wie zwei Fußballfelder. Schwarzer benötigt deswegen nicht nur kräftige Schiffsmotoren, sondern auch Spezial-Werkzeug. Schiffe sollen den Eisberg mit einem speziellen Schlepp-Geschirr, das in etwa so funktioniert wie eine Schneekette, einwickeln. Über den Zirkumpolarstrom sollen die kalten Eismassen dann in den Benguelastrom gelenkt werden und von dort mithilfe der Meerströmungen die Küste vor Kapstadt erreichen. Weitere mögliche Ziele seien Südamerika und Australien, sagt Polewater-Gründer Schwarzer.

Arbeitet  seit sieben Jahren an der Idee: Projektmanager Timm Schwarzer (43)
Arbeitet seit sieben Jahren an der Idee: Projektmanager Timm Schwarzer (43) © Glanze/Berliner Morgenpost | Sergej Glanze

Je nach Fließgeschwindigkeit dürfte der Transport eines Eisbergs zwischen 16 und 32 Tage dauern. Dass der Eisberg während dieser Zeit schmilzt, nimmt Polewater in Kauf. Bei der Ankunft vor der Südspitze des afrikanischen Kontinents sei auch dann noch genügend kalte Masse vorhanden. Ohnehin spielt die Tatsache, dass der Eisberg schmilzt, dem Berliner Projekt in die Karten. Polewater will das Eis-Wasser vom Eisberg abpumpen. Während des Transports dürfte sich bereits eine Wasserlache auf dem Berg gebildet haben, die größer wird, je länger der Eis-Koloss in gemäßigteren Breiten von der Sonne bestrahlt wird. Polewater will neben dem Eisberg eine sogenannte „Waterstation“ aufbauen. Die schwimmende Plattform soll das Wasser aufnehmen, filtern und in „Waterbags“ speichern. Das sind gewissermaßen große Tüten, die auf dem Meer treiben. Je nach Modell kann ein „Waterbag“ bis 50 Millionen Liter Wasser aufnehmen. Noch größere „Waterbags“ sind in Planung.

„Das Fassungsvermögen erlaubt es, erstmals von Wasserversorgung zu sprechen“, erklärt Timm Schwarzer in seinem Büro. Zwar sei es auch möglich, die Eisberge in Krisenregionen zu bugsieren, im Fokus stünden aber Länder, die chronisch unter Wassermangel leiden und viel Geld etwa in teure Meerwasserentsalzungsanlagen investierten.

Polewater will jetzt bis zu 60 Millionen Euro einsammeln

Doch bislang fehlt Kapital, um das Projekt in die Tat umzusetzen. Der Polewater-Chef hofft, in den nächsten zwei Jahren Investoren von der Idee überzeugen zu können. Erste Gespräche laufen bereits. „Wir benötigen etwa 50 bis 60 Millionen Euro“, sagt Schwarzer. Polewater will nicht nur durch die Eisberg-Transporte Geld verdienen. Bis zu zehn Prozent der Wassermenge, die aus den Eisbergen gewonnen werden könnte, will das Unternehmen in Flaschen füllen und als Premium-Wasser vermarkten. Weltweit nehme die Nachfrage nach hochwertigen Wasser-Produkten zu. In Supermärkten werden bereits heute Edel-Wässerchen wie Fiji-Water oder Voss für über fünf Euro je Liter verkauft.

Projekte wie Polewater hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben, sagt der Forscher Thomas Rackow vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Erst kürzlich habe Bergungsexperte Nick Sloane, der das Wrack der „Costa Concordia“ gehoben hatte, eine ähnliche Idee präsentiert. In Deutschland hatte vor einigen Jahren auch das Nürnberger Unternehmen „icetrack“ entsprechende Pläne. Realisiert wurden sie nicht.

„Technisch ist es möglich, die Eisberge in Richtung Südafrika zu lenken, und dort aus ihnen Trinkwasser zu gewinnen“, erklärt Rackow. Möglicherweise seien für das Lenken der Eisberge aber große Mengen Treibstoff nötig. Zudem könnten die Eisberge beim Transport der Abgasfahne der Schlepper ausgesetzt sein und so verschmutzt werden. Andere Projekte hätten deswegen überlegt, Eisberge in Folien einzupacken. Das sei auf offener See und bei Wellenhöhen von bis zu zehn Metern aber eine Herausforderung, so der Experte.

AWI-Wissenschaftler hätten deswegen über Alternativen nachgedacht: Die Polar-Forscher können sich auch vorstellen, mit Tankschiffen näher an die Antarktis zu fahren und dort auf Grund gelaufene Eisberge abzubauen. Die Transportzeit auf dem Ozean könnte dann dazu genutzt werden, das Eis abzuschmelzen.

Weltweiter Wasserverbrauch steigt

Statistik: Wegen des Bevölkerungswachstums wird sich der weltweite Wasserverbrauch bis 2050 nahezu verdoppeln, schätzt die OECD. Doch schon heute können einige Länder ihren Wasserbedarf nicht aus eigenen Ressourcen decken. Laut Unicef und WHO haben derzeit zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser in ihrem Zuhause.

Antarktis: Der kalte Kontinent gilt als das größte Süßwasserreservoir der Erde. Jedes Jahr brechen von der Landmasse der Antarktis Eisberge mit einem Volumen von etwa 2300 Kubikmeter ab. Von dort driften die Eismassen nach Norden und schmelzen im Meer. Das freigesetzte Süßwasser könnte den jährlichen Wasserbedarf der Menschheit um ein Vielfaches decken.