Berlin. In der Hauptstadt werden nach wie vor zu wenig neue Wohnungen gebaut – und vieles deutet darauf hin, dass die Zahl fertiggestellter Wohnungen künftig weiter sinken könnte. Zu diesem Schluss kommt der Dachverband kommunaler, privater und genossenschaftlicher Wohnungsbaufirmen, BBU. „Verzögerungen bei Bauplanungen und Baufertigstellungen, stagnierende Genehmigungszahlen für Mietwohnungen und die mangelhafte Baulandversorgung von Genossenschaften sind Ausdruck eines schlechten Wachstumsklimas“, so BBU-Chefin Maren Kern. „Bezahlbarer Wohnungsbau braucht endlich die politische und administrative Unterstützung, die seiner Bedeutung für die wachsende Stadt zukommt.“
Berlin wächst jedes Jahr um rund 40.000 Einwohner, in manchen Kiezen dauert die Suche nach einer Wohnung Monate. Der Senat schätzt, dass bis 2030 mindestens 194.000 Wohnungen gebaut werden müssen, damit sich die Lage entspannt, also 20.000 pro Jahr. „Zuletzt waren es aber nur rund 16.000 Wohnungen“, sagte Kern.
Durch die Kritik steigt der Druck auf Berlins Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke): Nachdem sie jüngst verkündete, das anvisierte Ziel von 30.000 kommunalen Wohnungen in dieser Legislatur zu verfehlen, stattdessen nur 25.000 zu erreichen, werfen ihr inzwischen auch Politiker aus der rot-rot-grünen Koalition vor, gar nicht das Ziel von mehr Neubau zu verfolgen.
Fehlender Willen, Berlin zu gestalten
Der BBU geht in eine ähnliche Richtung. Sowohl der Senat als auch die Bezirke stünden dem Wachsen der Stadt nicht aufgeschlossen gegenüber, es fehle am Willen, Berlin zu gestalten. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter den BBU-Mitgliedern, die rund 40 Prozent des gesamten Berliner Mietwohnungsmarktes abdecken. Demnach glauben 83,3 Prozent der befragten Firmen, dass Berlin sein Wachstum (eher) nicht als Chance wahrnimmt. 88,9 Prozent finden, dass es in Berlin kein gutes Bauklima gibt. Schlechte Noten gibt die Wohnungswirtschaft auch der „Wachstumsfreundlichkeit“: 94,4 Prozent der befragten Unternehmen sagen, dass sie beim Senat niedrig sei. Die Bezirke kommen in diesem Punkt mit 66,7 Prozent etwas besser weg.
„In Berlin herrscht kein konstruktives Bau- und Wachstumsklima“, urteilte BBU-Chefin Maren Kern am Donnerstag. „Im Vergleich zu anderen Städten, die mit dem Thema Neubau zu tun haben, wirkt es bei uns, als zögen nicht alle am selben Strang.“ Auffällig werde das etwa beim Zuständigkeitsgerangel zwischen Senats- und Bezirksebene. „Es kommt oft vor, dass Bauprojekte, die auf Senatsebene befürwortet werden, in den Bezirksämtern und -parlamenten abgelehnt werden, weil sich vor Ort Bürgerinitiativen gegründet haben, die die Bebauung verhindern wollen.“ Vom Senat, vertreten von Katrin Lompscher, wünscht sich der BBU deshalb einen „Masterplan Wachstum“, und eine Kampagne, um bei den Berlinern die Vorzüge der wachsenden Stadt zu bewerben.
Zweifel an fachlicher Kompetenz von neuer Abteilungsleiterin
Die Bausenatorin hatte erst vor wenigen Tagen für Ärger gesorgt, weil sie Mittes Jugendstadträtin Sandra Obermeyer (parteilos, für die Linke) zur Abteilungsleiterin Wohnungsbau machen will – obwohl es Zweifel an deren fachlicher Kompetenz gibt. Auch Kern sieht das kritisch. „Das ist natürlich jemand, der sich erst einarbeiten muss“, sagte sie. „Das führt dann wieder zu Verzögerungen.“ Und obwohl sie ein „vertrauensvolles Verhältnis“ mit Lompscher pflege, fällt ihr Urteil über die Bauverwaltung schlecht aus. „Es werden zwar viele Gespräche mit uns und den Firmen geführt“, sagt sie. „Ich habe aber den Eindruck, dass zu wenig gehandelt und umgesetzt wird.“
Unterstützung erhält die Senatorin dagegen aus den eigenen Reihen. Der Berliner Morgenpost sagte Linke-Landeschefin Katina Schubert: „Es ist doch gar nicht so, dass der Neubau nicht in Gang kommt. Die Fertigstellungszahlen sind angestiegen. Die Bausenatorin der Linken bringt mehr fertig, als die Bausenatoren der SPD jemals hingekriegt haben.“
BBU fordert "Masterplan Wachstum"
Als Konsequenz aus der zunehmenden Wachstumsskepsis fordert BBU-Chefin Maren Kern deshalb einen „Masterplan Wachstum“ sowie eine Kampagne, die aufklärt, welche Vorteile ein größer werdendes Berlins birgt. „Gerade weil viele Berliner durch die wachsende Stadt öfter im Stau stehen oder keinen Kitaplatz finden, müssen wir ihnen erläutern: Wachstum bietet auch Chancen, etwa ein Sinken der Arbeitslosigkeit, ein Florieren der Wirtschaft“, sagte Kern.
Die im BBU organisierten städtischen, privaten und genossenschaftlichen Wohnungsbaufirmen stehen für rund 40 Prozent aller angebotenen Mietwohnungen in Berlin. Vergangenes Jahr bauten die Firmen 3790 Wohnungen. Das waren zwar doppelt so viele wie im Vorjahr, aber 800 weniger als die Firmen eigentlich geplant hatten. „Das zeigt sich auch in der Summe der geplanten Investitionen“, so Kern. Insgesamt steckten die BBU-Firmen rund zwei Milliarden Euro in ihre Häuser, 820 Millionen Euro davon in Neubauten. „Eigentlich hätten die Unternehmen gern noch weitere 428 Millionen Euro verbaut“, so Kern. „Doch das Geld konnte nicht abgerufen werden.“ Der Grund: langwierige Bürgerbeteiligungsverfahren, fehlende Baugenehmigungen, überlastete Firmen. „Und die Summe wird größer“, sagt Kern. „2014 wurden nur 57,5 Millionen Euro nicht verbaut. Die Hemmnisse beim Bau von Wohnungen sind aber gewachsen.“
Senatorin Lompscher seit Tagen in der Kritik
Erst vor wenigen Wochen hatte Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) die Zahl der anvisierten Neubauwohnungen nach unten korrigiert. Statt der im Koalitionsvertrag vereinbarten 30.000 kommunalen Wohnungen bis zum Ende der Legislatur werden ihr zufolge nunmehr lediglich rund 25.000 fertiggestellt. Die Linken-Politikerin steht deshalb seit Tagen stark in der Kritik. Auch beim Koalitionspartner SPD werden inzwischen Stimmen laut, die sich gegen sie wenden, gar ihren Rücktritt fordern. Auch der BBU ist unzufrieden mit dem Senat und den Bezirken: Einer Umfrage zufolge finden 94,1 Prozent der BBU-Firmen, dass die Bauverwaltungen Planungsprozesse nicht durch „effiziente und lösungsorientierte“ Verfahren unterstützen.
Genau das aber wäre nötig. Die Zahlen des Verbandes belegen, wie angespannt der Wohnungsmarkt ist: Die Leerstandsquote in den BBU-Wohnungen liegt inzwischen bei nur noch 1,7 Prozent – fast drei Prozentpunkte weniger als noch 2007. Und auch die Fluktuation der Mieter, also der Anteil der von Mietern gekündigten Wohnungen, ist drastisch gesunken: Während 2007 berlinweit 8,5 Prozent der BBU-Mieter auszogen, waren es 2017 nur noch 5,4 Prozent. „Daran sieht man einerseits, dass die Menschen gern länger in unseren Wohnungen bleiben“, sagt Kern. „Andererseits aber auch, dass es weniger Möglichkeiten zum Umzug gibt. Wir müssen deshalb deutlich mehr bauen.“
Trotz der scharfen Kritik teilte die Bauverwaltung auf Anfrage mit, dass der BBU ein wichtiger Partner im Wohnungsbau sei. Staatssekretär Sebastian Scheel (Linke) sagte: „Es herrscht große Einigkeit, dass die gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten zur Beschleunigung des Wohnungsbaus in Berlin weiterhin intensiv befördert werden.“
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