Berlin. Jörg Simon muss nach Zeuthen, um dort mit Brandenburger Bürgermeistern über die Übernahme des Abwassers der Umlandgemeinden in Berliner Klärwerke zu verhandeln. Auf dem Weg stoppte der Chef der Berliner Wasserbetriebe im Wasserwerk Friedrichshagen zum Interview mit der Berliner Morgenpost.
Der Sommer ist extrem trocken. Verbrauchen die Berliner mehr Wasser als normal?
Jörg Simon: Ja. Wir hatten zuletzt einzelne Tage mit einem Verbrauch von mehr als 800.000 Kubikmetern. Normal sind rund 600.000. Aber unsere maximale Kapazität liegt bei einer Million. Wir haben also noch Reserven. Generell wird im Frühjahr aber noch mehr Wasser genutzt als im Hochsommer, zumal viele Berliner in den Ferien die Stadt verlassen. Insgesamt sorgt aber die wachsende Stadt dafür, dass der Wasserbedarf steigt, um ein bis zwei Prozent pro Jahr. Das ist gut für uns.
Und falls die extreme Trockenheit in der Region anhalten sollte, hätte das keine Auswirkungen auf unsere Wasserversorgung?
Wir sind in Berlin in abnehmendem Maße abhängig vom durch Regen in der Stadt gebildeten Grundwasser und damit vom Regen. Der Anteil des Uferfiltrats, Grundwasser, das wir in der Nähe von Flüssen und deren Seen gewinnen, wird wichtiger. Die Spree ist also wichtig für Berlins Wasserversorgung
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Aber wenn es trocken bleibt und in der Lausitz die Braunkohle-Tagebaue geflutet wer-den, könnte es dann nicht sein, dass die Spree mal zu wenig Wasser führt?
Es gibt eine Zusage, dass aus dem Oberlauf des Flusses eine ausreichende Menge nach Berlin abgeleitet wird. Die Spree fließt schon jetzt sehr langsam durch die Stadt. Dass mal gar nichts mehr kommt, ist sehr, sehr unwahrscheinlich.
Das Wasser in der Spree ist ja mit Sulfat aus den Tagebauen belastet. Ist das Problem gelöst oder macht es weiterhin Sorgen?
Gelöst ist das Thema nicht, auch wenn wir in Berlin keine Verockerung des Wassers feststellen. Wir sprechen über das unsichtbare Sulfat mit den Ländern Brandenburg und Sachsen und den Bergbau-Unternehmen Leag und LMBV. Der Grenzwert liegt bei 250 Milligramm Sulfat pro Liter im Trinkwasser. Den halten wir ein, wollen aber sichern, dass das dauerhaft auch so bleibt.
Gefährlich ist das zunächst nicht, manches Mineralwasser enthält mehr Sulfat. Nur beim Zubereiten von Säuglingsnahrung könnte das zum Problem werden. Aber Brandenburg und Sachsen haben zugesagt, den Leitwert in der Spree an einer bestimmten Messstelle auf 220 Milligramm zu halten, etwa indem sie unbelastetes Wasser dazu mischen. Wenn das eingehalten wird, müssen wir keine zusätzlichen Filter in unsere Wasserwerke einbauen.
Dennoch müssen Sie Ihre Klärwerke aufrüsten. Wie viel Geld müssen Sie für die neue Reinigungsstufe investieren?
Wir setzen damit eine Forderung der EU-Wasserrahmenrichtlinie um. Dabei geht es um Phosphor. Das ist ja ein Dünger. Zuviel davon im Wasser lässt die Algen wachsen, das Wasser wird grün und trüb. Wir bauen deshalb vierte Reinigungsstufen in allen unseren sechs Klärwerken und investieren dafür bis 2025 allein 600 Millionen Euro. Das wird auch dazu führen, dass Berlins Gewässer noch sauberer werden.
Wie viel investieren Sie insgesamt in die Erneuerung Ihrer Anlagen?
Wir nehmen regelmäßig jedes Jahr 250 bis 270 Millionen Euro in die Hand, also rund 1,3 Milliarden in fünf Jahren. In der nächsten Zeit werden wir da noch einmal eine Milliarde Euro drauflegen.
Was sind denn außer den Klärwerken wesentliche Vorhaben?
Wir bauen weiter Speicherraum, um zu verhindern, dass wir Schmutzwasser aus dem Mischkanalnetz in der Innenstadt nach Starkregen in die Flüsse entwässern müssen. Wir haben da schon viel getan, am Mauerpark bauen wir gerade an einem Tank mit 7400 Kubikmetern Fassungsvermögen. Der nächste, den wir bauen, wird nördlich des Bundesnachrichtendienstes in Mitte entstehen mit einer Kapazität von 17.000 Kubikmetern.
Außerdem erneuern wir ja permanent Kanäle und Leitungen. Aber jetzt müssen wir auch stärker an die großen Leitungen ran. Das haben wir bisher zu vermeiden versucht, weil die unter sehr wichtigen Straßen Berlins verlaufen. Aber wir können die Sanierung nicht aufschieben. So werden wir zum Beispiel die Leitungen unter dem Tempelhofer Damm sanieren und auch unter der Landsberger Allee.
Autofahrer werden das also spüren?
Ja, das lässt sich kaum vermeiden. Aber wir bemühen uns, die Arbeiten zusammen mit anderen Leitungsbetreibern zu erledigen, am Tempelhofer Damm etwa mit der BVG und mit Vattenfall, um die Belastung in Grenzen zu halten. Wir sind dabei, über unseren Verein Infrest die Sanierungs- und Investitionspläne übereinander zu legen und solche Projekte zu synchronisieren.
Finden Sie dafür ausreichend Baufirmen?
Das ist mittlerweile schwierig. Für größere Vorhaben im Millionenbereich geht es noch, aber kleine Aufträge will kaum noch eine Firma erledigen. Die Preise, die wir auf Ausschreibungen angeboten bekommen, sind zum Teil um 40 Prozent gestiegen. Deswegen werden wir wieder einen eigenen Bautrupp aufstellen mit 30 Mitarbeitern. Das wird uns flexibler machen, wenn es darum geht, kleinere Schäden schnell zu beheben.
Sie haben den Starkregen angesprochen. Die Wasserbetriebe haben ja jetzt eine Regenwasser-Agentur. Was genau soll die machen?
Berlin wird ja immer mehr zugebaut, also wird tendenziell mehr Fläche versiegelt. Was das bei Starkregen bedeutet, hat lange niemand auf dem Schirm gehabt. Deshalb geht es darum, wieder Böden zu entsiegeln und Neubauten regenwasserfest zu machen. Wir suchen nach Möglichkeiten, Regenwasser zu speichern, zu versickern und zu verdunsten, bei Wolkenbrüchen kurzzeitig auch mal zu poldern.
In anderen Städten nutzen sie dazu zum Beispiel Fußballplätze. Wenn dorthin entwässert wird, laufen eben die Keller nicht voll. Berlin hat eine neue Vorschrift erlassen. Jedes neu bebaute Grundstück darf nur noch so viel Wasser ableiten, wie wenn es nicht bebaut wäre. Das ist also keineswegs nur ein grünes Thema. Da spüren wir einen echten Bedarf nach Beratung der Bauherren.
Sie gelten als Geheimwaffe des neuen Senats, wenn es darum, geht, politische Vorhaben umzusetzen. Wie entwickelt sich Ihre Tochterfirma, das Stadtwerk, unter Ihrer Regie?
Das Stadtwerk unterstützt das Land in den Bereichen Energieeffizienz und energetische Sanierung. Das ist der wesentliche Auftrag. Wir haben für Mieterstromprojekte Solarzellen auf Dächer gebracht, wo die Mieter den Ökostrom nutzen, der über ihnen erzeugt wird. Wir haben in den ersten zwei Jahren sechs Megawatt Solarmodule installiert, insgesamt sind es in Berlin nur knapp 100. Damit haben wir in nur zwei Jahren die Kapazität um sieben Prozent erhöht. Um also das Ziel 1000 Megawatt bis Mitte des nächsten Jahrzehnts zu erreichen, müssen viele Akteure noch viel tun.
Zudem sind wir dabei, in die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude einzusteigen. Als erstes Objekt haben wir uns mit der Berliner Immobilienmanagement GmbH auf das Polizeigelände an der Friesenstraße geeinigt. Das ist ein großes Projekt, an dem wir zeigen können, wie so etwas mit dem Stadtwerk funktioniert.
Außerdem sind wir mit den Bezirken in Gesprächen, um für sie tätig zu werden. Das kann dann innerhalb des „Konzerns Berlin“ ohne Ausschreibungen erfolgen. Ich darf 100 Millionen Euro für solche Vorhaben abrufen. Die muss ich nicht unbedingt komplett ausschöpfen, aber der Bedarf ist immens.
Sie bieten jetzt Bürgern an, sich an neuen Windrädern zu beteiligen. Ist das nicht nur ein Instrument, um Stromkunden zu gewinnen?
Wir bieten an, dass die Bürger Darlehen für den Bau einer Windanlage geben. Das verzinsen wir für Stadtwerke-Stromkunden mit 2,25 Prozent, für Nicht-Kunden mit 1,75 Prozent. Zum politischen Auftrag des Stadtwerks gehört, dass sich die Bürger bei der Energieversorgung engagieren können. Das setzen wir in einem ersten Schritt so um.
Wie viele Stromkunden hat das Stadtwerk?
Rund 7500. Wir haben eigene Windkraft- und Solaranlagen, mit denen wir 30.000 Menschen mit regional erzeugtem Ökostrom versorgen können.
Wie viel Geld müssen Sie in Werbung investieren, um neue Kunden zu gewinnen? Schließlich gibt es ja schon viele Anbieter von Ökostrom.
Wir haben 2017 eine Kampagne für 750.000 Euro gemacht, um die Stadtwerke und ihr Angebot bekannt zu machen. Wir bieten gute Preise, unser Strom ist deutlich billiger als der des Grundversorgers. Das muss sich rumsprechen. Mit den Millionen-Werbebudgets der Gasag und anderer Mitbewerber können und wollen wir nicht mithalten. Unser Ziel ist es nicht, eine höchstmögliche Kundenzahl zu bekommen.
Es gibt Politiker in der SPD und bei den Linken, die sagen, die Wasserbetriebe sollten die Berliner Bäder-Betriebe übernehmen. Was sagen Sie dazu?
Die Ausgangslage ist sicher schwierig, aber mit einer Übernahme hat man ja noch kein Problem gelöst. Wir können aber helfen, weil wir zum Teil vergleichbare Herausforderungen zu bewältigen haben. Die Politik versteht ja nicht, dass sie viel Geld in die Bäder-Betriebe steckt und sich die Lage kaum bessert.
Wir haben eine Systematik entwickelt, wie wir unsere Anlagen überwachen und Sanierungen planen. Wir wissen, welche Anlagen kritisch sind und wann da etwas gemacht werden muss. So eine Herangehensweise könnte man sicher auch für die Bäder einführen. Dabei sehe ich uns aber eher als Dienstleister.
Das neue Toilettenkonzept sieht vor, dass die Firma Wall nicht länger die Einnahmen aus der Außenwerbung bekommt und im Gegenzug die City-Toiletten betreibt. Bisher hatten Wall und Ströer auch die Brunnen gesponsert. Das sollen sie jetzt auch machen.
Wir pflegen und warten Brunnen. Aber auf Vertragsbasis, nicht als Sponsor. Mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg läuft das bereits. Sechs unserer Leute kümmern sich nun darum, dass die Brunnen sprudeln. Bis 2026 werden wir schrittweise auch die Brunnen in den anderen Bezirken übernehmen. Ich gehe davon aus, dass der Senat den Bezirken Geld für diese neue Aufgabe geben wird.
Die Wasserbetriebe wurden vom Rechnungshof wegen zu hoher Gehälter und Zulagen kritisiert. Ist das Problem gelöst?
Wir hatten den Rechnungshof fast anderthalb Jahre im Haus und haben über viele Themen gesprochen. Es ging in einigen Fällen um Gehälter und um die Jubiläumsprämien für 25- und 40-jährige Betriebszugehörigkeit. Die sind höher als bei der BVG und der BSR. Allerdings haben wir auch einen anderen Tarifvertrag.
Außerdem hat der Rechnungshof bei einigen Stellen die Einstufung unserer Mitarbeiter kritisiert. Das haben wir mit dem Rechnungshof diskutiert und die Eingruppierung geändert, wo es erforderlich und möglich war. Aber grundsätzlich ist unser Tarifvertrag der Versorgungswirtschaft für die Mitarbeiter besser als der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes.
Jörg Simon:
Wasserbetriebe
Nach Stationen in Gelsenkirchen und Leipzig übernahm Jörg Simon im November 1999 den Vorstandsvorsitz der Berliner Wasserbetriebe. Zunächst kam er über den privaten Anteilseigner Veolia zu dem teilprivatisierten Unternehmen. Nach dem Rückkauf durch die öffentliche Hand Ende 2013 agiert der 56-Jährige im Auftrag des Landes Berlin.
Sonstige Tätigkeit
Seit 2002 ist Simon auch Mitglied der Geschäftsführung der Berlinwasser Holding GmbH, seit 2014 einer von vier Vizepräsidenten des Bundesverbands der Energiewirtschaft (BDEW).
Privates
Simon wurde 1962 in Mechernich bei Bonn geboren. Er studierte Ingenieur- und Wirtschaftsingenieurwesen an der RWTH Aachen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.
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