Die Airline stuft ein Angebot aus der Hauptstadt als nicht rentabel ein. Politiker und Wirtschaft sind empört.

„Von Berlin in die Welt“, so stand es einst auf einem Werbeplakat am Flughafen Tegel. Doch seit der Air-Berlin-Pleite im vorigen Herbst sind zumindest Ziele in der Ferne von der deutschen Hauptstadt aus kaum noch direkt erreichbar. Gerade einmal sechs Ziele außerhalb Europas und des Mittelmeerraums stehen noch im Sommerflugplan der beiden Berliner Flughäfen. Neben Weltmetropolen wie New York, Peking oder Singapur gehören dazu auch Exoten wie das mongolische Ulan Bator.

Im Vergleich der europäischen Hauptstädte ist Berlin damit auf ein Level mit Kiew (Ukraine) gefallen und liegt noch knapp vor Bukarest (Rumänien) und Bratislava (Slowakei). Europas Luftfahrt-Spitzenreiter London bietet derzeit 155 Langstreckenziele, von Paris aus können 137 Fernziele direkt angeflogen werden. Selbst Dublin (27 Langestrecken) und Kopenhagen (22) haben deutlich mehr Interkontinentalflüge.

An dieser für die Hauptstadt eines der wichtigsten Industrieländer der Welt demütigenden Situation wird sich so bald kaum etwas ändern. Vor allem, weil Deutschlands größte Airline, die Lufthansa (LH), ihrem einstigen Gründungsort die kalte Schulter zeigt. Zwar werden etliche Male am Tag die Drehkreuze Frankfurt am Main und München angeflogen, doch Langstreckenflüge mit LH-Code gibt es seit März nicht mehr. Damals stellte die Lufthansa nach nur fünf Monaten die einzige von Air Berlin übernommene Langstrecke, den Abendflug von Tegel zum New Yorker JFK-Airport, sang- und klanglos ein. Eine zuvor versprochene Weiterführung des Angebots durch die LH-Tochter Eurowings wurde gar nicht erst versucht.

Doch als wenn das Desinteresse nicht reicht, streut die Lufthansa jetzt auch noch Salz in die offenen Wunden der Hauptstädter. Im aktuellen „Politikbrief“, der an Bundestagspolitiker, Konzernvorstände, Luftfahrtjournalisten und Reise-Experten im In- und Ausland versandt wird, bekommt Berlin attestiert, „kein Markt für Langstreckenflüge“ zu sein. Die Lufthansa-Group habe wiederholt versucht, ab Berlin Langstreckenflüge direkt anzubieten. „Doch es rechnet sich derzeit nicht“, so das vernichtende Urteil.

Noch im Oktober vorigen Jahres, direkt nach dem Air-Berlin-Aus, sah das noch etwas anders aus. Im Interview mit der Berliner Morgenpost kündigte Lufthansa-Vorstand Harry Hohmeister nicht nur an, ab 8. November fünf Mal pro Woche nach New York zu fliegen. „Ja, wir denken auch über neue interkontinentale Verbindungen nach“, sagte der Lufthansa-Vorstand damals.

Lufthansa unterhält keine Strecke aus Prestigegründen

Davon ist nun nicht mehr die Rede. Es gebe in der Hauptstadt keine Zen­trale eines Dax-Konzerns sowie zu wenige Industriekonzerne und damit wenige Geschäftsreisende, die teure Tickets für die Business-Class kaufen. Und: Die Lufthansa Group unterhalte keine Strecke aus Prestigegründen, Rentabilität sei unerlässlich, so die Rechtfertigung. Und im Übrigen gebe es keine andere Airline, die auch nur annähernd so viele Passagiere von Berlin zu Zielen jenseits Europas befördere. Rund 870.000 seien es im Vorjahr gewesen, damit mehr als jeder Vierte aller Fernstrecken-Fluggäste ab Berlin. Mit dem kleinen Haken: Die Passagiere mussten dafür mindestens einmal in einem der Lufthansa-Group-Drehkreuze, also in Frankfurt, München, Wien, Zürich oder Brüssel umsteigen.

Für Burkhard Kieker, Chef von der Marketinggesellschaft Visit Berlin, ist der Lufthansa-Politikbriefs, der an rund 10.000 Entscheider in der gesamten Branche gehe, rufschädigend. „Kein Interesse zu haben, ist das eine. Aber mit so einem Urteil kann eine Destination regelrecht totgeredet werden.“ Zudem es aus seiner Sicht auf Aussagen beruht, die nicht zuträfen. Etwa das angeblich fehlende Aufkommen an zahlungskräftigen Passagieren. Laut Kieker ist die Zahl der Fluggäste, die bei Flügen von und nach Berlin die Business- oder First Class buchen, von 225.000 (2013) auf 271.200 vom Vorjahr gestiegen. Jedes Jahr gebe es da einen Zuwachs von neun bis elf Prozent. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) ist enttäuscht über die Lufthansa-Absage an Berlin: „Mit Frankfurt und München hatte die Lufthansa ja bereits zwei Drehkreuze und war offensichtlich nicht an einem dritten interessiert“, so ihr Erklärungsversuch. Aber: „Wenn die Lufthansa nicht fähig ist, Berlin mit Langstrecke zu bedienen, dann gibt es durchaus andere Airlines, die das können und wollen“, so Pop.

Auch die IHK sieht einen Markt für Langstrecke ab Berlin

Auch IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder teilt die Aussage, Berlin sei kein Markt für Langstrecken, nicht. „Der fokussierte Blick auf die Standorte der Dax-30-Zentralen greift zu kurz. Nicht nur die seit Jahren überdurchschnittliche prosperierende Wirtschaftskraft und der hohe Internationalisierungsgrad der Berliner Industrie sprechen eine andere Sprache.“ Berlin sei die Hauptstadt der größten und wichtigsten Volkswirtschaft als auch der wissenschaftliche Hotspot Europas. Folglich würden zu den Geschäftsreisenden nicht nur Unternehmensvertreter, sondern auch internationale Politiker, Botschaftsvertreter, Wissenschaftler gehören.

Erst kürzlich konnten die Berliner Flughäfen mit Scoot eine Airline gewinnen, die Direktflüge nach Singapur anbietet. Der Golf-Carrier Emirates will schon seit Langem in Berlin landen. Das wird allerdings vom CSU-geführten Bundesverkehrsministerium bislang verhindert. Am Flughafen München hat die Lufthansa übrigens ihr Langstreckenangebot gerade kräftig aufgestockt.