Berlin/Brandenburg. Berlin ist verliebt. Seit Mittwoch lässt sich das auch mit Zahlen belegen. Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg verzeichnete im Jahr 2017 so wenig Scheidungen in Berlin wie seit 26 Jahren nicht mehr. Insgesamt wurden 6070 Ehen geschieden, 2,9 Prozent weniger als im Vorjahr.
Nach Angaben der Statistiker sei zudem nicht das „verflixte siebte Jahr“ besonders anfällig, sondern das achte Ehejahr, das mit einer Scheidungsrate von 6,7 Prozent an der Spitze liegt. Etwa 68 Prozent der Scheidungspaare sind deutsch, bei 23,1 Prozent hatte ein Partner eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit. 103 Scheidungen betrafen türkische Paare.
Doch auch Brandeburg bleibt sich treu. Mit 4445 Scheidungen hat das Land seinen Vorjahreswert um 5,2 Prozent unterboten. Die meisten Scheidungen gab es im Landkreis Oberhavel mit 432, die wenigsten in Frankfurt (Oder) mit 93.
Das sich immer weniger Leute scheiden lassen, sei ein Trend, der schon seit einiger Zeit bemerkbar ist, sagt Julia Bellabarba, Psychologin und ausgebildete Paar- und Sexualtherapeutin mit Praxis in Mitte. Warum die Berliner Ehen seit Jahren immer stabiler werden, lässt sich allerdings schwer ergründen. Eine Vorstellung findet Bellabarba aber besonders sympathisch: „Mittlerweile spielen Konzepte wie Nachhaltigkeit auch in Partnerschaften eine immer wichtigere Rolle.“
Typische Muster bei Ehestreits
Ob Nachhaltigkeit gerade im Trend ist, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen. Trendunabhängig sind allerdings die typischen Muster der Auseinandersetzungen innerhalb der Beziehung: „Die Angst, nicht akzeptiert zu werden oder die Angst, übergangen zu werden, also die Dinge, die hinter den Konflikten stehen, haben sich kaum verändert“, sagt Bellabarba. Obwohl sie sehr viele Paare betreue, die nicht aus Deutschland kommen, habe sie den Eindruck, dass die Themen fast immer dieselben sind und sich in den vergangenen 20, 30 Jahren kaum verändert haben.
Nur die Anlässe sind heute andere: Heute gebe es öfter Streit, wenn der Partner einmal im privaten Facebook-Profil des Anderen geschnüffelt habe. Auch die typische Zeitung, hinter der sich Partner bei Konfliktsituationen gerne verstecken, wurde heute durch das Tablet ersetzt. „Aber die zugrunde liegende Verzweiflung der Menschen in Ehen und Partnerschaften bleibt immer gleich“, sagt die Paartherapeutin.
Auch seien die Ansprüche an den Partner in den letzten Jahrzehnten immer größer geworden: „Viele Menschen haben die Hoffnung, die Partnerschaft allein sollte uns glücklich machen. Diesen Anspruch so zu realisieren, führt oft dazu, dass am Ende die Enttäuschung sehr groß ist. Daraus folgt dann schnell der Gedanke: ,Muss ich mir das antun?’“, sagt Bellabarba. Gegen diesen Trend sprechen glücklicherweise die Zahlen der Berliner Statistiker. Es gibt immer mehr Menschen, die versuchen ihre Ehen zu retten, auch wenn sie merken, dass die Ehe sie nicht ununterbrochen glücklich macht, erklärt die Therapeutin.
Die Eheberaterin gibt Hinweise, die Pärchen helfen können, auch schwierige Phasen gut zu überstehen, um eine Scheidung vermeiden zu können.
Konflikte sind unvermeidbar
Wenn wir uns einen Partner suchen, dann wählen wir zwangsläufig eine bestimmte Menge an Konflikten, sagt Bellabarba. Die Idee der Seelenverwandtschaft ist äußerst gefährlich, weil sie suggeriert, die Ehe müsste von vorn herein konfliktfrei bleiben. Diese Annahme hänge oft mit unrealistischen Erwartungen an Liebe und Partnerschaft zusammen.
Zudem seien fast 70 Prozent der Konflikte in Partnerschaften unlösbar. Diese Zahl betrifft sowohl die langfristig glücklichen als auch die langfristig unglücklichen Paare: „Das ist eine sehr schöne Zahl. Manche verzweifeln daran, manche finden das aber auch beruhigend zu wissen“, sagt Bellabarba. Zu wissen, dass manche Konflikte sowieso unlösbar sind, kann helfen sich mehr auf die Liebe zu konzentrieren. „Manchmal ist nicht das Problem das Problem, sondern der Versuch einer Lösung das Problem“, erklärt die Therapeutin.
Viele Paare verzweifeln an dieser Vorstellung, weil sie denken, sie haben den falschen Partner. Das hat oft eine Trennung zur Folge „um dann in der nächsten Partnerschaft genau dasselbe zu erleben“, sagt Bellabarba. Das liegt an den oft zu romantischen Vorstellungen, die nichts mit der Realität zu tun haben.
Ehen werden von alleine schlechter
Wenn man erst mal einen Partner gefunden hat, der zu einem passt, dann reicht es langfristig trotzdem nicht für das Eheglück. „Partnerschaft und Ehe braucht, auch wenn sich das jetzt vielleicht nicht so romantisch anhört, Investition. Die geht in der Regel verloren, wenn Partner Kinder haben“, meint die Expertin. Es sei wichtig, dass beide Partner merken, dass sie ihrer Liebe etwas schulden. Man stehe in der Verantwortung, sich um etwas zu kümmern, was früher einmal als Geschenk wahrgenommen wurde.
Kleine Dinge sind entscheidend
Einmal im Jahr drei Tage ein romantisches Wochenende im Wellness-Hotel oder ein gemeinsamer Trip nach Paris reichen nicht aus. Das habe so gut wie überhaupt keine Wirkung. „Das sind ,Produkte‘ die uns mit einem bestimmten Versprechen angeboten werden“, erklärt die Psychologin. Scheinbar triviale, kleinteilige Dinge aus dem Alltag, die gegenseitige Wertschätzung zeigen, spielen eine viel größere Rolle. Die kleinen täglichen Gesten seien das Rezept, die Ehen langfristig stabilisieren.
Jeder ist für sein eigenes Glück verantwortlich
„Wir sind in dem Maße in unserer Partnerschaft glücklich, indem wir selbst Verantwortung für unser Glück tragen“, sagt Bellabarba. Der Partner könne einen selbst nicht automatisch glücklich machen. „Wenn man mit sich selbst oder der Arbeit unzufrieden ist, dann ist das erst mal ein Problem, was wir auch selbst in Angriff nehmen müssen“, erklärt die Psychologin. Der Partner werde sonst maßlos überfordert. Gerade als verheiratetes Paar, falle das natürlich nicht so leicht. „Da sollten wir uns daher sehr genau überlegen, was man selbst, nach wie vor, braucht, um ausgeglichen, stabil und zufrieden zu sein. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt“, fügt Bellabarba hinzu.
Einer der wichtigsten Ratschläge, die Pärchen beherzigen sollten, ist die Betonung des Worts „gemeinsam“. „Es geht um die gemeinsame Liebe. Es geht darum, herauszufinden, was die gemeinsame, ganz persönliche Art zu lieben ist“, sagt Bellabarba.
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