Berlin. Die Hauptstadt hat neben Bayern die schlechteste Quote. Deutschlandweit sind mehr als 175.000 Täter flüchtig.

In Berlin werden mehr als 8500 Menschen mit Haftbefehl gesucht. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg und Canan Bayram (Grüne) hervor, die der Berliner Morgenpost vorliegt. Deutschlandweit gibt es mehr als 175.000 offene Haftbefehle.

Hochgerechnet auf 100.000 Einwohner ist Berlin damit Schlusslicht im Ländervergleich. Überraschend liegt Bayern mit 29.113 offenen Haftbefehlen auf dem vorletzten Platz. Was die absoluten Zahlen betrifft ist Nordrhein-Westfalen mit 31.407 offenen Haftbefehlen das Schlusslicht in der Länder-Tabelle. Die 112-Seiten-Auswertung der Bundesregierung hat den Stichtag 31. März 2018. Im Vergleich zum Vorjahr waren es deutschlandweit noch 12.000 offene Haftbefehle weniger.

Für Berlin ist das Datenmaterial besonders interessant. Denn: Im August 2017 hatte die Berliner Justizverwaltung auf eine kleine Anfrage des CDU-Fraktionsvorsitzenden Burkard Dregger mitgeteilt, dass man über offene Haftbefehle keine Statistiken habe. Die Zahlen der Bundesregierung beweisen das Gegenteil.

4400 politisch motivierte Straftäter werden gesucht

In der Statistik werden alle Arten von Kriminalität erfasst. Auch Ersatzfreiheitsstrafen fließen in das Zahlenwerk ein. Diese machen ebenfalls einen Großteil der offenen Haftbefehle aus. Genaue Erhebungen gibt es hier allerdings nicht. Ersatzfreiheitsstrafen werden fällig, wenn beispielsweise eine vom Gericht verhängte Geldstrafe nicht bezahlt wird. Das ist häufig bei Schwarzfahrern der Fall.

Allerdings sind unter den offenen Haftbefehlen auch 4411 mit einem politisch motivierten Tathintergrund, wobei 144 dem linken Spektrum, 594 dem rechten Spektrum und 3151 einem religiösen Tathintergrund zugeordnet werden. Die hohe Zahl der offenen Haftbefehle mit religiösem Tathintergrund lässt sich damit erklären, dass in diese Statistik auch Personen einfließen, die zur EU-weiten Fahndung ausgeschrieben sind.

Bei der Grünen-Abgeordneten und ehemaligen Polizistin Irene Mihalic sorgen die Daten für Unverständnis. „Die Zahl der nicht vollstreckten Haftbefehle sollte den Bundesinnenminister daran erinnern, was seine Aufgabe ist. Gerade auch die Bundesbehörden stehen in der Verantwortung, dazu beizutragen, dass Personen, die wegen besonders schwerer Taten gesucht werden, auch zeitnah gefasst werden können“, sagte Mihalic der Berliner Morgenpost. Man erwarte vom Minister ein Konzept, wie er dem offensichtlichen Vollstreckungsdefizit begegnen werde, sagte die Grüne weiter.

Auch bei der Gewerkschaft der Polizei Berlin (GdP) sorgen die Zahlen für Entsetzen. „Es kann niemandem gefallen, dass mehr als 8000 offene Haftbefehle auf Berlins Straßen herumlaufen und so wissentlich die Sicherheit gefährdet wird“, sagte GdP-Sprecher Benjamin Jendro. Natürlich rede man dabei nicht nur über Intensivtäter und Schwerverbrecher. „Aber wir brauchen uns nicht zu wundern, dass sich Menschen nicht an Gesetze halten, wenn die Rechtsstaatlichkeit aus verschiedenen Gründen nur rudimentär umgesetzt wird“, so Jendro weiter. Die Gewerkschaften fordern schon lange mehr Personal und bessere Technik für die Berliner Polizei. Da Berlin rasant wachse, müsse auch die Polizei Schritt halten.

Doch in Berlin gibt es andere Pläne, wie die Zahl der offenen Haftbefehle gesenkt werden soll. Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hatten sich wiederholt dafür ausgesprochen, das Schwarzfahren zu entkriminalisieren. „Justiz und Polizei müssten sich um wichtigere Dinge kümmern“, heißt es dazu aus der Innenverwaltung. Denn bei vergleichsweise kleinen Delikten investieren die Strafverfolgungsbehörden wenig Aufwand, um offene Haftbefehle zu vollstrecken. So kann es sein, dass einzelne Haftbefehle über Monate im System bleiben.