Kaum jemand hat einen so guten Überblick über das Wirtschaftsgeschehen in Berlin wie der Chef der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB). Egal ob Start-ups, Wohnungsbauförderung oder der Flughafen BER, Jürgen Allerkamp ist überall involviert. Jetzt steigt die IBB auch in die Finanzierung von Sozialunternehmen ein.
Für die Einwohner Berlins wird Wohnen immer teurer. Sehen Sie eine Grenze erreicht?
Jürgen Allerkamp: Das ist eine besorgniserregende Entwicklung, insbesondere im preiswerten und mittleren Segment. Da zeigt der Trend laut unserem Wohnungsmarktbericht nach oben, und das macht uns zu schaffen. Wir glauben allerdings, dass im oberen Preissegment bei 14 Euro pro Quadratmeter die Decke im Moment erreicht ist. Bei diesen Immobilien sehen wir keine weiteren Preiserhöhungen. Das zeigt auch, dass in Berlin offenbar eine natürliche Obergrenze erreicht ist. Für die deutsche Hauptstadt ist das eine gute Nachricht – und ein Unterschied zu europäischen Metropolen wie London, Paris oder Rom.
Allerdings hat Berlin noch Nachholbedarf, was die Höhe der Einkommen angeht.
Ja, die Sozialstruktur von Berlin ist immer noch nicht vergleichbar mit Hamburg, München oder auch Paris. Wir haben zwar gestiegene Einkommen, aber der Durchschnittsverdienst ist immer noch moderat. Das liegt auch daran, dass in Berlin zum Beispiel große Konzernzentralen fehlen.
Die gestiegenen Preise sind auch ein Hindernis für junge Unternehmen. Firmen beklagen zudem die Konkurrenz zwischen Gewerbe und Wohnen. Wie ist der Konflikt zu lösen?
Der Wettbewerb zwischen Wohnen und Gewerbe um Flächen ist schärfer geworden. Das ist ein echtes Dilemma und wir müssen sehen, dass wir beidem gerecht werden. Die Entwicklung zeigt auch, dass die Zeit der erschwinglichen Flächen zu Ende geht. Hier und da gibt es zwar noch Reserven, aber nicht immer in den Gebieten, wo alle hin möchten. Die Verwaltung ist gefragt, neue Flächen zu entwickeln und auch wir als IBB werden uns Gedanken machen, wie wir die Erschließung von Gewerbeflächen fördern. Da haben wir noch keine konkrete Idee, aber wir wollen uns verstärkt einbringen.
Gibt es eine Möglichkeit, dass Gewerbe und Wohnen stärker zusammenwachsen?
Ich glaube, dass das freundliche Zusammenspiel von Gewerbe und Wohnen wieder möglich wird. Und das sollte die Politik auch unterstützen. Heute ist eben ein Betrieb keine Gesenkhämmer-Schmiede mehr, in der es kracht und stinkt. Heute ist Gewerbe manchmal auch eine Schaltzentrale, etwa ein Büro für Logistik oder ein Fertiger, der mit 3-D-Druckern arbeitet. In der Digitalisierung sehe ich eine große Chance, Wohnen und Gewerbe miteinander zu versöhnen und auch wieder stärker zusammenwachsen zu lassen.
Es gibt Leute, die sagen, dass durch die Digitalisierung mehr Jobs verloren gehen als neue entstehen. Wie ist das in Berlin?
Weil wir kein großer Industriestandort sind, ist Berlin in einer besonderen Situation. Durch die vielen kleinen Mittelständler und pfiffigen Start-ups wird uns die Digitalisierung mehr neue Jobs bringen. Davon bin ich überzeugt. Die Prognosen der IBB-Volkswirte sagen im Übrigen auch, dass der digitale Wandel der Stadt mehr Arbeitsplätze bringen wird. Erst von einem Jahr hatten wir unsere Prognosen korrigiert und hochgeschrieben, weil das Wachstum hier in den letzten Jahren noch stärker als erwartet war. Für Berlin wird Digitalisierung eine Erfolgsgeschichte sein.
Haben Sie die Befürchtung, dass Berlin irgendwann mal den Status als Start-up-Hauptstadt verspielen könnte?
Null. Ganz und gar nicht.
Warum?
Es gibt in Deutschland keine andere Stadt, die so attraktiv ist wie Berlin. Die Stadt zieht Talente an, nicht nur, weil es noch immer vergleichsweise bezahlbaren Wohnraum gibt, sondern auch, weil das Kulturangebot so reichhaltig ist und auch viele andere intelligente Menschen schon hier sind. Trotz der mitunter schwieriger werdenden Rahmenbedingungen gibt es eine Stadt wie Berlin kein zweites Mal in Deutschland. Da können sich andere Städte noch so anstrengen.
Die Industrie- und Handelskammer hat vor einigen Wochen Zahlen vorgelegt, wonach seit 2013 etwa 3700 Unternehmen aus Berlin weggezogen sind. Wieso gehen so viele Firmen weg aus Berlin?
Das ist schade und wir müssen noch mehr tun, um die Firmen hier zu halten. Gleichwohl entsteht seit Jahren in Berlin mehr Beschäftigung, das heißt diese Abgänge werden mehr als kompensiert. Der Grund für Abwanderung ist häufig, dass etwa Erweiterungsinvestitionen entweder aus räumlichen oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr funktionieren. Es ist noch nicht dramatisch, aber wir müssen bei der Bestandspflege noch mehr und noch früher aktiv werden. Da macht Berlin Partner bereits einen sehr guten Job. Allerdings ist es auch so, dass wir uns am Ende eines schon sehr, sehr langen Super-Zyklus bewegen. Dieses Jahr werden die Wachstumsraten mit um die drei Prozent noch gut sein, aber in 2019 ist dann sicherlich der Höhepunkt erreicht und der Zuwachs wird geringer.
Viele Unternehmen begreifen die hiesige Verwaltung als Hindernis. Können Sie das verstehen?
Ich kann das Lamentieren verstehen, niemand möchte monatelang auf seinen Pass oder Führerschein warten müssen. Da ist auch Berlin momentan besonders bescheiden aufgestellt. Das Problem ist vor allem die Dezentralität der Verwaltung. Fast jedes Bezirksamt verwendet ein anderes IT-System. Aber selbst wenn ich eine Baugenehmigung habe, ist es richtig schwer geworden, einen Unternehmer zu finden. Das gilt für die öffentliche Hand besonders. Wir müssen Unternehmen im Bau-Segment und im baunahen Segment jetzt ermutigen, ihre Kapazitäten aufzustocken. Das haben viele noch nicht getan und arbeiten stattdessen an der Kapazitätsgrenze. Wir dürfen nicht müde werden, zu sagen, dass Berlin vor einem Jahrzehnt der Investitionen steht und dass der Boom der Baubranche keine Eintagsfliege ist. Die öffentliche Hand hat die Mittel reserviert und hat sich zu den Plänen bekannt.
Verzweifelt auch die IBB manchmal an der Berliner Verwaltung?
Verzweifeln nicht, aber es gibt sich Verbesserungsmöglichkeiten: Zum Beispiel können unsere Kunden zwar heute Anträge online bei uns stellen. Dennoch muss die letzte Seite ausgedruckt und unterschrieben werden. Wir sind optimistisch, dass wir zusammen mit den Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Finanzen einen Weg finden, damit unsere Kunden voll digital ihre Anträge stellen können.
Die IBB ist ja auch beim BER einer der großen Finanziers. Warum fällt es der Flughafengesellschaft so schwer, private Banken zu finden?
Zunächst müssen sich die Eigentümer über die Finanzierungsform einigen: will ich die Finanzierungsfragen durch Eigenkapital lösen oder will ich das durch Fremdkapital machen. Beides hat Vor- und Nachteile. Da müssen sich die drei Eigentümer finden. Der Prozess scheint mir gerade im Gange zu sein. Für Banken ist die Finanzierung auf Blanko-Basis zeitaufwendiger als eine, die staatlich garantiert ist. Die Banken müssen sich wesentlich tiefer in die Business-Pläne einarbeiten. Die Zahlen des Flughafens sind gut und die Prognosen, wenn der Flughafen eröffnet ist, sind angesichts der wachsenden Stadt vielversprechend.
Sehen Sie durch die durch die USA erhobenen Zölle auf Aluminium und Stahl Auswirkungen auf Berlin?
Was zurzeit passiert ist wirtschaftspolitisch schrecklich. Wenn jetzt wechselseitig überall Zölle erhoben werden, ist das überall schlecht für nachhaltiges, wirtschaftliches Gedeihen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir uns mit mutigen Antworten einen Gefallen tun. Die EU sollte eher eine Politik der kleinen Nadelstiche verfolgen, so wie China es handhabt. Da die Industrie in Berlin aber einen relativ geringen Anteil an der Gesamtwirtschaft ausmacht, macht uns das insgesamt etwas weniger angreifbar. Das ganze Desaster ist so für Berlin weniger relevanter als etwa für das Ruhrgebiet.
Die IBB will jetzt soziale Unternehmen fördern. Was steckt hinter diesem Plan?
Wir haben erkannt, dass es zunehmend Unternehmen gibt, die eben nicht nur auf Gewinnmaximierung aus sind, sondern auch von anderen Dinge angetrieben werden. Die Unternehmen firmieren häufig als Vereine oder gemeinnützige GmbH, die wir bislang noch nicht bedienen dürfen. Denen möchten wir uns stärker widmen. Wir möchten diese Unternehmen nicht ausschließen. Das sieht im Übrigen auch die Koalitionsvereinbarung des rot-rot-grünen Senats vor. Im ersten Schritt wollen wir unsere ganz normalen Kredit-Produkte öffnen. Das ist kein neuer Geschäftsbereich, sondern wird bei der Wirtschaftsförderung mit bearbeitet.
Bedeutet das, dass kleine und mittlere Unternehmen jetzt mit den sozialen Firmen um Förderungen buhlen müssen?
Nein! Aus diesem Grund öffnen wir auch zunächst unsere normalen Produkte, die am Kapitalmarkt refinanziert werden. Bei denen besteht die Gefahr um das Buhlen von Fördertöpfen ohnehin nicht. Bei den anderen Fragen stehen wir im engen Austausch mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft. In Summe wird das neue Geschäft mit sozialen Unternehmen in der IBB aber einen Anteil von weit unter zehn Prozent ausmachen. Das wird die ganz normale gewerbliche Wirtschaft überhaupt nicht tangieren.
Unternehmer stellen Berlins Politik schlechtes Zeugnis aus
Gefährliche Anzeichen für die Berliner Wirtschaft
Berlin will soziale Firmen fördern