Für die Mitglieder des Untersuchungsausschusses des Abgeordnetenhauses zur Aufklärung des Behördenhandelns im Fall des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri ist das Gesamtbild unvollständig. Denn sie haben die Akten der Bundesanwaltschaft bislang nicht eingesehen. Jene oberste Ermittlungs- und Anklagebehörde des Bundes ermittelt zur Aufklärung der Umstände des Anschlags vom 19. Dezember 2016. Die Untersuchungen dauern an. Aus Sicht des Ausschusses liegt hier das Problem. Denn Akten zu laufenden Ermittlungsverfahren müssen von der Behörde nicht freigegeben werden.
Nun hat der Ausschuss einen Weg gefunden, um die Schriftstücke doch für die Aufklärung nutzen zu können. Das Gremium reaktiviert dafür einen ausgewiesenen Experten, der schon einmal mit der Aufklärung im Fall Amri betraut war: den pensionierten Bundesanwalt Bruno Jost (69).
Vor rund einem Jahr untersuchte er den Fall im Auftrag des Senats. Nun wird Jost im Auftrag des Untersuchungsausschusses tätig und soll die auch für ihn bisher unbekannten Schriftstücke der Bundesanwaltschaft sichten. Das teilte der Ausschussvorsitzende Burkard Dregger (CDU) am Donnerstag der Berliner Morgenpost mit. Jost habe seine Arbeit am Montag dieser Woche aufgenommen. Vorgesehen sind zunächst drei Arbeitsmonate. Die Kosten trage das Abgeordnetenhaus.
Im Aktenstudium soll Jost Dokumente identifizieren, die für die Arbeit des Untersuchungsausschusses relevant sein könnten und Hinweise auf Versäumnisse der Behörden liefern könnten. Das Abgeordnetenhaus soll die Bundesanwaltschaft dann um die Freigabe dieser Aktenbestandteile bitten. Über die Freigabe entscheidet die Bundesanwaltschaft nach eigenem Ermessen. Einen rechtlichen Anspruch auf die Übermittlung der Akten haben die Parlamentarier nicht.
Die Volksvertreter könnten mit den Akten Erkenntnisse gewinnen, die in Dokumenten anderer Behörden fehlen. „Ich vermute, dass der Generalbundesanwalt etwa Ermittlungen zu möglichen Unterstützern im Ausland angestellt hat, die auch für uns von Interesse sein könnten“, sagte Dregger. Über Josts Zusage habe er sich sehr gefreut. Die Materie sei dem Juristen durch seine frühere Tätigkeit als Sonderbeauftragter des Senats bekannt. Durch seine einstige Tätigkeit als Bundesanwalt kenne Jost auch Abläufe der Behörde, deren Akten er nun untersuche.
Bei seiner Tätigkeit als Sonderbeauftragter des Senats hatte Jost bereits etliche Versäumnisse benannt. In seinem Abschlussbericht stellte er fest, dass die Behörden etliche Möglichkeiten, einen Haftbefehl gegen Amri zu erwirken, ungenutzt ließen. Jost hatte auch als erster auf die nachträgliche Manipulation von Akten bei den Ermittlungen zu Amris Drogenhandel aufmerksam gemacht.