Berlin. Mit der Stimme eines Geschichtenerzählers berichtet Gilbert Furian von seiner Verhaftung durch die Stasi 1985. Hinter ihm hängt das Dokument seiner Urteilsverkündung: zwei Jahre und zwei Monate Haft, weil seine Reportage über die Ost-Berliner Punkszene in den Westen gelangte. Seine gesammelten Akten, alles was die Staatssicherheit der DDR über ihn wusste, wird ab Sonnabend im Stasi-Unterlagen-Archiv an der Ruschestraße 103 in Lichtenberg öffentlich zu sehen sein. Die Ausstellung „Einblick ins Geheime“ soll Besuchern eine Vorstellung von der umfassenden Spionagearbeit des Geheimdienstes vermitteln.
Furians staatlich dokumentierte Lebensgeschichte steht stellvertretend für die unzähligen Menschen, die in der DDR akribisch überwacht wurden. „Als ich zum ersten Mal meine Akte gelesen habe, musste ich laut lachen. Die haben wirklich alles aufgeschrieben. Das war wie Kabarett!“, sagt der 74-Jährige und berichtet, wie die Stasi etwa seine Schlafenszeiten minuziös dokumentierte.
„Wir verstehen das Stasi-Unterlagen-Archiv als ein Monument des Datenmissbrauchs“, sagt Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU). Die Ausstellung will nicht nur auf die Schicksale vieler DDR-Bürger aufmerksam machen, sondern die Betrachter auch im Umgang mit ihren Daten sensibilisieren, so Jahn. So erfahren Besucher auch, dass „Fake-News“ keine Erfindung der vergangenen Jahre sind: „Es gab bei der Stasi eine Abteilung für Desinformation, um die Menschen in die Irre zu führen. Auch das sieht man in den Akten.“
Gilbert Furian, der damals noch Radulovic hieß, ist es nicht unangenehm, dass sein Privatleben der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Als Zeitzeuge berichtet er seit 1995 in der Gedenkstätte Hohenschönhausen von seinen persönlichen Erfahrungen. Wie zum Beispiel von seiner Verurteilung. Lothar de Maizière, letzter DDR-Ministerpräsident und CDU-Politiker, verteidigte ihn vor Gericht: „Ich bin Herrn de Maizière nicht böse, aber ich hätte auch einen Besenstiel zu meiner Verteidigung heranziehen können. Der Unterschied wäre nicht so groß gewesen.“ Das Urteil sei schon gefällt worden, bevor der Prozess begonnen hatte.
Der Zeitzeuge, der sich immer für ein „kleines Licht“ im Protest gegen den Staatsapparat gesehen hat, wundert sich bis heute über den Umfang seiner Überwachung. Er war nie in einer Oppositionsgruppierung: „Ich war nur einmal verliebt in eine Frau aus der Gruppe ,Frauen für den Frieden‘, aber das war auch meine einzige Verbindung zur organisierten Opposition. Das wurde merkwürdigerweise nicht festgehalten.“
Stasi-Zentrale, Campus für Demokratie, Haus 7, Ruschestr. 103, Lichtenberg, Mo.–Fr. 10–18 Uhr, Sbd.–So. 11–18 Uhr, Eintritt frei , einblick-ins-geheime.de
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