Nachfolge

Berliner CDU in der Krise: Die Rückkehr des Mario Czaja

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Andreas Abel und Joachim Fahrun
Der ehemalige Sozialsenator Mario Czaja könnte den frei werdenden Posten des CDU-Fraktionschefs übernehmen. Die Landeschefin hat aber andere Favoriten

Der ehemalige Sozialsenator Mario Czaja könnte den frei werdenden Posten des CDU-Fraktionschefs übernehmen. Die Landeschefin hat aber andere Favoriten

Foto: Reto Klar

Nach dem Rückzug von Fraktionschef Florian Graf sucht die Partei einen Nachfolger - an der Landeschefin Monika Grütters vorbei.

Berlin. Für Kulturstaatsministerin Monika Grütters war Freitag ein großer Tag. Bei einem Arbeitsbesuch in Paris wurde sie mit dem französischen Offiziersorden für Kunst und Literatur ausgezeichnet. Die Auszeichnung habe sie sehr bewegt. Die deutsch-französische Freundschaft sei mehr nur als eine Etikette, sagte Grütters anschließend.

In Berlin gestaltete sich die Lage für Grütters weniger rosig, denn sie ist auch Landesvorsitzende der CDU. Und ihre Partei steckte am Freitag in einer schwierigen Situation. Nachdem Florian Graf, Fraktionschef der CDU im Abgeordnetenhaus, am Donnerstagabend überraschend erklärt hatte, sein Amt Mitte dieses Monats aufgeben zu wollen, sah sich die Partei gezwungen, einerseits geordnet, andererseits schnell die Nachfolgefrage zu klären.

Dabei handelten die einflussreichen Kreisvorsitzenden dann, ohne die Landeschefin einzubinden. Auch Generalsekretär Stefan Evers, der sich selbst Hoffnungen auf den Fraktionsvorsitz gemacht hatte, weilte im Ausland.

Die Unions-Granden bewiesen ohne die Vorsitzende Handlungsfähigkeit und Chuzpe. Nachdem stundenlang die Stimmung scheinbar zwischen Ratlosigkeit und Sorge schwankte und die Telefondrähte glühten, organisierten einflussreiche Zirkel eine Mehrheit für Mario Czaja, den ehemaligen Sozial- und Gesundheitssenator. Der Mann aus Marzahn-Hellersdorf kann offenbar auf die Stimmen der Abgeordneten aus den meisten Kreisverbänden zählen, etwa aus Mitte, Steglitz-Zehlendorf, Tempelhof-Schöneberg, Spandau, Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg sowie aus mehreren Ost-Bezirken. „Die Kreisvorsitzenden haben eine Verantwortung“, sagte Kurt Wansner aus Friedrichshain-Kreuzberg, was durchaus als Spitze gegen Grütters verstanden werden darf.

Grütters war wegen Terminen in Paris nicht erreichbar

Die Landesvorsitzende sei ja in Paris wegen der vielen Termine schwer erreichbar gewesen, hieß es vielsagend. Möglicherweise liegt es auch daran, dass Mario Czaja dem Vernehmen nach nicht ihr Favorit war. Neben dem ehemaligen Senator wurden auch Stefan Evers, Fraktionsvize und Generalsekretär der Berliner CDU, sowie Burkard Dregger, Innenexperte der Fraktion, als mögliche Fraktionschefs genannt.

Aus berufenen Parteikreisen verlautet, Dregger wolle für das Amt kandidieren. Er genießt hohes Ansehen bei Monika Grütters. Zudem trauen ihm viele zu, dass er ihr die Entscheidung über die Spitzenkandidatur bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 überlassen würde: Will sie es tun, mache er sie ihr nicht streitig. Will sie nicht, stünde er als Spitzenkandidat bereit.

Aber auch für den Generalsekretär hätte aus Grütters Sicht viel gesprochen. Zum einen gilt er als ihr Vertrauter, zum anderen hätte sie so ein Pro­blem gelöst, das sich vor der Europawahl 2019 aufbauen könnte. Evers werden schon lange Ambitionen auf einen Sitz im EU-Parlament nachgesagt. Bislang hat er jedoch noch nicht offiziell seinen Hut in den Ring geworfen.

„Die Nachfolge werden wir gemeinsam beraten und professionell klären“, hatte Grütters am Donnerstagabend erklärt. Und noch am Freitagvormittag formulierten mehrere führende Unionspolitiker die Hoffnung, dass man die Entscheidung Anfang kommender Woche klären könnte. Dann aber setzten sich einflussreiche Kreisvertreter der CDU zusammen „und bündelten die Interessen“, wie es hieß. Jetzt könnte es zu einer Kampfabstimmung zwischen Czaja und Dregger kommen.

"Mario Czaja ist ein sehr, sehr guter Kandidat"

„Mario Czaja ist ein sehr, sehr guter Kandidat, der für diese Aufgabe und für unsere Stadt brennt und viele neue Ideen und Impulse geben wird“, sagte am Nachmittag Kai Wegner, Spandauer Kreischef der Union und Bundestagsabgeordneter. „Mario Czaja hat einen absoluten Gestaltungswillen. Und das ist die Voraussetzung, ein guter Fraktionschef und ein erfolgreicher Oppositionsführer in Berlin zu sein“, sagte Cornelia Seibeld, Vizekreisvorsitzende in Steglitz-Zehlendorf. Mittes Kreischef Sven Rissmann erklärte, Mario Czaja verfüge über reichlich Erfahrung und werde „sehr schnell Rot-Rot-Grün in die Enge treiben und eine Alternative für ein bürgerliches Berlin verkörpern“.

Der Bundestagsabgeordnete aus Tempelhof-Schöneberg, Jan-Marco Luczak, sagte, Czaja werde den rot.rot-grünen Senat treiben. Kurt Wansner aus Friedrichshain-Kreuzberg erklärte, die CDU habe „schnell handeln“ müssen, weil die Regierung so schwach sei. Falls das Bündnis vorzeitig zerbricht, müsse die CDU reagieren und einen Wahlkampf bestreiten können.

Mit der Kür von Czaja als Fraktionschef ist auch eine Vorentscheidung darüber verbunden, wer bei den nächsten Wahlen 2021 oder auch früher als Spitzenkandidat für die CDU antreten soll. Czaja werden schon länger Ambitionen nachgesagt, die Spitzenleute von SPD und Linken herauszufordern. Wie zu hören ist, wird erwogen, den Chefposten in der Fraktion, den Landesvorsitz und die Spitzenkandidatur in einer Person zu bündeln.

Wenn er am 12. Juni gewählt würde, dann wäre Mario Czaja der Mann, auf den diese Bündelung zuliefe. Monika Grütters hat viele in ihrer Partei mit ihrer Aussage verärgert, sie ringe noch mit sich, ob sie Regierende Bürgermeisterin werden wolle oder nicht. „Ich ­hätte gerne jemanden, der für die Stadt brennt“, sagte ein führender Christ­demokrat.

Dass Czaja in den Augen vieler Berliner wegen des Behördenversagens während der Flüchtlingskrise 2015/16 schwer vermittelbar sein könnte, will man in der CDU so nicht sehen. „Wenn es danach geht, dann müsste die Hälfte der jetzigen Senatoren abtreten“, sagte Neuköllns Kreischef Falko Lieke. Denn die Probleme seien nicht allein dem früheren Sozialsenator anzulasten.

Die Frage wird sein, ob Mario Czaja das größte Problem der Berliner CDU beheben kann. „Bisher will keiner mit uns regieren“, sagt ein Christdemokat. Der Partei fehlen Partner, die eine realistische Machtoption jenseits von SPD, Linke und Grünen ermöglichen.

Über Florian Graf fanden doch einige CDU-Leute unfreundliche Worte. Einfach so hinzuwerfen, ohne die Nachfolge geregelt zu haben, sei unprofessionell. Er hätte wenigstens bis zur Sommerpause warten können, heißt es.

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