Berlin. 6000 Anhänger der AfD ziehen am Sonntag durch Berlin. 25.000 Gegendemonstranten stellen sich ihnen entgegen.
Die Spree bildet den Riss ab, der ganz Deutschland trennt. Auf der Hauptbahnhof-Seite stehen gut 6000 aus ganz Deutschland angereiste AfD-Anhänger, viele mit Deutschlandfahnen und Anti-Merkel-Transparenten wie „Demokratie statt Merkulatur“. Am anderen Ufer wehen bunte Fahnen, Gegendemonstranten recken die Fäuste hoch, skandieren „Ganz Berlin hasst die AfD“ .
Der zentrale politische Konflikt des Landes ist im Regierungsviertel angekommen an diesem heißen Mai-Tag. Die rechte Oppositionspartei beweist, dass sie tatsächlich zu einer großen Demonstration mobilisieren kann. Aber die Erkenntnis ist auch eindeutig: Das Volk, das die AfD immer gerne für sich reklamiert, will in seiner großen Mehrheit nichts zu tun haben mit den Blauen, zumindest in Berlin. Die Polizei spricht von 25.000 Gegendemonstranten.

Tausende gut gelaunte Raver auf der Straße des 17. Juni, in Goldfolie gewickelte Aktivisten der „Glitzer-Demo“ und viele ganz normale Menschen an den von der Polizei gut gesicherten Querstraßen zur Demo-Route bevölkern die Mitte der Hauptstadt. Da erweist sich die Aussage einer AfD-Demonstrantin aus dem Weserbergland als Wunschdenken. „Wir sind die Deutschen und wir sind die Bürger“, sagt die Frau, die früher CDU wählte. Dann, so die Frau weiter, begann die Bundeskanzlerin, mit ihrer Flüchtlingspolitik „das Volk auszutauschen“. Seit der Flüchtlingskrise bricht sich die schlechte Laune vieler Bürger in zweistelligen Wahlergebnissen für die AfD Bahn.
Tausende in Berlin auf der Straße
„Angst für Deutschland“ hat ein kleiner Junge auf sein Transparent geschrieben und damit den Kontrast der Stimmungslage gut charakterisiert. Auf der einen Seite die AfD-Anhänger, die Deutschland am Abgrund wähnen, die Grenzen dicht machen wollen, gegen die „Lügenpresse“ polemisieren und prophezeien, bald werde „alles in Trümmern liegen“. Auf der anderen Seite lebenslustige Menschen, die „Schwoof statt doof“ auf ihre Plakate schreiben und den AfD-Leuten vorhersagen, ihre Kinder würden mal „genauso bunt wie wir“. „Wir sind Berlin, wir sind mehr“, ruft eine Frau von einem der Protestboote den AfD-Demonstranten auf der Marschallbrücke zu. „Volksverräter“, schreien ein paar Männer zurück.
Mehrheit besteht aus Bürgern, eher 60 plus als jünger
Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, als Demo-Beobachter unterwegs, wundert sich über die verschobene Wahrnehmung. 85 Prozent der Deutschen sagten, es gehe ihnen gut, so der Sozialdemokrat: „Und die sagen, dass alles zusammenbricht. Wie passt das zusammen?“ Sicher ist aus seiner Sicht eines: „Wir dürfen uns nicht an die AfD gewöhnen.“
Im Zug der Rechten sind einige junge Männer präsent, die sicherlich ebenso gut auf einem NPD-Marsch dabei sein könnten, obwohl irgendwelche Zeichen in dieser Richtung nicht zu sehen sind. Vorne läuft die Parteiprominenz, darunter Alexander Gauland, der Berliner Georg Pazderski und Beatrix von Storch, die an diesem Tag Geburtstag hat.

Die Mehrheit dahinter besteht aus Bürgern, eher 60 plus als jünger, denen die mangelnde Erfahrung mit Demonstrationen auf der Straße anzumerken ist. „Das gibt eine Dienstaufsichtsbeschwerde“, ruft ein Mann durch ein Megafon, als die Polizei die Fußgängerbrücke zwischen Hauptbahnhof und Kanzleramt blockiert. „Nazis raus“, schallt es dem Zug an jeder der durch Polizeiketten abgeriegelten Nebenstraßen entgegen. Und die Rechten drehen den Spieß um: „Nazis raus“, rufen sie auch. Vereinzelt zeigen sie das Rosa-Luxemburg-Zitat: „Freiheit ist stets die Freiheit des Andersdenkenden.“

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast ist froh, dass die Berliner so zahlreich reagiert haben und dass der Protest weitgehend friedlich verläuft. Es schwingt sogar Party-Stimmung durch Berlin-Mitte. An der Siegessäule liegt ein Gefühl der frühen Love-Parade in der Luft, Tausende Tänzer folgen bunt gestalteten Lautsprecherwagen der Berliner Musik-Clubs, die gegen die AfD mobilisiert haben. Auf der Spree herrscht Piratenstimmung, eine ganze Flottille von Protest-Booten ist ausgelaufen, um die AfD-Anhänger am Ufer mit Musik und Sprüchen zu beschallen.
Der „Schwarze Block“ geht im bunten Protest unter
Der „Schwarze Block“ hasserfüllter Linker ist jedenfalls kaum präsent an diesem Sonntag. Nur kleine Gruppen offenbar gewaltbereiter Demonstranten konterkarieren das Motto „Berlin bleibt bunt“.
Polizeieinsätze gibt es entlang der AfD-Route an der Reinhardtstraße und der Marienstraße sowie am Leipziger Platz. Hier stoppen die Beamten eine größere Gruppe, die von Kreuzberg aus zum Brandenburger Tor zieht. An allen drei Orten setzen die Einsatzkräfte Pfefferspray ein, es gibt einzelne Festnahmen. Jede Kreuzung, jede Einmündung entlang der AfD-Route ist durch Absperrgitter und Fahrzeuge abgeriegelt.

Oberstes Ziel der Einsatzleitung ist es, Blockaden der Strecke durch Gegendemonstranten um jeden Preis zu verhindern. „Schaffen es einzelne Gruppen erst mal, eine Kreuzung zu blockieren, wird es für uns schwierig, deshalb wollen wir es nach Möglichkeit gar nicht erst dazu kommen lassen“, sagt ein Polizeiführer. Nach Ende der Kundgebungen kommt es am Bahnhof Friedrichstraße zu kurzen Rangeleien zwischen Linken und der Polizei, die den Verlauf des Tages dennoch als friedlich einschätzt.
Konfrontationen zwischen Rechten und Gegendemonstranten gibt es kaum. Ein Dialog ist aber auch nicht möglich. „Wer zahlt eure Rente“, ruft ein älterer AfD-Anhänger mit Deutschlandfahne von der Brücke an der Wilhelmstraße den jungen Leuten zu, die am Flussufer auf sie schimpfen. „Zieht eine Burka an“, empfiehlt eine aufgeregte Frau. „Faschisten raus“, schallt es von unten hoch, ehe ein Polizist aus Nordrhein-Westfalen die Streithähne trennt.
Der AfD-Zug erreicht schließlich die Westseite des Brandenburger Tores. In Hörweite der wummernden Bässe der Demo-Wagen spricht Parteichef Alexander Gauland. Als ein Gegendemonstrant einen Laternenmast erklimmt und den ausgestreckten Mittelfinger zeigt, skandieren die AfD-Anhänger lautstark „Abknallen, Abknallen“. So weit will Redner Gauland offenbar nicht gehen. Er erklärt aber, es sei „bedauerlich, dass solche Menschen noch unter uns leben dürfen“.