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Mieterverein zu Besetzung: "Da hat sich viel Wut angestaut"

| Lesedauer: 5 Minuten
Martin Nejezchleba
Am Pfingstsonntag räumte die Polizei ein besetztes Haus in Neukölln. Die Aktivisten protestierten gegen spekulativen Leerstand und Wohnungsnot

Am Pfingstsonntag räumte die Polizei ein besetztes Haus in Neukölln. Die Aktivisten protestierten gegen spekulativen Leerstand und Wohnungsnot

Foto: imago stock / imago/Christian Mang

Die Hausbesetzer von Neukölln kämpfen gegen Leerstand, den es kaum gibt. Der Mieterverein versteht sie trotzdem. Ein Interview.

Berlin. Ist Hausbesetzung ein legitimes Mittel im Kampf gegen Miethaie und Wohnungsnot? Oder einfach nur kriminell? Seitdem linke Aktivisten am Pfingstsonntag kurzzeitig zwei Häuser in Kreuzberg und Neukölln besetzt hielten, streitet die rot-rot-grüne Landesregierung über diese Fragen. Die Opposition sieht da klarer. So wirft die CDU dem Senat vor, Rechtsbrüche zu unterstützen und vom eigenen Versagen in der Wohnungspolitik abzulenken. Aber was sagen eigentlich jene, für welche die Besetzer vorgeben zu kämpfen: Was sagen die Mieter? Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, verweist auch auf Rechtsbrüche auf Seiten der Eigentümer.

Mit den Hausbesetzungen vom Wochenende wollten die Aktivisten ein Zeichen gegen verfehlte Mietpolitik und Mietspekulationen setzen. Haben die Besetzer im Sinne der Berliner Mieter gehandelt?

Reiner Wild: In dem Objekt in der Bornsdorfer Straße in Neukölln haben sie auf jeden Fall auf einen Missstand hingewiesen, der heutzutage nicht mehr tragbar ist. Dass dort ein Wohnhaus mit rund 40 Wohnungen und Gewerbeeinheiten fünf Jahre leer steht, das geht nicht. Das ist auch nicht mit dem Verbot der Zweckentfremdung vereinbar. Hier wird die Einhaltung gesetzlicher Maßstäbe nicht hinreichend überprüft und das darf nicht sein. Aber wir wissen auch: Leerstand ist zwar nicht vertretbar, aber in der Masse in Berlin kein Problem.

Das sehen die Besetzer scheinbar anders. Sie sprechen von 100.000 leer stehenden Wohnungen. Im Wohnungsmarktreport der Unternehmen CBRE und BerlinHyp ist von einer Leerstandsquote von nur 1,1 Prozent die Rede. Was stimmt denn nun?

Es gibt keine aktuelle Leerstandstatistik. Die letzten verlässlichen Zahlen stammen aus der Volkszählung 2011. Seitdem ist der Leerstand stark zurückgegangen, das wissen wir. Dabei geht es um die normale Fluktuation, die einfach durch Um- und Auszüge entsteht. Gleichwohl: Bei teureren Eigentumswohnungen steht Wohnraum leer, weil die Besitzer zu einem späteren Zeitpunkt teuer verkaufen wollen. Aber Leerstand lohnt sich heute ja gar nicht. Bei der Wohnungsnot finden sie ja immer einen Mieter, auch zu horrenden Preisen. Was massenweise geschieht ist der Verstoß gegen die Mietpreisbremse oder Mieterhöhung über den Mietspiegel hinaus. Dagegen erhebt sich interessanterweise in manchen Fraktionen kein Protest.

Nun haben ein paar Dutzend linke Aktivisten das Heft in die Hand genommen und Hausfriedensbruch begangen. Der Eigentümer hat ihnen dafür Mietverträge für 6,50 Euro pro Quadratmeter angeboten. Stößt das nicht jene vor den Kopf, die sich teure Mietpreise nicht leisten können, aber keine Gesetze brechen?

Letztendlich glaube ich: Wenn auf Missstände hingewiesen wird, werden alle Mieter davon profitieren. Natürlich ist Hausfriedensbruch problematisch. Trotzdem ist der Hinweis der Besetzer wichtig und sollte politische Konsequenzen haben.

Aber Sie sagen doch, Leerstand ist nicht das entscheidende Problem. Welche Schlussfolgerung soll denn darauf folgen?

Das Verbot der Zweckentfremdung muss konsequenter angewendet werden. Warum muss ein Haus fünf Jahre leer stehen?

Neben dem Haus in Neukölln wurden auch Gewerberäume in der Reichenberger Straße in Kreuzberg besetzt. Die Polizei ging zeitweise von sechs weiteren besetzten Häusern aus – Scheinbesetzungen, wie sich später herausstellte. Werden diese Häuser auch zweckentfremdet?

Ich kenne nicht alle Objekte. Aber das Haus in der Odenwaldstraße/Ecke Stubenrauchstraße in Friedenau steht auch seit Jahren leer. Das ist ein wunderbares Mietshaus. Die Eigentümerin war aus persönlichen Gründen nicht in der Lage zu vermieten. Es handelt sich zudem um unterlassene Instandhaltung. Das Haus kann gar nicht bezogen werden. Diese Eigentümerin besitzt mehrere große Wohnhäuser in Berlin. Ich verstehe allerdings nicht, warum die Bezirksämter auch nach Inkrafttreten des neuen Zweckentfremdungsrechts nicht tätig geworden sind und keinen Treuhänder einsetzen.

Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) hat gesagt, sie könne die Motive der Hausbesetzer verstehen. Sehen Sie das genauso?

Da hat sich viel Wut angestaut. Klar ist aber, dass Hausbesetzungen die Wohnungsnot in Berlin nicht lösen werden. Aber wenn ich das richtig verstehe, ging es den Aktivisten nicht um die Befriedigung individueller Wohnbedürfnisse. Sie wollten gegen Missstände protestieren. Wenn Sie fragen, ob die Räumung richtig war, dann denke ich: In diesem Fall war das Räumen nicht sachgerecht. Die Berliner Linie, also das Räumen innerhalb von 24 Stunden, halte ich nicht für ausgereift. Es ist natürlich die Frage, wie man mit den Gesetzesverstößen umgeht. Aber es gab ja offensichtlich auch Gesetzesverstöße auf Seiten der Wohnungsbaugesellschaft. Darauf haben die Besetzer hingewiesen.

Die Besetzer haben Ihrer Meinung nach also ihr Ziel erreicht?

Zumindest wird die Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“, der das Haus gehört, jetzt vermutlich viel Tempo an den Tag legen, um das Haus zu sanieren.

Sind Hausbesetzungen also doch ein Mittel, um Probleme des Berliner Wohnungsmarkts zu lösen?

Nein. Die Probleme sind andere, das ist klar. Wir haben eine sehr hohe Nachfrage und viel zu wenig Wohnungen. Die Wohnungsnot lässt sich nur über Schutzinstrumente für jene lösen, die teurere Mieten nicht zahlen können. Und über Neubau preisgünstiger Wohnungen.

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