Berlin. Im schlimmsten Fall muss evakuiert werden. So wie Anfang des Monats. Da hatte jemand in Lankwitz ein Fahrrad auf die Gleise geworfen, die S-Bahn rauschte ungebremst darüber. Die Bilanz: zwei Stunden Sperrung, 250 evakuierte Fahrgäste, 15 Rettungskräfte und ein Hubschrauber am Himmel.
Vorfälle dieser Art sind bei der Berliner S-Bahn keine Ausnahme, sondern zunehmend die Regel. Das belegen zumindest Zahlen, die das Unternehmen am Donnerstag veröffentlichte. So kam es im vergangenen Jahr zu 247 sogenannten gefährlichen Eingriffen in den Bahnverkehr, bei denen die Bundespolizei ermittelte – ein Anstieg von mehr als zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Wir verzeichnen tatsächlich einen Anstieg“, sagte Jens Hebbe, Leiter der Betriebsplanung bei der S-Bahn, der Kundenzeitung „Punkt3“.
Zahl der Verspätungen steigt um fast die Hälfte an
Das Problem: Bleibt ein Zug wegen Vorfällen dieser Art stehen, wirkt sich die Verspätung auf das gesamte Netz aus. So summierten sich die durch die Polizeieinsätze verursachten Verspätungsminuten 2017 auf 183.000, was einer Steigerung von fast 50 Prozent gegenüber 2015 entspricht. Insgesamt rund 1000 Stunden mehr. Die Zahl betroffener Züge wuchs ebenfalls um fast die Hälfte auf 21.000 an. „Es wird sehr deutlich, dass die Auswirkungen auf das S-Bahnsystem erheblich sind“, so Hebbe. Sei das System erst mal zum Stehen gekommen, müsse es schrittweise wieder hochgefahren werden. Eine langwierige Angelegenheit.
Die Ursachen sind vielfältig. Neben Fahrrädern werden mitunter auch Einkaufswagen oder große Steine auf die Gleise geworfen. Zuletzt musste der Bahnhof Treptower Park wegen eines herrenlosen Koffers gesperrt werden. In vielen Fällen wird die Polizei auch eingeschaltet, weil Personen über die Gleise laufen oder Kinder dort spielen. Ende Januar wurden zwei Männer am Bahnhof Birkenstein bei Hoppegarten von einem Regionalzug überfahren, da sie im Versuch, noch die S-Bahn zu erwischen, die Schranken ignorierten und über die Gleise liefen.
„Wenn Menschen im Spiel sind, die in oder an den Gleisen unterwegs sind, droht Lebensgefahr“, sagt Polizeihauptkommissar Jens Schobranski. „Entsprechend groß ist der Aufwand und damit oftmals die Verspätung in solchen Fällen.“ Eltern müssten ihren Kindern klarmachen, dass Gleise keine Fotokulisse und kein Spielplatz seien.
Trotz Apellen steigen die Vorfälle an
Der Erfolg solcher Appelle dürfte aber weitestgehend verpuffen, seit Jahren weisen S-Bahn und Polizei darauf hin. Die Vorfälle steigen trotzdem an. „Wir können den Anstieg nicht wirklich erklären“, sagt S-Bahn-Chef Peter Buchner. Allerdings arbeite man derzeit an einem Bündel von Maßnahmen. So will man sich unter anderem besser mit der Bundespolizei abstimmen.
Wenn möglich sollen die Beamten, sobald Personen auf den Gleisen gemeldet werden, den Lokführer informieren, dieser soll dann langsam und „auf Sicht“ fahren. Hauptsache, der Zug bleibt nicht stehen. „Das ist dann der Super-GAU“, sagt Buchner. Trassen einzuzäunen, wie zuletzt in München geschehen, ist in Berlin offenbar keine Option. „Es gibt keine Hotspots, wo Menschen besonders oft die Gleise betreten“, so Buchner.
Millioneninvestition für mehr Pünktlichkeit
Wenn die S-Bahn zu spät kommt, ist die Ursache in der Mehrheit der Fälle allerdings hausgemacht. Auch Störungen an Weichen und Schranken nehmen zu, das 90 Jahre alte System ist an vielen Stellen hilflos überaltert. Vergangenes Jahr konnte die S-Bahn den vom Senat vorgeschriebenen Pünktlichkeitswert von 96 Prozent nur in zwei Monaten erreichen, im Jahr davor waren es immerhin noch fünf gewesen. Wobei die gefühlte Unpünktlichkeit sogar noch höher ist, da nur solche Fahrten in die Statistik kommen, die mit mindestens vier Minuten vom Fahrplan abweichen.
Wie berichtet, soll deshalb ein Millionenbetrag in ein Qualitätsprogramm fließen. 50 Mitarbeiter erarbeiten seit Monaten Strategien, wie die S-Bahn nach Störungen schnell wieder in den Normalbetrieb zurückfinden kann. Konkretes will Geschäftsführer Buchner gemeinsam mit Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) demnächst ankündigen. Eine Idee ist, dass sich die Türen der Züge an stark frequentierten Stationen nicht per Knopfdruck, sondern automatisch öffnen, was eine Traubenbildung der Fahrgäste vermeiden und die Wartezeit verkürzen soll.
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