Berlin. Microsoft-Sünden und Schlampigkeiten bestimmen Schriften im öffentlichen Raum. Das sollte der BVG und den Behörden peinlich sein.
Als Erik Spiekermann 1990 bei MetaDesign damit anfing, ein Leitsystem für den öffentlichen Nahverkehr im gerade wiedervereinigten Berlin zu gestalten, gab es weder im Westen noch im Osten verbindliche Vorgaben für die Gestaltung von Beschriftungen auf Bahnhöfen, Hinweisschildern oder Drucksachen.
Eine neue, eigens für die BVG gestaltete Schrift war die Antwort. Sie heißt Transit und ist eine Überarbeitung der Schrift, die der schweizerische Schriftgestalter Adrian Frutiger 1976 für den Flughafen Charles de Gaulle in Paris entwickelt hatte. Diese Schrift wurde im Laufe der nächsten Jahre auf allen neuen Hinweisschildern in den Bahnhöfen und an Haltestellen angebracht. Bestehende Beschriftungen, also die Bahnhofsnamen an den Wänden, die Teil der Architektur sind, sollten in den historischen Formen bestehen bleiben.
Auch wenn einige davon nicht gerade künstlerisch wertvoll erscheinen (zum Beispiel die sehr grob konstruierten Buchstaben am Halleschen Tor), so sind sie doch Zeugnis der gebauten Geschichte der Stadt mit all ihren Eigenarten, modischen Strömungen und Irrwegen. Nun werden nach und nach viele dieser alten Bahnhöfe renoviert. Die Bahnhofsnamen an den Wänden könnte man also nach historischem Vorbild – wie die Kacheln und die Farbgebung der Wände – wiederherstellen. Oder man nimmt die BVG-Schrift, die Transit, wie sie im gesamten Leitsystem angewendet wird, und gestaltet damit die Bahnhofsnamen.
Die Berliner und ihre Besucher hätten Besseres verdient
Ganz sicher nicht vorgesehen sind Buchstaben aus Systemschriften von Microsoft, wie sie jeder Laie im Schriftmenü seines Computers findet. Ein bemaltes oder mit Folie beklebtes Schild kostet nicht die Welt und wäre einfach zu ersetzen, anders als aufwendige Buchstaben aus Metall. Ob Verdana oder Arial: Diese Schriften gehören weder zur Marke BVG noch zu Berlin. Damit wird das Bild historischer Bahnhöfe auf lange Zeit zerstört. Es sollte der BVG und den zuständigen Baubehörden peinlich sein, ihre gestalterische Inkompetenz so deutlich für Jahrzehnte an diesen Wänden zu offenbaren. Andere öffentliche Bauten sind da nicht besser.
Offensichtlich sind weder Architekten noch Bauingenieure an Typografie und Schrift interessiert. Oft wirkt die Beschriftung der Gebäude wie ein nachträglich schnell aufgeklebter Zettel auf einem Paket mit bevorstehendem Verfallsdatum. Was ja auch ein Kommentar zur jeweiligen Architektur ist. Die Einsicht darin, dass Typografie und Schrift eine wichtige Rolle spielen, nicht nur in der täglichen Kommunikation, sondern auch in unserer visuellen Kultur, fehlt offensichtlich an vielen Stellen. Die Berliner und ihre Besucher hätten Besseres verdient. Die Geschichte typografischen Schaffens in Berlin geht trotz dieses Versagens weiter.
Wärme und Würde: "Dem deutschen Volke"

Der Architekt des Reichstags, Paul Wallot, hatte schon zur Fertigstellung des Gebäudes 1894 die Widmung bestimmt: „Dem deutschen Volke“, aber die Diskussionen darüber zogen sich hin. Erst 1915 ging der Auftrag zur Gestaltung des Schriftzuges an den Architekten und Industriedesigner Peter Behrens, der dafür seine Behrens-Schrift verwendete, die als Druckschrift schon 1901 bei der Schriftgießerei Klingspor in Offenbach erschienen war.
Für die Herstellung der 60cm hohen Buchstaben wurden zwei Kanonen eingeschmolzen. Der wilhelminische Prunkstil des Gebäudes und der Jugendstil der Schrift passen eigentlich nicht zusammen, aber die handgeschrieben wirkenden Großbuchstaben vereinen Wärme und Würde zu einem eindrucksvollen Schriftzug.
Groß und imposant: Bahnhof Potsdamer Platz

Ein Bahnhof unter der Erde muss sich nicht verstecken, wie es viele U-Bahneingänge in Berlin leider tun, sondern er kann groß und selbstbewusst auf sich hinweisen. Das imposante Stahlportal erinnert an die Nationalgalerie von Mies van der Rohe einige 100 Meter weiter nach Westen. Die breiten Großbuchstaben sind großzügig spationiert (wenn auch mit viel zu großen Wortabständen) und ebenso eindrucksvoll wie die Architektur des Gebäudes.
Geschmackloser geht es nicht: U-Bahnhof Mohrenstraße
Hier, am ehemaligen Bahnhof Kaiserhof (von 1987 bis 1991 Otto-Grotewohl-Straße), ist keine Rede von selbstbewusster Gestaltung oder gar gutem Geschmack. Das Gegenteil ist der Fall: Auf rötlichen Saalburger Marmor hat jemand metallene Einzelbuchstaben aus der Microsoft-Systemschrift Verdana geklebt. Banaler und geschmackloser geht es nicht.
Das H steht auf dem Kopf: U-Bahnhof Mehringdamm

Vor der Renovierung bestand der Bahnhofsname aus einfachen Großbuchstaben, wie sie in den 20er-Jahren üblich waren. Auf bescheidene Art monumental wie die Buchstaben am Hansaplatz, die bisher überlebt haben. Mit großem Aufwand wurden die beim ursprünglichen Bau des Bahnhofs verwendeten Materialien besorgt, aber bei der Schrift siegte die Faulheit: Schnell klickte irgendein Sachbearbeiter das Schriftmenü oben links an und wählte Arial, die Allerweltsschrift überhaupt. Weder historisch noch originell und schon gar nicht den Vorgaben des BVG-Leitsystems entsprechend. Noch dazu steht das H auf dem Kopf.
Microsoft-Sünde aus Arial: Bundesfinanzministerium

Noch eine Microsoft-Sünde aus Arial. Wenn man bedenkt, wie teuer solche Buchstaben aus Messing sind und welchen Aufwand ihre Montage an der Travertinfassade bedeutet, ist es unfassbar, dass sich niemand die Mühe gemacht hat, diesen historischen Ort durch eine angemessene Schrift aufzuwerten und bei der Gelegenheit auch eine besser lesbare Aufschrift herzustellen.
Einfach und überzeugend: U-Bahnhof Hansaplatz

So einfach wie überzeugend. Kleines Mosaik, abwaschbar, aber nicht ärmlich. Schlichte, schmale Großbuchstaben, großzügig spationiert und gut lesbar. Das passt zum Bahnhof im Hansaviertel aus den 50er-Jahren.
Ungelenk und viel zu fett: U-Bahnhof Hallesches Tor

Mit Zirkel und Lineal kann man keine Leseschriften konstruieren. Das hat die Lehrer am Bauhaus nicht abgehalten, ihre Studenten solche Übungen machen zu lassen. Dieser Schriftzug sieht aus, als habe ein Bauingenieur sich von diesen Skizzen anregen lassen. Die einzelnen Buchstaben sind ungelenk und viel zu fett, was die Innenräume sehr eng macht. Aber für so einen kurzen Begriff reicht es, gibt ihm eine eigene Identität. Als Systemschrift für die schnelle Wahrnehmung untauglich, hier in der fröhlichen Kombination von Hellrot und Hellblau unverwechselbar. Diesen Bahnhof vergisst man nicht.
Hinten linkisch, vorne offiziell: U-Bahnhof Gleisdreieck

Im Hintergrund der Bahnhofsname in einer geometrischen Grotesk, etwas linkisch-handgemacht und zum Gebäude passend. Im Vordergrund das Schild mit der neuen Schrift der BVG. Diese Schrift (FF Transit) erscheint auf allen Hinweisen und Drucksachen der BVG seit Anfang der 90er-Jahre.
Designkonferenz „TYPO Berlin“
Vom 17. bis zum 19. Mai findet im Haus der Kulturen der Welt die „TYPO Berlin“ statt, eine europäische Designkonferenz, die mit mehr als 1600 Teilnehmern und über 60 Sprechern zu den größten ihrer Art zählt. Auf ihr treffen sich Designer, Marken-Experten, Spezialisten für digitale Schriftarten und viele andere Kreative mehr. Die Berliner Illustrirte Zeitung, das Wochenend-Magazin der Morgenpost, hat diese Konferenz zum Anlass genommen, sich umfassend mit dem Thema Typografie zu beschäftigen.
Die komplette Sonderausgabe als PDF zum Download - hier.
Die gestalterische Federführung der Zeitung haben wir dabei Erik Spiekermann und Ferdinand Ulrich überlassen. Erik Spiekermann ist vieles in einem: Schriftgestalter,Typograf, Autor und Gründer von Designagenturen. Ferdinand Ulrich ist Typograf und Schrifthistoriker. Er betreibt Recherchen zur Geschichte der Typografie und arbeitet mit Spiekermann in der Galerie p98a.berlin als typografischer Gestalter.
Schrift liegt in der Berliner Luft