Berliner SPD

Mark Rackles: „Das Duo Müller-Saleh funktioniert nicht“

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Gudrun Mallwitz
Mark Rackles wünscht sich mehr Kommunikation innerhalb der SPD

Mark Rackles wünscht sich mehr Kommunikation innerhalb der SPD

Foto: Reto Klar

SPD-Vize-Parteichef Mark Rackles beklagt die Handlungsunfähigkeit der Berliner SPD in zentralen Fragen.

Berlin. Mark Rackles hat in einem Brandbrief seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur als stellvertretender Parteichef beim SPD-Parteitag am 1. und 2. Juni angekündigt. Die Berliner Morgenpost hat mit dem Parteilinken über den Zustand der SPD unter Michael Müller gesprochen.

Herr Rackles, warum wollen Sie nicht mehr Stellvertreter von Michael Müller im Landesvorstand der SPD sein?

Mark Rackles: Die SPD hat in den letzten Wahlen massive Einbrüche erlebt, und auf allen Ebenen wird über Erneuerung schwadroniert, nur für die Neuwahl des Landesvorstands schien keiner Veränderungsbedarf zu sehen. Als auf Vorschläge nicht reagiert wurde, habe ich für mich die Konsequenz gezogen. Mein schriftlicher Verzicht auf eine erneute Kandidatur als stellvertretender Landesvorsitzender hat ja immerhin etwas Bewegung ausgelöst.

Mittlerweile steht der Vorschlag für das Führungsteam.

Ja. Müller ist einstimmig vom Landesvorstand als Landeschef nominiert. Stellvertreter sollen Innensenator An­dreas Geisel und die Kreischefin von Marzahn-Hellersdorf, Iris Spranger, werden – und auf Vorschlag der Parteilinken zwei Neue: der Amtsrichter Julian Zado aus Mitte und die Abgeordnete Ina Czyborra aus Steglitz-Zehlendorf.

Ist das die von Ihnen angemahnte Erneuerung?

Es ist zumindest eine kleine Erneuerungschance.

Wie klein?

Ich hätte mir mehr vorstellen können. Es ist aber hilfreich, wenn weniger Mitglieder aus der Regierung im Geschäftsführenden Landesvorstand vertreten sind. Julian Zado ist Basismitglied und ein analytischer Kopf, und Ina Czyborra verstärkt die Schnittstelle zur Fraktion, was angesichts des Machtduos Müller/Saleh von Vorteil sein könnte.

Was macht die parteiinterne Konkurrenz zwischen Müller und Saleh und ihren beiden Lagern mit der Partei?

Die Partei hat auf eine lähmende Weise akzeptiert, dass Müller und Saleh sich gegenseitig blockieren. Die Berliner SPD ist damit in zentralen Fragen handlungsunfähig. Ich möchte nicht mehr Teil dieses faktischen Stillhalteabkommens sein. Wenn das so weitergeht, ist die SPD bald bei zehn Prozent, und wir sind alle mit Müller und Saleh Geschichte. Die Machtfrage muss in absehbarer Zeit entschieden werden. Das Schisma, also die Spaltung der Partei durch Michael Müller und Raed Saleh, muss beendet werden.

Unterstützen Sie Michael Müller?

Ja, ich unterstütze ihn. Der Landesvorstand hat Michael Müller einstimmig für den Landesvorsitz nominiert. Jedoch sind Saleh und Müller machtpolitisch ungefähr gleich stark in der Partei, was auch die Anhänger in den Kreisvorständen und Akteuren im Hintergrund betrifft.

Wie kann die SPD aus der verfahrenen Situation herauskommen?

Indem das derzeitige Stillhalteabkommen zwischen den Lagern um Müller und Saleh beendet wird. Müller wie Saleh müssen die Stadtthemen inhaltlich besetzen und beweisen, wer diese Stadt besser versteht, ihre Themen glaubwürdiger aufgreift und die Probleme löst. Der Regierende Bürgermeister hat da strukturell den Vorrang. Es reicht dann aber nicht, unabgestimmt in der SPD mal ein bisschen über Cannabis zu schwadronieren, wie es Raed Saleh tut, sondern da muss man große Themen aufrufen und sagen: Wir als SPD bieten ein Konzept.

Michael Müller war als Landeschef schon einmal abgewählt worden, weil er angeblich nicht genug kommunizierte. Hat sich also nichts geändert?

Es kann sein, dass Michael Müller in seiner Funktion als Bundesratspräsident, Regierungschef und Landesvorsitzender sehr viel zu tun hat. Als SPD-Chef in einer rot-rot-grünen Koalition, in der viel miteinander gerungen wird, ist Kommunikation das A und O des Erfolgs. Da ist deutlich Luft nach oben, das ist eine Schwäche. Die sollte er angehen.

Sie haben weder einst Klaus Wowereit noch Michael Müller als Regierungschefs geschont. Hatten Sie nie Angst um Ihren Arbeitsplatz als Staatssekretär in der Bildungssenatsverwaltung?

Wer mich kennt, weiß: Ich bin im Herzen Parteimensch und gebe meine kritische Meinung nicht auf, nur weil ich das Amt ausübe. Mich treibt die Sorge um die SPD mehr um als die um meinen Arbeitsplatz.

Was machte Wowereit und was macht Müller in Ihren Augen falsch?

Weder Klaus Wowereit noch Michael Müller habe ich als Person kritisiert. Es ging und geht mir vor allem um inhaltliche Fragen. Die SPD muss noch viel stärker an die Alltagssorgen der Bürgerinnen und Bürger ran. Wowereit war in der sogenannten Party-Hauptstadt davon sehr weit entfernt. Michael Müller ist da näher an den Menschen dran. Er muss aber viel mutiger werden, Themen zu setzen. Mit dem Solidarischen Grundeinkommen hat er ein richtiges Thema gewählt. Der Umgang mit Hartz IV bewegt die Menschen.

Hat die Berliner SPD sich überhaupt schon mit dem Vorschlag beschäftigt?

Es sind jetzt sechs Monate nach dem letzten Landesparteitag vergangen, und ich muss mir auch selbst vorwerfen, dass man das Thema hätte stärker aufgreifen müssen. Das muss jetzt kommen. Der Vorschlag muss nun konkretisiert werden.

Welche Themen muss die Partei noch angehen?

Wir leisten uns in Berlin immer noch schlecht bezahlte Bereiche, wie in der Altenpflege oder bei Erziehern. Da kann der Landesvorsitzende auf der Bundesebene noch viel stärker aktiv werden. Auch die Sicherheitsdebatte müssen wir unbedingt anpacken. Der schnell gezimmerte Antrag auf dem letzten Parteitag war eine Luftnummer. Jetzt wurde er überarbeitet, diskutiert und soll im Herbst beschlossen werden. Die Berliner wollen wissen: Wie wird die Sicherheit gewährleistet? Kommt der Kontaktbeamte wieder? Was ist mit der Videoüberwachung? Da kann die SPD sich nicht wegducken.

Die Berliner SPD hat Tausende neue Mitglieder. Hoffnung auf Erneuerung?

Unbedingt. In zwei Jahren wird man viele neue Gesichter sehen. Der Grundgedanke der SPD kann nicht so falsch sein, sonst würden nicht so viele mitmachen wollen.

Sie haben viel Kritik für Ihren Vorschlag zu hören bekommen, stärker mit den Linken zu kooperieren. Haben Sie als Parteilinker die Idee aufgegeben?

Nein, ich halte das nach wie vor für eine Chance. Ich will demnächst eine Homepage freischalten lassen. Sie heißt Spreesozis.de. Dieses Online-Angebot soll kein Mülleimer für die Unzufriedenen der Welt sein, sondern eine Plattform, in der SPD und Linke gemeinsam diskutieren sollen.

Wie geht es nun weiter? Müller wird wiedergewählt als Parteichef, und es bleibt alles beim Alten?

Wenn mein Brief irgendetwas ausgelöst hat, dann, dass das Aktivitätsniveau etwas gestiegen ist. Das Bewusstsein, dass man der apathischen Grundstimmung nicht weiter nachgeht.

Und mit Müller und Saleh?

Das Duo funktioniert nicht. Mittelfristig muss einer beidrehen oder weichen. Oder sie scheitern beide und ein lachender Dritter übernimmt. Nur sehe ich den Weißen Ritter oder die Weiße Ritterin aktuell nicht.

Aber es gibt doch inzwischen mehrere potenzielle Nachfolger zumindest für die Spitze der Partei: Franziska Giffey etwa, Kevin Kühnert oder Eva Högl.

Das stimmt: Die Berliner SPD hat ein paar gestandene Männer und Frauen. Kevin Kühnert ist noch ein bisschen jung, hat aber sicher Potenzial für höhere Ämter in der Berliner SPD, Franziska Giffey hat in ihrem Amt als Ministerin auf der Bundesebene zu tun, ist später aber sicher eine Option. Sie ist eine gute Politikerin und vor allem: Sie ist sehr nah an den Menschen dran.

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