Das Thema des Tages hatten am Kottbusser Tor ein paar Spaßvögel festgelegt: Mit Papierschildern hatten sie das Kottbusser Tor in Kreuzberg 36 umgetauft zum „Ballermann 36“. Die Anspielung auf die berüchtigte Partymeile der Ferieninsel Mallorca hat ihre Berechtigung. Die ersten Mojitos und Caipirinhas gab es schon vor den Absperrungen am Kottbusser Tor zu kaufen.
Und wer die Vorgeschichte nicht kannte, hatte es schwer, den politischen Charakter des traditionellen „Myfestes“ zu verstehen. Anwohner-Initiativen haben es vor Jahren erfunden, um mit friedlicher Party den Krawallen etwas entgegenzusetzen, die auf die Demonstrationen in Kreuzberg unweigerlich folgten. Das Konzept ging auf und wurde so erfolgreich, dass in diesem Jahr ein zweites Fest dazukam: das „MaiGörli“ im Görlitzer Park.
Bis zum Abend feierten Zehntausende friedlich das traditionelle „Myfest“ rund um die Oranienstraße und auch das neue „MaiGörli“, das allerdings bereits ab 17 Uhr wegen Überfüllung zumindest zeitweise die Tore schloss.
Bis zu 100 Ordner waren bei „MaiGörli“ im Einsatz
Die Partymeile zwischen Oranien- und Mariannenplatz sowie Görlitzer Bahnhof war allerdings weniger stark besucht als im Vorjahr, als 35.000 Menschen kamen. Besonders beliebt sind immer die Imbiss- und Grillstände der Anwohner mit zumeist türkischen Spezialitäten. Viele Familien beteiligen sich seit Jahren an dem „Myfest“, so auch Ayse Caglan (27), die am Heinrichplatz aufgewachsen ist. „Früher konnten wir am 1. Mai die Häuser nicht mehr verlassen, weil draußen Randale war und viele Schaufensterscheiben zu Bruch gingen.“ Heute werde bis 22 Uhr gefeiert, danach aufgeräumt und geputzt „und zumindest bei uns bleibt es friedlich“, sagte sie.
Ähnlich entspannt lief es bis zum Nachmittag im Görlitzer Park. Erst ab einer Besucherzahl von 12.500, so hatte es das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg als Veranstalter mitgeteilt, werde man die Zugänge aus Sicherheitsgründen schließen. Die Taschenkontrollen beim Einlass – Dosen und Glasflaschen waren genauso verboten wie die Mitnahme von Grills und „Pyrotechnik“ – nahmen die meisten Besucher gelassen hin. „Das dient ja schließlich auch unserer Sicherheit“, sagte Carlo Bonertz (25), der mit seinen Freunden aus Friedrichshain kam. „Die Anreise war etwas mühsam, wir sind letztlich die ganze Strecke gelaufen“, sagte er. Denn bereits ab 13 Uhr waren die U-Bahn-Stationen Warschauer Straße und Schlesisches Tor gesperrt.
Anwohner fühlten sich von „MaiGörli“ überrumpelt
Um 16 Uhr waren bereits 9000 Besucher im Park, der stellvertretende Bezirksbürgermeister Knut Mildner-Spindler (Linke) hatte zu diesem Zeitpunkt seinen Presserundgang über das Areal abgeschlossen. Warum der Bezirk in diesem Jahr die Mai-Party im Görlitzer Park selbst organisiert? Als Begründung hält Mildner-Spindler den Journalisten ausgedruckte Fotos entgegen. Sie zeigen bergeweise Müll auf der Parkwiese. „Wir möchten solche Situationen vermeiden“, sagte er. Laut Bezirksangaben sollen im vergangenen Jahr am 1. Mai bis zu 200.000 Menschen im Park gewesen sein. Dieses Mal wollte man es durch die kontrollierten Zugänge so weit nicht kommen lassen.
Bis zu 100 Ordner sorgten dafür, dass keine gefährlichen Gegenstände in den Park gelangen. Unter ihnen befanden sich auch viele Afrikaner, die sonst hier herumhängen und Drogen verkaufen. Um 16 Uhr schien diese Strategie noch aufzugehen: Zu wummernden House-Bässen feierten die Parkbesucher vor der Hauptbühne, lagen auf den Wiesen, feierten friedlich.
Allerdings gab eine Bezirkssprecherin zu, man habe die Anwohner mit dem „MaiGörli“ überrumpelt. „Wir müssen sie im nächsten Jahr besser einbeziehen“, sagte sie. Viele Anwohner fühlten sich von der Party ausgeschlossen, kritisierten, ihr Görli werde für eine kommerzielle Party missbraucht. Die Bezirkssprecherin wollte das so nicht stehen lassen: „Wir verdienen ja kein Geld damit.“ Eine niedrige sechsstellige Summe werde die Party kosten.
Halb Kreuzberg verwandelte sich in eine Fußgängerzone
Dass sich der Bezirk, der auf „Myfest“ und „MaiGörli“ mit Zehntausenden Menschen rechnete, nicht verschätzt hat, wurde am Nachmittag deutlich, als in weiten Teilen Kreuzbergs mit dem Auto, aber auch mit Bus und Bahn so gut wie gar nichts mehr ging, weil die Menschenmassen halb Kreuzberg in eine Fußgängerzone verwandelt hatten, in der selbst mit dem Fahrrad kaum ein Durchkommen möglich war.
Angesichts der Menschenmassen twitterte die Polizei, das Gedränge locke Taschendiebe an: „Halten Sie die Augen offen und Ihre Wertgegenstände fest.“ Mit Hubschraubern verschafften sich die Beamten einen Überblick. Und schließlich war es im Görlitzer Park so weit: Um kurz nach 17 Uhr hatte das Gedränge vor der Bühne spürbar zugenommen. „,MaiGörli‘ wird wegen Überfüllung geschlossen“, teilte die Polizei auf Twitter mit. Man möge bitte nicht mehr zum Park kommen, so die Beamten.
Weniger Gedränge auf dem „Myfest“
Wie schon im vergangenen Jahr verlagerte sich am Nachmittag, als die Zugänge geschlossen waren, ein Teil des „Myfestes“ spontan auf die Nebenstraßen. Künstler, Rapper, Tanzgruppen waren mit mobilen Musikanlagen unterwegs. Am Görlitzer Bahnhof legten zeitweilig vier Musikgruppen gleichzeitig den Verkehr auf der Skalitzer Straße lahm. An der Naunynstraße sorgte eine professionelle Blechbläsercombo für Jubel bei ihrem Auftritt auf einem Spielplatz.
Währenddessen gab es auf dem Gelände des „Myfestes“ im Vergleich zu früher weniger Gedränge und Lärm. Beschwerden von Anwohnern und auch Besuchern hatten dazu geführt, dass die Zahl der Bühnen auf Oranien- und Mariannenstraße verringert wurde.
Am Abend wurden die Zugänge zum Park wieder geöffnet. Die Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration zog ohne Zwischenfälle am Görli vorbei. Und Tausende tanzten in den letzten Sonnenstrahlen weiter. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe verlief der „MaiGörli“ friedlich. Um 23 Uhr sollte die Party offiziell enden.
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